Wikileaks-Gründer Assange ist in der ecuadorianischen Botschaft in London im Exil

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In den vergangenen zwei Wochen durfte sich die Enthüllungsplattform Wikileaks über eine starke Präsenz in den Medien freuen. Die Plattform publizierte interne E-Mails der US-Demokraten und der türkischen Regierungspartei AKP, die auf breites Echo in sozialen Medien stießen. Doch beide Enthüllungen hatten einen Haken: Die E-Mails der AKP waren inhaltlich banal, enthielten jedoch Links auf Wählerverzeichnisse mit heiklen Daten von Bürgern. Wikileaks hatte so effektiv Millionen Türken "gedoxxt", wie der Fachausdruck für den Verrat persönlicher Informationen im Netz heißt. Das führte etwa zu einer wütenden Anklage der Forscherin und Kolumnistin Zeynep Tufekci, die Wikileaks gar vorwarf, "Türkinnen in Gefahr zu bringen".

Auch bei der zweiten großen Publikation, dem Veröffentlichen von zigtausenden E-Mails der US-Demokraten, gab es heftige Kritik. So wird Wikileaks vorgeworfen, die E-Mails vom russischen Geheimdienst erhalten zu haben und so ein ausländisches Regime den US-Wahlkampf beeinflussen zu lassen. Tatsächlich hatte Wikileaks-Gründer Assange in Interviews angekündigt, der Kampagne von Kandidatin Hillary Clinton schaden zu wollen. Das führte sogar dazu, dass der republikanische Kandidat Donald Trump Russland aufforderte, mehr E-Mails von Clinton ins Netz zu stellen.

Hass auf Clinton

Zwar kann argumentiert werden, dass die Quelle der aufgetauchten Dokumente bei deren Behandlung keine Rolle spielen soll; bei der Clinton-Causa spielt jedoch auch ein persönlicher Rachefeldzug von Assange eine Rolle. Da wird die Bewertung der Aktionen von Wikileaks schon komplizierter – denn für Journalisten sollten Animositäten bei ihrer Berichterstattung keine Rolle spielen. Und Assange sieht sich selbst auch als Journalisten, nennt sich etwa "Chefredakteur" von Wikileaks.

Clinton war US-Außenministerin, als Wikileaks Millionen an E-Mails von US-Diplomaten ins Netz stellte. Sie soll daraufhin eine treibende Kraft hinter der Verfolgung der Plattform und der harten Bestrafung für Whisteblowerin Chelsea Manning gewesen sein. "Wir sehen sie als Problem für die Pressefreiheit", sagte Assange über Clinton. Schon im Februar hatte Assange auf Wikileaks geschrieben, dass eine Stimmte für Hillary Clinton eine Stimme für "endlosen, dummen Krieg" sei.

Brexit aus egoistischen Gründen begrüßt

Wikileaks ist mittlerweile nur gemeinsam mit der Person Julian Assange zu analysieren. Der Rachefeldzug gegen Clinton ist dafür nur ein Merkmal. Wikileaks unterstützte beispielsweise den "Brexit", die Loslösung Großbritanniens aus der EU, weil die Plattform dachte, dass dann der schwedische Haftbefehl gegen Assange nicht mehr gültig sei. Das ist juristisch inkorrekt, noch dazu bleibt Großbritannien ja ohnehin für die nächsten Jahre EU-Mitglied. Der Haftbefehl zeigt auch die dunkle Seite Assanges: Zwei Schwedinnen werfen ihm vor, sie vergewaltigt, belästigt und mit Gewalt sexuelle Akte vorgenommen zu haben. Assange bestritt dies und sah die Vorwürfe von Beginn an als Inszenierung westlicher Geheimdienste. Statt sich dem Prozess zu stellen, der im Höchstfall mit zwei Jahren Haft enden würde, flüchtete Assange in die ecuadorianische Botschaft in London.

