Insgesamt haben Frauen weniger häufig einen Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung.

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Eine eigenständige Existenzsicherung für Frauen im Erwerbsalter würde auch Altersarmut vorbeugen, sagt Hilde Stockhammer, Leiterin der AMS-Abteilung Arbeitsmarktpolitik und Frauen.

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"Teilzeitarbeit ist ein veraltetes Konzept", sagt Manuela Vollmann, Geschäftsführerin des Nonprofit-Unternehmens für Gleichstellung, abz*austria.

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Die ÖVP hat aktuell arbeitslose Menschen im Visier: Klubobmann Reinhold Lopatka forderte angesichts gestiegener Arbeitslosigkeit und eines Plus an offenen Stellen verschärfte Zumutbarkeitsregeln, unter anderem die Ausweitung der täglichen Wegzeit zur Arbeit auf zweieinhalb Stunden. Geschlechtsspezifische Faktoren fanden indes keinen Eingang in die Diskussion – obwohl sie in vielerlei Hinsicht relevant sind.

"Viele Frauen bringen auf dem Weg zur Arbeit ihre Kinder in die Schule oder die Betreuungseinrichtung und holen sie auch wieder ab", sagt Hilde Stockhammer. Die Leiterin der Abteilung Arbeitsmarktpolitik und Frauen des Arbeitsmarktservice (AMS) Österreich ortet keinen Änderungsbedarf bei den Zumutbarkeitsbestimmungen, jedoch nach wie vor eine große Kluft, was die Chancen von Frauen am Arbeitsmarkt betrifft. "Die Problemlagen für Frauen sind wesentlich vielschichtiger", sagt Stockhammer.

Gender-Gap

Aus der Arbeitslosenstatistik lässt sich dies auf den ersten Blick nicht ablesen: Die absolute Zahl der arbeitslosen Männer ist deutlich höher als jene der Frauen. Im Juli waren 147.369 Frauen und 173.887 Männer beim AMS registriert. Für Frauen bedeutete das einen Anstieg von rund zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahr, bei Männern sank die Arbeitslosigkeit um ein Prozent. Insgesamt haben Frauen weniger häufig einen Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, bei der Notstandshilfe ist das in erster Linie auf die Anrechnung des Partnereinkommens zurückzuführen. Besonders drastisch gestaltet sich der Unterschied bei der Höhe des Arbeitslosengeldes. Der durchschnittliche Tagsatz betrug bei Frauen im Jahr 2015 26,8 Euro, bei Männern waren es 32,2 Euro, rechnet Stockhammer vor. Der Gender Pay Gap wird für viele Frauen in der Arbeitslosigkeit somit zum existenziellen Problem.

Am finanziellen Limit

Diese Erfahrung machte auch Marlene Brunner*. Die 35-jährige Akademikerin ist seit ihrem 19. Lebensjahr berufstätig und wurde im März dieses Jahres erstmals arbeitslos. An einer Universität war Brunner mit verschiedenen Projekten beschäftigt – befristet und meist auf Basis eines freien Dienst- oder Werkvertrags. Die Höhe ihres Arbeitslosengeldes lag schließlich bei rund 600 Euro. "Mein Verdienst war immer so, dass ich gerade davon leben konnte: 1.000 bis 1.200 Euro. Ich habe aber nicht wirklich bedacht, was das bedeutet, wenn ich einmal arbeitslos werde", erzählt Brunner. Schließlich beantragte sie die Mindestsicherung. "Das hat sich furchtbar angefühlt. Aber von 600 Euro kann man unmöglich leben."

Die Arbeitslosigkeit unter Personen mit akademischer Ausbildung ist in Österreich zuletzt zwar deutlich gestiegen, im Juli standen jedoch 25.429 arbeitslose AkademikerInnen 140.919 Arbeitsuchenden gegenüber, die maximal über eine Pflichtschulausbildung verfügen. Ein schwacher Trost für Marlene Brunner: "Bisher habe ich nur Absagen bekommen, im September habe ich mein erstes Vorstellungsgespräch." Auf ihre Bewerbungen erhält sie meist E-Mails mit dem Hinweis, dass es sehr viele InteressentInnen gegeben habe. "Das Wissen, wie viele Menschen eine Arbeit suchen und mit wie vielen man um einen Job konkurrieren muss, ist entmutigend", sagt die ausgebildete Sozialwissenschafterin. Das Bild der sozialen Hängematte, das aktuell in Diskussionen um Mindestsicherung und Arbeitslosigkeit immer wieder auftaucht, macht Brunner wütend: "Arbeitslos zu sein fühlt sich überhaupt nicht wie Ausrasten an. Und mit der Mindestsicherung lebt man am absoluten Limit. Ich kenne niemanden in dieser Situation, dem es dabei wirklich gut geht."

