Die Regierung verständigte sich im Vorjahr auf ein Bonus-Malus-System. Es tritt in Kraft, wenn Betriebe zu wenig ältere Mitarbeiter beschäftigen. Der Gerontologe Franz Kolland fordert mehr, nämlich ein grundsätzliches Umdenken beim Thema Lebensverlauf.

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"Das Bonus-Malus-System ist eine Form positiver Diskriminierung, die zu Beginn, als stimulierendes Instrument, sinnvoll sein kann. Ein Allheilmittel ist es nicht", sagt Kolland.

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STANDARD: Ab der Lebensmitte solle man nicht mehr als 30 Stunden pro Woche arbeiten, alles darüber mindere die kognitiven Fähigkeiten, sagt eine neue Studie der University of Melbourne. Eine Harvard/MIT-Studie besagt wiederum, man werde im Alter nicht schlechter, sondern könne mit anderen Fähigkeiten aufwarten. Was stimmt?

Kolland: Die Einschätzung, dass man wegen abnehmender kognitiver Fähigkeiten weniger arbeiten sollte, teile ich nicht. Menschen bauen ab, wenn sie nicht gefördert werden. Was die Entwicklung der Fähigkeiten angeht: Reaktion und Schnelligkeit nehmen im Laufe des Lebens ab. Das pragmatische und das Kulturwissen nehmen zu, ebenso der Wortschatz und die Fähigkeit, Schlussfolgerungen zu ziehen.

STANDARD: Älteren wird, gerade im Umgang mit Technik, Widerstand, Neues zu lernen, attestiert. Bestätigt das Ihre Forschung?

Kolland: Empirisch zeigt sich schon, dass ältere Arbeitnehmer skeptischer gegenüber Neuerungen sind. Der Aufwand wird ihnen schnell zu groß. Dafür haben ältere Arbeitnehmer Erfahrung, kennen die Betriebskultur. Sie haben im Vergleich zu Jungen ein höheres Pflichtgefühl, eine stärkere soziale Verantwortung. Und sie wollen gestalten. Nicht zuletzt sind sie auch seltener krank.

STANDARD: Warum schätzen das Betriebe oft nicht? Ein gesellschaftliches Problem?

Kolland: Einerseits hat es mit dem Arbeitsmarkt zu tun – wie viel Arbeit gibt es? Wenn die Lebenserwartung steigt und das Arbeitsvolumen sich nicht dementsprechend mitentwickelt, entsteht eine Lücke. Die zweite Frage ist, was Alter in der Gesellschaft bedeutet – ist Erwerbstätigkeit Teil des Lebens? Da haben wir uns in den 70er-Jahren dazu entschieden zu sagen: Ruhestand ist ein sozialer Fortschritt. Und jetzt versuchen wir, die Grenze wieder nach oben zu verschieben, mit großer Mühe, weil wir uns an eine lange Ruhestandsphase gewöhnt haben. Und den Unternehmen ist das auch recht: Sie schicken Mitarbeiter in Frühpension – anstatt sie neu zu integrieren.

STANDARD: Die Regierung hat im Vorjahr ein Bonus-Malus-System beschlossen, damit Betriebe mehr Ältere beschäftigen – wobei noch nicht klar ist, ob es tatsächlich kommt. Ist das Instrument Zuckerbrot/Peitsche richtig?

Kolland: Viele dieser Steuerungssysteme sind gut gemeint, aber schwierig umzusetzen. Wenn sie nicht auf die Bedürfnisse sowohl der Unternehmen als auch der Arbeitnehmer ausgerichtet sind, werden sie unterlaufen. Wir Gerontologen haben uns immer den gleitenden Übergang in die Pension gewünscht. Daraus ist nie etwas geworden, trotz Gesetzes. Die Betriebe haben einen Weg gefunden, es zu umgehen. Man müsste eher die Vorstellung auflösen, dass ein Leben in Phasen ablaufen muss: erst Ausbildung, dann Arbeit, zuletzt Pension. Es müsste gängiger werden, immer wieder zu arbeiten, dann auszusteigen, um sich zu bilden. Mit diesem Modell können die Unternehmen aber – noch – nicht umgehen. Das Bonus-Malus-System ist eine Form positiver Diskriminierung, die zu Beginn, als stimulierendes Instrument, sinnvoll sein kann. Ein Allheilmittel ist es nicht.

STANDARD: Wie viele Ältere beschäftigt werden, ist je nach Branche höchst unterschiedlich. Woran liegt das?

Kolland: Das hat mit den Tätigkeiten zu tun – sind sie wissensbasiert, technologiebasiert? In Softwareunternehmen zum Beispiel gibt es etwa einen Trend zu jüngeren Beschäftigten. Die Pflege ist ebenfalls ein Bereich, in dem eher Junge arbeiten, weil sie die Belastungen besser aushalten. Branchen wie der Handel tendieren zu Älteren. Im öffentlichen Sektor haben wir ein höheres Durchschnittsalter. Er wäre ein Vorbild.

STANDARD: Sie erforschen in einem Projekt altersgerechte Arbeitsplätze. Was gibt es da Neues?

Kolland: Wir entwickeln derzeit ein Gerät für den Schreibtisch. Über Sensoren beobachtet es, was man gerade tut – und schlägt Übungen vor. Aus der Körperhaltung kann es auch schließen, wie man psychisch drauf ist. Der Arbeitsplatz muss verändert werden, über die traditionellen Formen der Gesundheitsförderung – à la "Essen Sie einen Apfel" – hinausgehen.

STANDARD: Was braucht es, damit die angesprochenen kognitiven Fähigkeiten erhalten bleiben?

Kolland: Seminare mit spezifischen Themen wie etwa Computerkurse sind zwar gut – tragen aber nicht dazu bei, dass kognitive Fähigkeiten beibehalten werden. Besser ist alles, was komplexer aufgebaut ist. Da muss Bewegung dabei sein, müssen unterschiedliche, emotionale und kognitive Aspekte angesprochen werden. Ideal: wenn ein Lerninhalt auch für das tagtägliche Leben relevant ist.

STANDARD: Nächste Herausforderung: Generationenmanagement. Wie fördern Chefs und Personaler, dass Jüngere und Ältere gut zusammenarbeiten?

Kolland: Voraussetzung ist, sich überhaupt einmal dessen bewusst zu werden, dass es unterschiedliche Generationen in Unternehmen gibt. Personalentwickler und Chefs haben heute meist nur das Individuum im Blick. Das ist sicher nicht die richtige Strategie im Sinne eines Generationenmanagements. Denn in Betrieben arbeiten unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Werten und Interessen. Sie muss man sich ansehen: Was kann die Generation Y? Im Vergleich zur Generation X und den Babyboomern? Diese Verschiedenheit sollte nicht als Problem gesehen werden, sie gilt es fruchtbar zu machen. (30.8.2016)