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Feyisa Lilesa: "Vielleicht muss ich in ein anderes Land gehen."

Foto: reuters/PERAWONGMETHA

Die Regel 50.3, wonach sich Sportler im Umfeld der Wettkämpfe jeder "Demonstration oder politischer, religiöser oder rassischer Propaganda" zu enthalten hätten, wurde von den Olympiern schon strenger ausgelegt. Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), hat Feyisa Lilesa bei der Marathonsiegerehrung anlässlich der Schlussfeier im Maracanã-Stadion zu Rio de Janeiro jedenfalls nicht die Leviten gelesen. Ja der Deutsche tätschelte dem Silbermedaillengewinner aus Äthiopien gar den Hinterkopf und wechselte ein paar freundliche Worte mit ihm.

Gut möglich auch, dass Bach gar nicht hinterbracht worden war, dass Feyisa Lilesa beim Zieleinlauf, 1:10 Minuten hinter dem kenianischen Marathonsieger Eliud Kipchoge, die Handgelenke über dem Kopf gekreuzt hatte, um gegen die Behandlung seines Volkes, der Oromo, durch die Regierung in Addis Abeba zu protestieren. Der 26-Jährige wiederholte die Geste auch bei der offiziellen Pressekonferenz (was Bach eigentlich hinterbracht worden sein muss). Und er begründete sie: "Ich habe Verwandte, die im Gefängnis sitzen. Wenn man über Demokratie spricht, wird man getötet. Wenn ich nach Äthiopien zurückgehe, werde ich vielleicht getötet. Oder sie werfen mich ins Gefängnis." Es sei sehr gefährlich", sagte Lilesa. "Vielleicht muss ich in ein anderes Land gehen."

Die Region Oromia, die flächenmäßig und bevölkerungsreichste des ostafrikanischen Landes, wird seit Monaten von Auseinandersetzungen zwischen Anhängern einer Unabhängigkeitsbewegung und Sicherheitskräften erschüttert. Im vergangenen Herbst kam es im Zuge des Versuchs einer Landreform zu massiven Protesten. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) sind seit November 400 Menschen getötet und mehrere Tausend Demonstranten verhaftet worden. Wie von Lilesa gezeigt, hatten viele von ihnen mit den gekreuzten Handgelenken zeigen wollen, dass sie unbewaffnet und zur Festnahme bereit seien.

Feyisa Lilesa muss sich vor allem um seine Familie, seine Frau und seine beiden Kinder, sorgen. Der ehemalige Crossläufer war schon lange vor seiner Silbermedaille eine Figur der Marathonszene. 2009 gab er sein diesbezügliches Debüt mit einem Sieg in Dublin. 2011 holte er WM-Bronze. 2012 fixierte Lilesa als Zweiter des Chicago-Marathons seine bisherige Bestzeit: 2:04,52 Stunden. (Sigi Lützow, 22.8. 2016)