Ivo Dimchevs "Operville".

Foto: Ivo Dimchev

Wien – Nicht zu verwechseln mit Christoph Schlingensiefs Operndorf in Burkina Faso ist Ivo Dimchevs Stück Operville, das gerade bei Impulstanz zu sehen war. Schon etwas näher an diesem Glanzstück der finsteren Choreografie liegt Lars von Triers Dogville. Auch wegen der theaterhaften Inszenierung des Films, aber besonders, weil Dog- und Operville ein ähnlich intimes Verhältnis zu den bösen Seiten des Menschseins widerspiegeln.

Von deren medialen Inszenierungen fühlt sich der bulgarische Performer und Choreograf Dimchev angezogen: den Spektakelmedien genauso wie der Spektakelkunst. In dem kontroversen Solo I-cure, das bereits 2014 bei Impulstanz zu sehen war und demnächst vom Festival noch einmal (in einer überarbeiteten Fassung) gezeigt wird, geht es vor allem um das mediale Ausschlachten menschlichen Leids.

Emotionsdoping

Mit Operville nimmt Ivo Dimchev die Hochkultur mit ihren virtuellen Klangpalästen und Stimmfeuerwerken ins Visier. Dafür beschert er sich und den bezaubernden, hier sehr unheimlichen Sängern Nikolay Voynov und Plamena Girginova ein berauschendes Emotionsdoping. Über eine kleine Projektionsleinwand im Hintergrund der Bühne läuft das gesamte Stück hindurch ein Text in Form eines inneren Monologs.

ImPulsTanz

Dieser wirkt wie ein megalomaner Songtext über die Gedanken einer Ichfigur, die in den Schrecken unserer Kultur hineingezogen wird: "It's a guilty culture." Und in die Zukunft blickt: "It's gonna be a bloody autumn / and even more bloody winter. / Our pussy hair is growing faster, / I will stay and watch the tragedies."

Während Dimchev als Inkarnation einer grinsenden Perversion lallt, Girginova sich in rotem Samtkleid einsingt und Voynov sich als Reiter versucht, quillt etwas Stoff aus I-cure in die Worte im Hintergrund: "We see the brain of a war dog. / The dog is in horror ... I have three coins to share / and only one miracle."

Tot sein ist politisch genug

Musik rauscht auf und verebbt. Es wird gesungen. Im Text heißt es: "Your voice is a public property." Schon allein deswegen ist die Oper keine harmlose Kunstform. Die drei auf der Bühne drängen zueinander und nehmen wieder Abstand, Dimchev greint da und lutscht dort an einem Finger: "I'm imprisoned here ... I'm an old disease." Hier gibt es keine Anklage, sondern Spott und Selbstironie: "Being dead is political enough." Gegen Ende häuft sich das Trio auf einen Sessel. Die Worte dazu: "One day you will stab me in the back. / I'm fine with that."

Das hat einen sentimentalen Grind, den Dimchev gerne großzügig verteilt. Vor allem, wenn er sich in eine schleimige, tückisch larmoyante Kreatur verwandelt und dieser Figur zu überragender Größe verhilft.

Immer wieder ist das ein Tanz auf Messers Schneide, und es kann auch – was selten passiert – schiefgehen. Bei Operville aber hat Dimchev die Klinge voll im Griff: "We are social democrats. / We love prostitutes / of all colours." Autsch. Das sitzt. (Helmut Ploebst, 27.7.2016)