Assange hat keinerlei Berührungsängste mit repressiven Regimen: Für den russischen Auslandssender RT moderierte er eine Talkshow namens "World Tomorrow", in der etwa der Hisbollah-Chef Hasan Nasrallah interviewt wurde. "Nachdem Wikileaks – und dessen Mission, die Welt zu verändern – unter dem Ego seines Gründers kollabierte, startete er eine TV-Show mit diesem bekannten Freiheitsfreund namens Wladimir Putin", schrieb die New York Times schon damals.

Antisemitische Tweets

Für Entsetzen sorgten auch wiederholt antisemitischen Tweets auf Wikileaks. So twitterte das Portal unlängst in Reaktion auf die Kritik von Clinton-Anhängern: "Die meisten unserer Kritiker haben drei (((Klammern um ihren Namen))) und schwarze Hornbrillen." Die drei Klammern werden von Neonazis benutzt, um "jüdische" Namen zu markieren und wurden daraufhin von vielen Menschen kopiert, um dem entgegenzuwirken. Wikileaks bezeichnete seine Kritiker in dem mittlerweile gelöschten Tweet laut Haaretz auch als "jenen Stamm an Leuten, die im Establishment hochklettern".

Laut einem Journalisten des britischen Satire-Magazins "Private Eye" beklagte sich Assange schon 2011, dass all seine Gegnern "Juden" seien. Er sagte, dass ihn "jüdische Journalisten, angeführt vom Guardian" attackieren wollten. Als der Kolumnist Assange darauf hinwies, dass der damalige Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger gar nicht jüdisch sei, soll Assange erwidert haben, Rusbridger sei "irgendwie jüdisch", weil dessen Schwiegerbruder jüdischen Glaubens sei.

Lokale Unterstützer der US-Armee in Gefahr gebracht

Mit dem Guardian und anderen etablierten Medien wie der New York Times hatte Assange bald Streit. Anfangs kooperierten die Zeitungen noch mit Wikileaks, doch schon damals beklagten sie sich über Assanges Wutausbrüche und seine nicht-journalistische und teils verantwortlungslose Perspektive. So veröffentlichte Wikileaks eine Vielzahl an Dokumenten zu Kriegsverbrechen des US-Militärs in Irak und Afghanistan – doch schwärzte die Namen von Dolmetschern und anderen lokalen Helfern nicht. Diese waren daraufhin einer großen Gefahr ausgesetzt, etwa der Rache von Taliban und anderen terroristischen Milizen.

Einen Hang, alles was er in die Finger bekommt, zu publizieren, hat Assange immer noch: Beim Anschlag von Nizza vor wenigen Tagen zeigte Wikileaks auf Twitter ein Video, in dem die gerade angefahrenen und teils schwer verletzten, teils toten Opfer zu sehen war. Inwiefern dieses Video politisch wichtig ist, bleibt unklar. Schon nach den Terroranschlägen in Paris vergangenen November sorgte Wikileaks für Aufsehen, als es die Opfer von Paris mit den Opfern im Nahen Osten aufrechnete.

Wichtigste Leaks nicht via Wikileaks

Fakt ist, dass die zwei wichtigsten Enthüllungen der vergangenen fünf Jahre – die NSA-Dokumente von Edward Snowden und die Panama Papers eines unbekannten Informanten – nicht über Wikileaks, sondern über renommierte Medien wie die New York Times, Spiegel, Guardian und vertrauenswürdige Journalisten wie Glenn Greenwald und Laura Poitras gelaufen sind. Das dürfte heftig am Ego von Assange gekratzt haben. Ob Aktionen wie das Outing persönlicher Daten von Millionen unschuldigen Türken oder die Verbreitung von Videos, die Terroropfer zeigen, künftige Whistleblower motivieren, auf Wikileaks zuzugehen, sei dahingestellt. Edward Snowden selbst verurteilte Wikileaks jedenfalls erst kürzlich: Die Plattform habe viel zur Freiheit beigetragen, aber keine Auswahl an Dokumenten zu treffen, sei schädlich, twitterte der Whistleblower.(Fabian Schmid, 31.7.2016)