Auslaufmodell Teilzeitarbeit

Obwohl Frauen heute besser denn je ausgebildet sind, profitieren sie davon im Erwerbsleben nur bedingt. Manuela Vollmann, Geschäftsführerin der Nonprofit-Organisation für Gleichstellung, Abz*austria, hat unter anderem Frauen im Blick, die nach der Elternkarenz wieder in das Erwerbsleben einsteigen. "Wir investieren in Österreich sehr viel in die Bildung, der Anteil an Frauen, die eine Universität absolviert haben, liegt bei über 60 Prozent, und letztendlich sind die gut qualifizierten Frauen nicht auf den Positionen, auf denen sie eigentlich sein könnten", sagt Vollmann.

Fehlende Ganztagsschulen und Kinderbetreuungseinrichtungen, aber auch ein konservatives Wertesystem würden nicht nur den Frauen, sondern auch der Wirtschaft auf den Kopf fallen. Unternehmen raten die Expertinnen des Abz*austria daher, selbst im Bereich Vereinbarkeit von Beruf und Familie aktiv zu werden – und nicht auf Vorgaben der Politik zu warten. "Teilzeitarbeit ist ein veraltetes Konzept", sagt Vollmann. Im Rahmen von "lebensphasenorientierten Arbeitszeitmodellen" müssten Unternehmen mehr Flexibilität über die gesamte Belegschaft hinweg entwickeln. "Natürlich bedeutet das zunächst einen gewissen Aufwand, aber langfristig profitieren sowohl Unternehmen als auch ArbeitnehmerInnen davon", ist Vollmann überzeugt.

Zielgruppenspezifische Maßnahmen

Auch sogenannte Kompetenzchecks für asylberechtigte und subsidiär schutzberechtigte Frauen werden vom Abz*austria durchgeführt. Dass Trainerinnen nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Farsi und Arabisch beraten, schätzt Vollmann ganz besonders: "Wir machen sehr gute Erfahrungen damit." Hilde Stockhammer setzt beim AMS ebenso auf zielgruppenspezifische Angebote für Asylberechtigte – die zuletzt heftig in der Kritik standen. "Wir als Frauenabteilung haben immer schon gesagt, dass es in bestimmten Situationen Schutzräume braucht, in denen Frauen ihre Fähigkeiten und Perspektiven entwickeln können." Nachholbedarf gebe es vor allem außerhalb von Wien, wo die Angebote noch nicht so gut ausgebaut seien.

Während die vorzeitige Anhebung des Pensionsantrittsalters für Frauen nach wie vor zur Debatte steht, ist bei Personen über 50 Jahren die Arbeitslosigkeit deutlich gestiegen. Zwischen 2005 und 2015 hat sich die Zahl mehr als verdoppelt – allerdings hat auch die Erwerbsbeteiligung in dieser Altersgruppe zugenommen. Im vergangenen Jahr waren durchschnittlich 34.804 Frauen und 59.010 Männer über 50 auf Arbeitsuche. "Für arbeitslose Personen über 50 ist es sehr schwierig, wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Für Frauen ist die Gefahr, langzeitarbeitslos zu werden, jedoch etwas höher", sagt Stockhammer.

Existenzsicherung

Mit 59 seine Arbeit zu verlieren – für Virginia Ulbing war das ein Schock. Die gebürtige Mexikanerin arbeitete zunächst in Reisebüros, absolvierte später jedoch eine Umschulung für den Bereich IT. Zwölf Jahre lang war sie für ein großes Unternehmen im Support tätig, nach einem Burn-out und einem langen Krankenstand fand sie erneut eine Stelle in der IT. Nach der Übernahme des Unternehmens durch einen amerikanischen Konzern war Ulbing jedoch eine der Ersten, die im Zuge der Umstrukturierung ihre Kündigung erhielt – die anschließend dreimal hinausgezögert wurde. "Das war eine sehr harte Zeit für mich. Ich war für jeden weiteren Monat, den ich bleiben konnte, dankbar, aber mich quälten Existenzängste", sagt die Wienerin.

Mit den nett gemeinten Ratschlägen in ihrem Umfeld, die Zeit bis zur baldigen Pension zu genießen, konnte Ulbing nichts anfangen: "Ich habe immer gerne gearbeitet. Für mich war es außerdem sehr wichtig, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, ich habe mich für die Arbeitslosigkeit geschämt." Obwohl Ulbing nie mit 60 in Pension gehen wollte, hat sie sich inzwischen damit abgefunden, in ihrem Alter wohl keinen Job mehr zu finden. Wie hoch ihre Alterspension sein wird, darüber hat sich Ulbing noch nicht erkundigt: "Ich habe mich einfach nicht getraut – weil ich nicht wieder in ein Loch fallen wollte."

Die eigenständige Existenzsicherung im Erwerbsalter – die letztendlich auch Altersarmut vorbeugt – nennt Arbeitsmarktexpertin Stockhammer indes als zentrale gleichstellungspolitische Losung. Seit 2016 verfolgt die frauenpolitische Abteilung des AMS das Ziel, 50 Prozent der Arbeitsmarktfördermittel für Frauen auszugeben. "Das ist natürlich überproportional, aber die Problemlagen der Frauen sind einfach größer", sagt Stockhammer. (Brigitte Theißl, 17.8.2016)

*Name von der Redaktion geändert.