Schauspielerin Sandra Hüller.

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STANDARD: Peter Simonischek hat über seine Rolle gesagt, schwierig daran sei, dass er absichtlich schlecht spielen muss; Ihre Figur Ines verweigert sich teilweise dem Spiel – ist das noch schwieriger?

Hüller: So hart zu bleiben ist schon schwer, weil es ja stellenweise irrsinnig komisch zuging. Wenn du jedoch den Witz deines Vaters zum hundertsten Mal hörst, dann ist er auch nicht mehr komisch. Für Ines ist es wichtiger, dass man sich mal unterhält. In Ihren Augen hat er ja aufgegeben. Es ist schwierig für eine Tochter, einen Vater zu sehen, der sich mit allem abfindet, traurig wird. Und dann projiziert er diese Traurigkeit auf sie und fragt ständig, ob’s ihr gutgeht, anstatt sich selber zu fragen, ob’s ihm gutgeht. Hätte er doch besser mal eine Weltreise gemacht!

STANDARD: Geht es auch darum, dass man seine Rolle gegenüber seinen Eltern verteidigt – bis man erkennt, dass man auch ein wenig weicher agieren kann?

Hüller: Ich glaube, es geht darum , wie man seine Herkunft integriert. Es gibt diese Phase, in der man sich von der Familie distanziert – das fängt in der Pubertät an – und dann geht man seinen eigenen Weg und negiert seine Eltern. Doch irgendwann muss man auch anerkennen, dass dies ein Teil von einem selbst ist. Nur so wird das Ganze vollständig. Nur so hat man alle Kräfte zur Verfügung.

STANDARD: Schraubt man sich denn bei einer Konstellation wie dieser als Schauspieler eigentlich wechselseitig hoch?

Hüller: Selbstverständlich, das ist ein Riesengenuss. Gott sei Dank hatten wir unterschiedliche Sachen zu tun, sonst wär das vielleicht in eine Art Konkurrenz ausgeartet. Wir haben uns gegenseitig herausgefordert. Die Nuanciertheit, mit der Peter spielt, bekommt man ja mit, sodass man sich aufeinander einstellen, voneinander abnehmen kann.

STANDARD: Irgendwann geht Ines ja auf das Angebot, aus der Rolle zu fallen, ein. Wie bereitet man sich auf diesen Moment vor?

Hüller: Es gibt verschiedene Arten des Einlassens darauf, von halb- bis vollherzig. Es gab auch Varianten, bei denen sich Ines hasserfüllt darauf einlässt. Man kann auch aufgeben in diesem Einlassen. Für mich war es so, dass sie den Kampf mit dem Vater aufnimmt – und mit einem Teil von sich selbst.

STANDARD: Wie stark hat sich die Geschichte bei dem langen Probenprozess verändert?

Hüller: Eigentlich war schon der Castingprozess eine Probe, weil Maren viel herumprobiert hat, um die Konstellation zu erforschen. Der ganze Auftritt von Toni ist sehr heikel, dabei hätte der Film auch locker wegrutschen können. Man musste den Film so bauen, dass Toni wirklich notwendig wird. Das bedeutete, dass die Geschichte schon davor richtig kracht, sodass jemand kommen muss, der eine ganz andere Sprache spricht, einen anderen Ton hereinbringt.

STANDARD: Wenn Sie sich an die erste Lektüreerfahrung zurückerinnern: Haben Sie in Ines auch Biografisches gesehen? Es geht ja auch um einen Generationenkonflikt.

Hüller: Nein, ich habe mich überhaupt nicht identifiziert. Ich habe das Buch sehr gemocht und auch sehr gelacht, aber ich habe mich nicht in ihr gesehen. Ich hab zuerst gedacht, dass ich so eine Person gar nicht hinkriege, dann haben wir das einfach einmal versucht. Da habe ich dann gesehen, dass es durchaus Anteile gibt – ich war an einem Punkt meines Lebens, wo es an der Zeit war, so etwas auszuprobieren. Mir hat die Geradlinigkeit ein wenig gefehlt.

STANDARD: Was meinen Sie damit genau?

