Einen "Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik" sieht Familienministerin Sophie Karmasin.

Foto: apa/Schlager

Wien – Das Familienministerium hat am Donnerstag gemeinsam mit der zuständigen Expertengruppe einen Entwurf für einen "Bildungskompass" vorgelegt. Vorgesehen ist darin, dass die Entwicklung aller Kinder ab 3,5 Jahren bundesweit dokumentiert wird. Herzstück des Vorschlags sind fünf "Lerndispositionen", die von den Elementarpädagogen festgestellt werden sollen.

Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) sieht in dem Projekt "einen großer Schritt in Richtung Stärkung der Qualität" und einen "Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik". Erstmals hätten damit Pädagogen "einen fokussiert positiven Blick auf das Kind", sagt sie zum STANDARD.

Das Konzept hinter dem Bildungskompass wurde von der Neuseeländerin Margaret Carr entwickelt und vom Deutschen Jugendinstitut adaptiert. Im Mittelpunkt stehen fünf sogenannte "Lerndispositionen":

  • interessiert sein,
  • engagiert sein,
  • Standhalten bei Herausforderungen und Schwierigkeiten,
  • sich ausdrücken und mitteilen,
  • an der Lerngemeinschaft mitwirken und Verantwortung übernehmen.

Die Elementarpädagogen sollen für den Bildungskompass die Kinder hinsichtlich dieser Kategorien beobachten und ihre Analysen anschließend dokumentieren. "Nils braucht viel Zeit und Motivation von außen", steht da etwa in einem Beispiel des Ministeriums in der Kategorie "Standhalten bei Herausforderungen". Ein Beispiel für einen Satz in der Rubrik "Interessiert sein": "Johanna findet Geräte interessant und will wissen, wie diese funktionieren und was man damit machen kann." Durchgeführt wird die Analyse laut Plan einmal im Jahr.

Pädagogen müssen geschult werden

Der Kompass soll in einer ersten Pilotphase 2017 und flächendeckend ab 2018 eingeführt werden. Bereits angewendete Methoden aus den Bundesländern wie etwa Sprachstandsfeststellungen können in den Bildungskompass einfließen. Das Dokument gehört laut Entwurf dem Kind und den Eltern, die den Bildungskompass in die Schule mitnehmen sollen. Ziel ist ein besserer Übergang zwischen Kindergarten und Schule.

Für die Implementierung sollen die Pädagogen geschult werden, auch Schulungsunterlagen will das Familienministerium zur Verfügung stellen. "Das Instrument ist so ausgewählt, dass es Pädagogen und Pädagoginnen gut umsetzen können", sagt Karmasin.

Plattform Educare skeptisch

Heidemarie Lex-Nalis von der Plattform "Educare" glaubt dagegen nicht, dass dies ausreichen werde. "Die Pädagoginnen brauchen mindestens ein Jahr intensive Weiterbildung und wissenschaftliche Begleitung", sagt sie zum STANDARD. Die Plattform von Lex-Nalis setzt sich für die Reform der elementaren Bildung ein. Educare war auch in der Arbeitsgruppe für den Bildungskompass vertreten.

Trotzdem steht die Kindergartenpädagogin dem nun vorgelegten Konzept skeptisch gegenüber. Das Konzept der fünf Lerndispositionen sei extrem aufwändig. Die Pädagoginnen müssten das Kind frei spielen lassen, es dabei beobachten und Aufzeichnungen machen. Anschließend tausche man sich im Team über den Entwicklungsstand des Kindes aus. "Das haben die Kolleginnen nicht gelernt." Zudem sei es "völlig unmöglich", dass jeder Pädagoge einmal im Jahr den Entwicklungsstand von 25 Kindern dokumentiere.

Lex-Nalis fürchtet Allgemeinplätze

Lex-Nalis fürchtet, dass in der aktuell geplanten Form nur "Allgemeinplätze" im Bildungskompass stehen werden, die niemanden weiterbringen, das Konzept hält sie deshalb für "Augenauswischerei". "Viel sinnvoller wäre es, Geld für zusätzliches Fachpersonal auszugeben." Obwohl die Plattform Educare in der Arbeitsgruppe vertreten war, ist jetzt also mit dem Ergebnis unzufrieden. "Wir sind viel zu spät miteinbezogen worden", sagt Lex-Nalis. Zudem habe man verhindert, dass Genetiker oder Psychologen die Kinder testen. Immerhin liege jetzt ein Verfahren aus der Elementarpädagogik auf dem Tisch.

Nicht begeistert vom Konzept ist man in Oberösterreich. Landesrat Thomas Stelzer (ÖVP) hat in einer Aussendung angekündigt, bereits in diesem Jahr mit einem eigenen Pilotprojekt zu starten. Am Ende der Kindergartenzeit sollen einmalig in einem zweiseitigen Formular die Kompetenzen der Kinder festgehalten werden, und zwar in den Bereichen Ethik und Gesellschaft, Emotionen und soziale Beziehungen, Sprache und Kommunikation, Bewegung und Gesundheit, Ästhetik und Gestaltung sowie Natur und Technik.

Grüne und Neos haben in Aussendungen kritisiert, dass das Konzept noch vage ist. Von "ungelegten Eiern" spricht der Grüne Bildungssprecher Harald Walser, Neos-Chef Matthias Strolz bezeichnet das Konzept als "orientierungslos".

Den Bildungskompass haben ursprünglich die frühere Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) und Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) im Rahmen der Bildungsreform vorgeschlagen. Ursprünglich geplant war da der Bildungskompass bis zum Ende der Schulpflicht, derweil gibt es das Konzept nur für den Kindergarten.

Umgesetzt werden kann der Vorschlag erst, wenn die Ländervertreter zustimmen, verhandelt wird ab September. Auch die Finanzierung ist noch offen. (Lisa Kogelnik, 4.8.2016)