Es scheint ein Phänomen der Zeit zu sein. Auf die Frage, "Wie geht's?", antworten immer mehr Menschen, dass sie total gestresst und erschöpft seien. Das kann eine Floskel sein, könnte aber auch ganz handfeste Ursachen haben, die in der Folge zu Krankheit führt und Kosten für Gesamtsystem bedeuten. Konkret: Steigen die Krankenstände bedeutet das Kosten für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und die öffentliche Hand.

Ein deutschlandweit einzigartiges Verbundprojekt an der deutsch-dänischen Grenze untersucht, wie Kommunen und Arbeitgeber gemeinsam Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern können." Psychische Belastungen, ausgelöst durch Zeitkonflikte, nehmen zu", sagt Projektkoordinator Wenzel Matiaske, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität. "Es wird für Menschen offenbar immer schwieriger, Arbeit und andere Lebensbereiche befriedigend zu koordinieren".

Wenn der Alltag überfordert

Zeitdruck und Zeitkonflikte entstehen nicht ausschließlich am Arbeitsort, sondern als Vereinbarkeitsprobleme mit dem Umfeld. "Arbeitszeiten, Kinderbetreuung, Transport und öffentlicher Nahverkehr sowie Öffnungszeiten von Ämtern und Geschäften sind in ihrer Verzahnung Faktoren, die Zeitstress für Beschäftigte entstehen lassen können", sagt Matiaske.

Das Verbundprojekt "Lebenszeit 4.0 – Zeitgerechte Region am Beispiel Nordstadt" wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 1,4 Millionen Euro finanziert. Es untersucht an der Region Flensburg exemplarisch die Frage, wie die Arbeits- und Lebensbedingungen einer Region Stress erzeugen, verstärken oder mildern können. "Flensburg ist für uns eine Art "Middletown" – eine 90 000-Einwohner-Stadt mit für Deutschland typischen Eigenschaften im Hinblick auf den Aufbau der Bevölkerung, die Mischung von Arbeitsplätzen in Industrie, Dienstleistung, Handel und Verwaltung, die Verteilung von Wohn- und Arbeitsort in der Region", erklärt Gerd Grözinger, Professor für Bildungsökonomik und Soziologie an der Europa-Universität Flensburg.

Vorbild Dänemark

Im Projekt geht es aber auch um die "familiengerechten Kommune". Die unmittelbare Nachbarschaft zu Dänemark könnte sich als Vorteil erweisen. "Die skandinavische Kinder- und Jugendbetreuung ist vorbildlich. Die starke dänische Minderheit in der Region gibt uns die Möglichkeit, von unserem skandinavischen Nachbarn zu lernen, ohne das Land verlassen zu müssen", erläutert Grözinger.

Die Projektteilnehmer befragen Beschäftigte und Angehörige, führen physiologische Messungen durch und entwickeln auf Basis ihrer Ergebnisse gemeinsam mit der Stadt Flensburg und sozialen Diensten betriebliche Konzepte, wie etwa überbetriebliche Kindergärten, familiengerechte Schichtmodelle oder Pflegezeiten. "Die Konzepte werden in den Betrieben umgesetzt und evaluiert. Sie sollen helfen, die außerbetrieblichen und gebietsbezogenen Stressfaktoren zu reduzieren", sagt Jan Dettmers, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Medical School Hamburg.

"Unser Ziel ist nicht nur Analyse", skizziert Matiaske, "es ist auch Veränderung. Grundsätzliches Ziel des Projektes ist es, dauerhaft eine andere Zeitkultur zu etablieren, die auf andere Regionen übertragbar ist". (red/idw, 4.8.2016)