Die Arbeitswelt verändert sich stetig und rasant – und ließ hunderte Berufe zurück, von denen heute kaum einer mehr weiß. Der Wiener Schriftsteller Rudi Palla hat für sein Buch "Verschwundene Arbeit" einige von ihnen gesammelt, beschrieben, illustriert. Eine Auswahl:

Ammen

Sogenannte Säugeammen verdingten sich nach der Geburt ihres Kindes, um ein anderes zu stillen. Welche Eigenschaften von einer Amme erwartet wurden, beschreibt eine Enzyklopädie aus dem 19. Jahrhundert: "(...) Sie muss mäßig grobe, nicht schlaffe, hängende Brüste haben (...) Die Brustwarzen müssen gehörig hervorragen und in Hinsicht der Dicke zu der Größe des Mundes passen." Häufig wurden auch Kindermädchen als Ammen bezeichnet – allerdings als "Trockenammen".

Allesschlucker

Sozusagen die frühere Version des Jungle-Camps: Die Allesschlucker. Sie unterhielten ihr Publikum mit allem, was man eigentlich gemeinhin nicht isst: Glasscherben, Sägespäne, Nägel und sogar weiße Mäuse. Eine besondere Attraktion waren die "lebenden Aquarien": Menschen, die ihren Magen so unter Kontrolle hatten, dass sie die verschluckten Gegenstände augenblicklich wieder ausspucken konnten.

Lumpensammler

Sie gab es, als Papier noch aus alten Textilien hergestellt wurde (siehe Papiermacher). In der Regel waren es teils aus Randgruppen stammende Menschen, die sich mit dieser Tätigkeit Geld beschafften. In Wien übten vor allem Frauen dieses Gewerbe aus. Die Kleidung zerschlissen, die Gesichter und Hände staubig, zogen sie ihre Lumpenfracht auf einem Wagen hinter sich her.

Lumpensammlerin. Fotografie um 1873.
Foto: Brandstätter Verlag

Laternenträger

Sie boten ihre Dienste seit dem 17. Jahrhundert in den europäischen Großstädten an und erfüllten damit die Funktion einer mobilen öffentlicher Beleuchtung: Man konnte sie mieten, um sich heimleuchten zu lassen. In Paris fungierten die Laternenträger der Überlieferung nach auch als Spitzel der Polizei – sie beobachteten alles, was vor sich ging, und berichteten am nächsten Tag, was sie bemerkt haben. Laternenträger in London standen im Verdacht, mit der Mafia zusammenzuarbeiten.

Lawendelweiber

Sie verkauften in Wien speziell im Sommer kleine Lavendelsträuße. Dabei sollen sie gesungen haben: "Kaufts an Lawendel / Zwanz’g Groschn a Bischal Lawendel, / an Lawendel hauma do /wer kauft uns an o!" Lavendel wurde etwa gegen Motten verwendet. Eine andere saisonale Erscheinung auf Plätzen, Märkten und an Straßenecken waren die Blumenfrauen. Meist verwitwet oder alleinstehend, verdienten sie sich durch das Feilbieten von Blumen ihren Lebensunterhalt mehr schlecht als recht.

Papiermacher

Im 12. Jahrhundert verbreitete sich das Handwerk in Europa. Begünstigt wurde die Papierherstellung durch die Erfindung des Buchdrucks und die zunehmende Produktion von Literatur. Papier entstand, indem alte Lumpen (siehe Lumpensammler) gewaschen, mit viel Wasser und Zusätzen in feinste Bestandteile getrennt und zerstampft wurden. Die so entstandene Masse wurde abgeschöpft und auf einem Sieb in der Größe eines Papierbogens verteilt. Die Arbeit in den Papiermühlen war eine schwere. Arbeiter hatten einen Zwölf- bis Fünfzehnstundentag und mussten Nässe, Luftzug, Staub, Hitze, Gestank und Lärm aushalten – was zu einigen Berufskrankheiten wie Lungenschwindsucht, Taubheit oder rheumatischen Erkrankungen führte. Abgelöst wurden die Papiermacher ab 1799 durch die Papiermaschine, die bereits eine fortlaufende Papierbahn produzieren konnte.

Papiermacher. Kolorierte Radierung, 1820.
Foto: Brandstätter Verlag

Planetenverkäufer

Sie waren in den Straßen Wiens unterwegs und verkauften Glücksbriefchen, sogenannte "Planeten". Diese enthielten mehrere Lotterienummern, die der Käufer dann im Lotto setzen konnte. Die Attraktion dabei war, dass die Briefchen von einer weißen Maus oder einem Papagei aus dem Kasten, den der Verkäufer vor sich hertrug, herausgezogen wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Glücksbringer nur mehr selten in den Straßen anzutreffen. Der letzte stand angeblich noch in den 1970er-Jahren auf der Mariahilfer Straße.

