Dass das Gesetz keine Frauenquote in der ORF-Geschäftsführung vorsieht, hält die Unirektorin Eva Blimlinger für "skandalös". Sie wünscht sich "viele sehr gute Leute", die sich bewerben, "insbesondere Frauen".

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STANDARD: Ein Tag Generaldirektorin im ORF: Was würden Sie tun?

Blimlinger: Ich würde mir zuerst den digitalen Bereich anschauen. Die Frage ist ja, was öffentlich-rechtliches Fernsehen in Zukunft bedeuten kann, wenn immer weniger Menschen klassisch fernschauen.

STANDARD: Das heißt, Sie brauchen über kurz oder lang gar keinen ORF mehr?

Blimlinger: Es wird schon einen ORF brauchen, aber nicht einen, der Schemafernsehen macht, sondern der sich im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Auftrags überlegt, wie er sich den Veränderungen stellt. Ich bin für eine staatliche Anstalt für digitale Medien, die dann vielleicht nicht mehr ORF, sondern Österreichische Digitalmedien heißt. Es ist wichtig, dass es eine Institution gibt, die valide Informationen sicherstellt. Die jetzige Senderstruktur ORF 1, 2, 3 sehe ich in zehn Jahren nicht mehr.

STANDARD: Sondern?

Blimlinger: Es wird vielleicht noch Kanäle geben, aber die Bespielung wird eine andere sein. Der Anteil an jungen Menschen, die fernschauen, nimmt in einem Maß ab, dass man sich fragt, wozu man überhaupt noch für Jugendliche produziert. Das zeitgebundene Schauen wird es in zehn Jahren überhaupt nicht mehr geben, ebenso die heilige Kuh Primetime: 20.15 Uhr Beginn des "Hauptabendprogramms" – allein die Begriffe sind völlig antiquiert. Ich würde auf jeden Fall einen Kanal mit zeitnahen Informationen bespielen. Formate wie Mittags-"ZiB", 17-Uhr-"ZiB": Das ist vorbei – da wissen wir schon alles aus dem Netz.

STANDARD: Und was machen Sie mit dem Frühstücksfernsehen?

Blimlinger: Abdrehen. Wie es jetzt eingesetzt ist, war es eine klare Message des Generaldirektors an die Landesstudios, um die Wiederwahl sicherzustellen. Anders kann man das leider nicht interpretieren. Ich schaue natürlich nicht ORF-Frühstücksfernsehen, weil ich dort keine Information kriege. Wenn ich auf ARD oder ZDF umschalte, habe ich dort immer Interviews zu tagesaktuellen Themen. Bei "Guten Morgen Österreich" bewegen wir uns zwischen Astrologie und Wellnessfernsehen. Ganz abgesehen vom Blick aus dem Fenster, wo wir leere Plätze sehen, weil naturgemäß um sechs Uhr Früh wenig Leute dort sind, wo sich der Bus hinstellt.

STANDARD: Hätten die "Sommergespräche" Platz im Infokanal?

Blimlinger: Nein. In Wirklichkeit gibt es die "Sommergespräche", weil man sonst nicht viel Programm hat, und da bietet sich das an. Man könnte sich auch überlegen, statt der "Sommergespräche" fünf aktuelle Themen – Arbeitslosigkeit, EU, Flüchtlinge, Bildung, Soziales – zu nehmen und darüber mit den Politikern und Politikerinnen der "Sommergespräche" zu reden.

STANDARD: Gesetzt den Fall, Sie wären Stiftungsrätin im ORF: Was würden Sie tun?

Blimlinger: Wäre ich Vorsitzende des Stiftungsrats, würde schon einmal die Ausschreibung anders aussehen. Jede Altenpflegerin muss mehr Qualifikationskriterien erfüllen, als diese Ausschreibung vorgibt. Da stehen drei Punkte, dann wird auf das Gesetz verwiesen. Bei der Vorgabe der Präsentation könnte man hinzufügen, dass er oder sie klarlegen muss, wie er oder sie die Frage der Gleichbehandlung im ORF lösen will. Sowohl personell als auch inhaltlich. Das wird nicht gefordert. Es steht ganz unten dieser wunderbare Satz, dass Bewerbungen von Frauen besonders erwünscht sind. Was auch nicht in der Ausschreibung steht, ist das Gehalt, was aber aufgrund des Gleichbehandlungsgesetzes verpflichtend ist.

STANDARD: Wie sieht der ideale Publikumsrat aus?

