Ein bisserl Gelände geht mit dem Allrad-Tiguan immer, Weinberg etwa oder Schotterstraße. Die Domäne ist aber die Straße, da bewegt er sich souverän. Luftige Atmosphäre mit Panoramaglasdach.

Foto: Andreas Stockinger
Grafik: der Standard
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Wien/Südmähren – Heute unternehmen wir einen kleinen Testausflug. Mit möglichst vielfältigem Streckenprofil. Alsdann. Wo soll's hingehen? Südmähren? Warum nicht. Stockerauer Autobahn, rauf nach Retz, dort erster Espresso am Hauptplatz, kleiner Munterermacher. Denn bisher hat der Tiguan mit seinem 150-PS-Diesel geschnurrt wie ein Kätzchen, einschläfernd fast – mit Ausnahme des Antestens der Teilautonomie.

Hände weg vom Steuer: Anders als bei Tesla wird hier nach wenigen Sekunden empfohlen, das Volant wieder aktiv anzufassen. Gut, und wenn nicht? Dann kommt kurz darauf die zweite, eindringlichere Warnung und der Tiguan legt eine kurze Bremsung hin. Was dann geschähe, haben wir nicht ausprobiert, zurück zur Rückfallebene: schnurren. Und den zum teilautonomen Betrieb benötigten Spurhalteassistenten haben wir gleich wieder deaktiviert, der nervt.

Lenkung und Fahrwerk

Jetzt von Retz über die nur am Navi wahrnehmbare Grenze rüber zur Burg Frain, die Thaya schneidet hier ein enges Tal in den Granit, ergo kurvt man erst runter zur Talsohle und dann wieder rauf – es bewährt sich dabei die präzise, direkte Lenkung und das fabelhaft harmonische Fahrwerk. Da war schon der Vorgänger ein Könner, der Neue noch viel mehr.

Teile der Feste oben entstammen den Plänen des Barockgenies Fischer von Erlach, dessen Gestaltungslieblingsform war die Ellipse. Der huldigte auch der erste Tiguan – der zweite nicht mehr. Kantig und geradlinig, wirkt er nun eher klassizistisch denn barock.

Kurvenreich

Jedenfalls, nach Burgvisite Kurven runter und rauf, Links-rechts-Zirkeln, dann Landstraße gradaus gen Osten. Erst einmal Visite beim Geburtshaus von Carl Postl alias Charles Sealsfield in Poppitz, einen Steinwurf entfernt von Znaim – Sealsfields Amerikabücher begeistern die Menschen ja bis heute (na gut, weil sonst die Chefin wieder seufzt, schreiben wir's dazu: Achtung, Ironie!) -, dann auf in die geschichtsträchtige alte Stadt. Der Lojka Poldi (Leopold Lojka) zum Beispiel, Chauffeur jenes Gräf&Stift, in dem Thronfolger Franz Ferdinand 1914 gemeuchelt wurde, stammte aus Znaim, auch des wollte kurz gedacht sein.

Speis und Trank nach Stadtrundgang, nächster Espresso am grandiosen gotischen Rathausturm, weiter geht's nach Nikolsburg. Auf teils engen, holprigen, mitunter schottrigen Nebenstraßen – mautpflichtige Autobahn will vermieden sein – demonstriert der Tiguan seine Fahrwerkstalente erneut, er macht das willig und zufriedenstellend. Und die langsam drückende Schwüle bekämpft die Klimaautomatik wacker, wohltuend, zügig.

Adolf Schärf

Nikolsburg? Immer eine Visite wert. Große Burg, kleines Stadtl, direkt auf Fels gebaut; während des Deutschen Krieges 1866 Bismarcks Hauptquartier. Man lässt des Ortes Aura wirken, gedenkt dabei auch des von hier stammenden SP-Politikers und Bundespräsidenten Adolf Schärf und merkt bestürzt, welches Format die damals hatten und was inzwischen aus der Politzunft geworden ist.

Ehe die Depression eine Chance kriegt, rücken wir schon weiter aus ins Liechtenstein'sche Fabelschlösserland: Eisgrub, Feldsberg. Der Kofferraum füllt sich langsam mit Mitbringseln, mit dem, was das fruchtbare Lössland hergibt, von Wein bis Wurst, doch es hätte noch mehr Platz; kein Schloss zwar, aber etliches Zeugs ein paar Nummern kleiner. Im Vergleich zu bisher verbesserte sich der Tiguan, immer schon ein Meister der Durchdachtheit, nochmal im Detail. Ein ungemein praktisches Auto mit nun 615 bis 1655 Liter Kofferraum (bisher 470 bis 1510).

Virtuell trifft real

Das DSG schaltet blitzschnell, ein echtes Komfortfeature. Und wo es von Znaim nach Nikolsburg schottrig geworden war (immer dem Navi nach – das sich neuerdings in die Hauptinstrumente legen und in der Bildfläche vergrößern lässt; das bei Audi eingeführte virtuelle Cockpit findet sich jetzt also auch bei VW), spielten wir kurz am Betriebsartberater herum, drehten das Rad vom Straßen- zum Hügelsymbol. Den Berg mit Polarstern sparten wir uns ebenso wie die Schneeflocken.

Mit Allrad kann der Tiguan übrigens mehr, als man unterstellen würde, ein echtes Geländeauto ist er aber natürlich nicht. Viele greifen aber ohnehin zum Frontantrieb, auch in dieser SUV-Liga.

Semperit-Stammvater

Wo waren wir? Ach ja, Eisgrub (wunderbar neogotisches Hauptgebäude), Feldsberg (noch einmal Fischer von Erlach), den Rest sparen wir Ihnen, selber anschauen. Aber apropos Feldsberg: Johann Nepomuk Reithoffer stammt von hier, der Semperit-Stammvater. Im Grabe würd er sich umdrehen, wüsste er, was aus seinem Erbe geworden ist; aber dem Schärf Adolf ginge es nicht anders.

Zuletzt durch sanftes Obst- und Weinhügelland zurück Richtung Wien, letzte Station noch am Preußendenkmal in Poysdorf. Schließlich hat Bismarck uns vor genau 150 Jahren aus Deutschland rausgekickt. Doch wir haben uns gerächt. Unter anderem, indem wir den preußischen Militärmusiker Johann Gottfried Piefke, Komponist des Königgrätzer Marsches und dessen Dirigent bei der Siegesparade, als Schimpfwort in unseren Sprachgebrauch eingeführt haben. Saurüssel haben wir dann keinen erstanden, obwohl im Kofferraum noch Platz frei war.

MQB

Sehr feiner SUV, der Tiguan. Zeigt keine Schwächen, nicht einmal mehr beim Design. Vielleicht aber noch eine abschließende Beobachtung. Auf dem Modularen Querbaukasten (MQB) schafft VW es mal schlechter, mal besser, dem jeweiligen Fahrzeug einen eigenständigen Charakter zu geben. Beim Tiguan ist das eindeutig besser gelungen. Eigenständig und doch eindeutig ein VW. Weiter so. (Andreas Stockinger, 18.8.2016)