Säumer

Sie besorgten vor der Entstehung eines überregionalen Straßensystems vorwiegend im Auftrag von Kaufleuten die Beförderung von Waren (Saum) mit Pferden, Eseln und Maultieren, bisweilen auch über extreme Alpenrouten, wie zum Beispiel über die Hohen Tauern, den Brenner, den Großen Sankt Bernhard und den Septimer in den Graubündner Alpen. Der Landtransport im Allgemeinen war beschwerlich, kostspielig und mitunter recht riskant, weswegen man Reisegemeinschaften bildete.

Schriftsetzer

Ihre Aufgabe bestand darin, Druckformen aus beweglichen Lettern zusammenzusetzen. Weil sie sie so flink aus den rund hundertzweiundfünfzig Kästchen im Setzkasten zusammensuchten, nannte man sie auch "Affen". Bei seiner Arbeit stand der Schriftsetzer vor einem Pult, dem Setzregal, einem schräg ansteigenden Setzkasten. Jene Lettern, die häufig gebraucht wurden, befanden sich möglichst in der Nähe. Hatte der Schriftsetzer einen Satz fertiggestellt, wurde der Satz mit einem starken Bindfaden festmacht. Danach wurde eine Fahne angefertigt: Der Satz wurde mit einer Walze schwarz eingefärbt und dann auf einem Papierstreifen abgezogen. Ein Korrektor zeichnete die Fehler an, einen fehlerlosen Satz nannte man "Jungfrau". Waren alle Fehler berichtigt, wurde der Text Verfasser und Verleger gezeigt. Sie erteilten schließlich die Genehmigung – und der Satz konnte in den Druck.

Schriftsetzer in Wien (1926). Ganz links ist der Vater von Rudi Palla abgebildet.
Foto: Brandstätter Verlag

Schwammstoffkrämer

Aus Baumschwämmen (insbesondere aus Buchenschwämmen) produzierten Bauern meist samtweiche und federleichte Mützen, Westen und Hosen, die sie anschließend verkauften. Die Herstellung funktionierte folgendermaßen: Der Schwamm wurde kräftig geklopft und ein paar Tage lang in Aschenlauge eingelegt – bis er weich und dehnbar war. Die so entstandenen "Hadern" trocknete man, schnitt sie zu und nähte sie zusammen. In Wirtshäusern soll es zu Raufereien gekommen sein, wenn ein Bursch die Schwammstoffkappe des anderen anzündete.

Siebmacher

Auch Sieber, Sieberer oder Simmer genannt, übten ein sehr altes Gewerbe aus – sie gab es schon seit zirka 1300. Die Haarsieber flochten Siebe aus Pferdehaaren, aber auch aus Draht und Holz, die zum Durchsieben von allem Möglichem dienten: Farben, Mehl, Gries, Grips, Schießpulver, Gewürzen, Apothekerwaren – und auch als Formen für Papiermacher. Die "Reiterer" fertigten eher grobe Siebe und Geflechte zum "Reitern" (zum Beispiel von Gries und Schotter) an.

Silhouettenschneider

Sie zeichneten (silhouettierten) den an die Wand projizierten Schatten einer oder mehrer Personen nach, verkleinerten dann die Darstellung und malten sie entweder mit Tusche an oder schnitten sie mit der Schere aus schwarzem Papier aus. Die Technik stammt ursprünglich aus dem Orient, in Frankreich wurde sie ab dem 18. Jahrhundert verwendet. Dort kam auch der Begriff "silhouette" auf – nach dem Finanzminister Étienne de Silhouette, wegen dessen Sparprogramm zu dieser Zeit möglicherweise die Schattenmalerei teuren Porträts vorgezogen wurde. Auch in Deutschland und Österreich waren die Bilder beliebt.

Silhouette aus der Postkartenserie "Wien bei Nacht". entstanden um 1905.
Foto: Brandstätter Verlag

Zinngießer

Sie gossen aus Zinn Geschirr wie etwa Kannen, Teller, Krüge, Pulverflaschen, Löffel, Leuchter und dergleichen. Im Mittelalter waren die Zinngießer in Zünften zusammengeschlossen. Zinn wurde im großen Umfang seit dem 13. Jahrhundert verarbeitet, als im sächsischen Erzgebirge Zinnlager entdeckt wurden. Die Blütezeit der Zinngießerei in Deutschland, Österreich und der Schweiz war zwischen 1570 und 1640. Die damals entstandenen Produktionen bezeichnet man als Edelzinn, sie waren meist mit figurenreichen Reliefs verziert. (Lisa Breit, 28.8.2016)