Blimlinger: Würde ich verkleinern. Das Delegationsprinzip ist fragwürdig. Zum Beispiel sitzt die evangelische Kirche im Publikumsrat, es gibt aber mittlerweile in Österreich wesentlich mehr Mitglieder islamischer Religionsgesellschaften als in den Evangelischen Kirchen. Ich selbst wurde von der Grünen Bildungswerkstatt bestellt, das ist auch fraglich, wieso ausgerechnet die Bildungsakademien der Parteien dabei sein müssen. Man müsste den Publikumsrat mit neuen Kompetenzen ausstatten, vor allem was das Programm betrifft.

STANDARD: Und wen dann wählen – Wrabetz oder Grasl?

Blimlinger: Ich habe von beiden bisher nichts zu Inhalten gehört, nur darüber, wie, wo, wann, wer sitzen, entscheiden, nicht entscheiden soll – das ist der Klassikaner eines selbstreferenziellen Systems. Ich würde mich freuen, wenn sich viele sehr gute Leute, insbesondere Frauen, bewerben. Es ist schon sehr eigenartig, dass Kathrin Zechner bei beiden Herren so gut wie nie vorkommt. Jetzt weiß ich nicht, ob sie sich bewerben wird oder nicht – warum eigentlich nicht? Aber sie kommt nicht einmal am Rande vor. Es müsste selbstverständlich auch eine Quote in der Geschäftsführung geben. Dass das Gesetz eine solche nicht vorsieht, halte ich für skandalös. Wenn ich Stiftungsrätin wäre, würde ich eine Gesetzesänderung forcieren, die eine 50:50-Frauenquote fordert. Wir sehen bei den Universitäten, dass es geht. Leider nur mit gesetzlichen Maßnahmen, denn von selber geben Männer natürlich nicht ihre Positionen auf und die Macht ab. Der Stiftungsrat? Hälfte Männer, Hälfte Frauen – aus. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich nicht sagen, wen ich wählen würde.

STANDARD: Wie wär’s mit einer Stricherlliste als Entscheidungshilfe: Wrabetz’ Vorschlag der Stärkung der Mitarbeiterrechte – Stricherl?

Blimlinger: Grundsätzlich ja, aber in dieser unausgegorenen Variente ist der Vorschlag problematisch. Mitspracherechte regelt zum Beispiel das Universitätsgesetz nach einem genauen Procedere. Einfach zu sagen, Mitarbeiter können mitreden und nach einem Jahr den Chef abwählen – das geht gar nicht. Wenn so jemand eine gute, aber unbeliebte Entscheidung trifft, wäre er danach draußen. Es muss also eine Einspruchsmöglichkeit geben. Für diese Ansage ohne Idee und Konzept: kein Stricherl.

STANDARD: Stricherl für Grasl für die Idee einer kollegialen Führungsstruktur?

Blimlinger: Nein, weil eine kollegiale Führungsstruktur im Gesetz nicht verankert und in dieser Besetzung problematisch ist. Die Herren sollen halt einmal ins Unigesetz schauen, wo vieles schon gut geregelt ist. Dort sind zum Beispiel die Vizerektoren und -rektorinnen weisungsfrei.

STANDARD: Grasl will die Technikdirektion auflösen. Stricherl?

Blimlinger: Kein Stricherl. Warum will man ein Kompetenzzentrum auflösen?

STANDARD: Funkhaus zum Küniglberg. Stricherl?

Blimlinger: Ganz dumm. Dieser Küniglberg ist ohnehin ein Bergmonster, wo Selbstreferenz groß ist. Die Argumentation, dass digitale Zukunft verlangt, sich unter einem Dach zusammenzurotten, erschließt sich mir nicht. Je digitaler es wird, umso dezentraler kann man sein. Die Vorstellung der Kommandozentrale ist wie James Bond – das braucht kein Mensch mehr.

STANDARD: Ein Stricherl für die Idee, Landesstudios zu stärken?

Blimlinger: Natürlich nicht. Es gibt Landesstudios wie zum Beispiel in Vorarlberg, wo der Direktor sämtliche andere Leitungspositionen auflöst, um sie selbst zu besetzen. Die Kontrolle ist überdies sehr begrenzt.

STANDARD: ORF 1 mehr Eigenfarbe geben. Stricherl?

Blimlinger: Ist ja passiert unter Kathrin Zechner mit "Braunschlag", "Vorstadtweiber". Mehr wird man finanziell nicht hinkriegen. Oder man lässt zur Abwechslung einmal die Autorennen weg und macht mit der Lizenzgebühr eine gescheite Serie. (Doris Priesching, 17.7.2016)