Hüller: Das Verweigern von Nettigkeiten – und dass man es nicht immer allen schön und gemütlich macht. Dass man auch sagen kann: "Da muss ich jetzt nicht mitspielen."

STANDARD: Gab es eine Szene, die einer besonderen Courage bedurft hat – die Nacktpartyszene?

Hüller: Nein, es ist ja keine so große Leistung, sich auszuziehen. Es ist eher eine Leistung, sich rückwirkend nicht darüber zu schämen, wie man nackt aussieht. Man darf seinen Körper nicht bewerten beziehungsweise mit irgendwelchen Standards vergleichen. Am meisten Angst hatte ich vor der Firmenpräsentationsszene, in der Ines das komplette Konzept für den Kahlschlag vorstellt – auf Englisch. Da hatte ich schlaflose Nächte. Denn wenn mir das keiner glaubt, wäre die ganze Figur verloren. Es musste also eine wasserfeste Präsentation sein.

STANDARD: Die Balance zwischen Vater und Tochter kippt ständig. Als sie ihn einmal auf ein Ölfeld mitnimmt, behält eindeutig sie die Oberhand. Sehen Sie das auch so?

Hüller: Für mich macht sie ihren Vater in dem Moment erwachsen, als sie ihm zeigt, dass ihr Job eben kein Quatsch ist. Und dass es Momente gibt, wo Humor keinen Platz hat, nicht mehr zündet. Nicht weil sie eine verrohte, kalte Kuh ist, sondern weil es sich um Situationen handelt, in denen man das einfach nicht mehr bringen kann. Das kostet dann jemanden vielleicht den Job – wie eben auf dem Ölfeld.

STANDARD: Da geht es also auch um das Ausverhandeln von Moral?

Hüller: Ja, der Witz zwischen den beiden mag ja toll sein, aber er funktioniert in dieser Welt nicht. Sie mutet ihm nun etwas zu – und das funktioniert dann schon fast ohne Worte. Auch die Landschaft verändert sich. Ich finde diesen Teil des Films sehr schön. Wie sie zusammen in diese "Wüste" fahren, in der plötzlich alles so weit wird, so unüberschaubar.

STANDARD: Wie wurde die Firmenwelt überhaupt recherchiert?

Hüller: Maren hat das sehr präzis vorbereitet. Sie hat viele Interviews mit Beraterinnen und Expats geführt. Ich hab auch eine getroffen, aber ich kann nicht sagen, dass ich das durchdrungen hätte. Dazu ist die Materie zu komplex.

STANDARD: Die Arbeitswelt ist äußerst reglementiert, es gibt bestimmte Manöver, die gehen, andere nicht – haben Sie das auch wie ein Drehbuch gesehen?

Hüller: Absolut, die bereiten sich für eine Präsentation wie auf einen Bühnenauftritt vor. Nur dass es halt um ein bisschen mehr geht, wahrscheinlich.

STANDARD: Der Film ist in Cannes regelrecht hysterisch aufgenommen worden. Wie erklären Sie sich das?

Hüller: Es ist Marens dritter Film, als Regisseur wächst man auch von Mal zu Mal, die Arbeiten werden komplexer, die Mittel, die man zur Verfügung hat, werden größer. Erklären kann man so etwas aber wahrscheinlich gar nicht, da spielen so viele Faktoren mit – allein dass so lange kein deutscher Film eingeladen war, bringt einen anderen Fokus mit sich.

STANDARD: In einem Interview haben Sie einmal von den Aschenputtel-Erfahrungen Ihrer Karriere gesprochen. Die Aufnahme in die Wilhelm-Busch-Schule, das Filmdebüt in "Requiem": Wird "Toni Erdmann" auch dazu gehören?

Hüller: Es sind wieder viel positive Dinge zusammengekommen, obwohl die Zeit, in der wir den Film gedreht haben, für mich eine ganz schreckliche war. Darauf will ich gar nicht näher eingehen. Das daraus so etwas erwächst, das ist rückwirkend sehr erlösend und befreiend. Und befriedigend. Ob das ein Schlüsselmoment ist, weiß ich nicht – ich freu mich, dass man es mir zugetraut hat. Es war echt nicht leicht. (Dominik Kamalzadeh, 10.7.2016)