Etwa die Hälfte der Asylwerber hat mit den traumatischen Erlebnissen in ihrer Heimat bzw. mit den Folgen der Flucht zu kämpfen. Darunter auch viele Kinder und Jugendliche.

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Alpbach – Jene Flüchtlinge, die in Österreich angekommen und geblieben sind, haben definitiv keine "zusätzlichen" Infektionskrankheiten "importiert". Stattdessen dürfte etwa die Hälfte in irgendeiner Form unter Folgen psychischer Traumatisierung leiden, hieß es am Dienstag bei einem Pressegespräch am Rande der Alpbacher Gesundheitsgespräche.

"Wir sind dabei, eine Plattform für alle Beteiligten zu etablieren. Die Experten sagen uns, dass etwa die Hälfte der Asylwerber in der einen oder anderen Form eine psychologische oder psychotherapeutische Hilfe benötigt", sagte die Sektionsleiterin für Öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium, Pamela Rendi-Wagner, bei dem Pressegespräch, das vom Roten Kreuz organisiert worden war.

Entgegen vielen Medienschlagzeilen und manchen Politikeräußerungen im vergangenen Jahr ist es in Österreich zu keinem Anstieg von Infektionskrankheiten gekommen. Pamela Rendi-Wagner erläuterte: "Wir haben in Österreich im Jahr 2015 mit 586 Fällen um vier TBC-Erkrankungen mehr registriert als im vorangegangenen Jahr." Im ersten Halbjahr 2016 liege man mit bisher 271 bestätigten Erkrankungen in einem ähnlichen Bereich. Flüchtlinge haben zwar öfter akute Durchfallerkrankungen (z.B. Shigellen/Ruhr), die sie sich aber auf der Flucht und somit auch in Europa zuziehen.

Lange Warteliste

Der syrische Chirurg Rabie Alrefai kam 2014 nach einer mehrwöchigen Flucht über acht Länder mit seiner Familie in Österreich an. In sein Haus war eine Granate eingeschlagen. Er sagte: "Es ist ganz normal, dass Menschen auf der Flucht an Infektionen erkranken. Manche erleiden dabei zufällig Verletzungen. Aber die meisten von ihnen sind gesund. Denn die Alten und Kranken bleiben zurück. Wir hatten in Syrien eine Tuberkulose-Häufigkeit von 17 pro 100.000 Menschen und Jahr. In Europa liegt diese Häufigkeit bei 39 Fällen pro 100.000 Einwohnern und Jahr."

Anders sieht es bei den psychischen Folgen aus: Etwa die Hälfte der in Österreich Angekommenen dürfte zumindest zeitweise Hilfe zum Bewältigen ihre Probleme benötigen. Der Wiener Hilfsverein Hemayat berichtete im Frühjahr von einer Warteliste von 700 Personen.

Es geht dabei um Hilfe in sehr unterschiedlicher Dimension. Alessandra Diodati, medizinische Direktorin des nationalen italienischen Instituts für Gesundheit, Migration und Armut, sagte: "Es gibt dazu eine Studie mit den Flüchtlingen, die innerhalb von drei Jahren in Lampedusa angekommen waren. Es zeigte sich dabei, dass die psychische Konstitution bei den aus Syrien Geflohenen recht gut ist. Anders ist das bei den Flüchtlingen aus Afrika, die oft mehrere Jahre unterwegs sind und häufig multiple Traumatisierungen erlebt haben." Könne man jene Betroffenen mit akuter psychischer Traumatisierung identifizieren und möglichst schnell behandeln, schaffe man schon sehr viel.

Möglichst früh helfen

Doch dann trifft die Flüchtlinge mittel- und langfristig ein ähnliches Schicksal wie das von sozial Benachteiligten der jeweils lokalen Bevölkerung in den Ankunftsländern. Alessandra Diodati: "Sie bekommen nach sechs Monaten oder einem Jahr Probleme. Die sind ähnlich wie jene von Menschen, die ihre Arbeit verloren haben." Diskriminierung, Stigmatisierung und Perspektivlosigkeit sind die Ursachen.

"Wir müssen versuchen, möglichst früh zu helfen", sagte Thomas Wochele-Thoma, Allgemeinmediziner, Psychiater und ärztlicher Leiter der Wiener Caritas. Hier gebe es großen Bedarf. Mehr Mittel und mehr Kapazitäten in der psychologischen, psychotherapeutischen und psychiatrischen Betreuung von Flüchtlingen hilft, einer Chronifizierung der Traumatisierung vorzubeugen, die sich in jahrzehntelangen Krankheitsbildern äußern kann.

Wichtig für die Betroffenen ist auch Kenntnis von den Hilfsangeboten im österreichischen Gesundheitswesen. Doch Informationen und Aufklärung darüber könnten Effekte über den Kreis der Asylwerber hinaus haben. Pamela Rendi-Wagner sagte dazu: "Wir versuchen, das Gesundheitswesen 'Benutzer-freundlicher' zu machen. Das würde nicht nur den Flüchtlingen, sondern allen Menschen helfen." (APA, 23.8.2016)