Ägyptische Obelisken, griechische Säulen: Für seinen Umbau der Prager Burg (1920-1934) ...

Foto: Damjan Prelovsek

... griff Josef Plecnik auf das Vokabular der Antike zurück.

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Ein Meisterwerk der Proportion: das Zacherlhaus in Wien (1903-1905).

Foto: Wikimedia / Thomas Ledl

Es sollte sein lukrativster Auftrag werden, doch am am Anfang wollte der Architekt ihn gar nicht haben: "Ich habe mich mit Zähnen und Klauen gewehrt, auf die Burg zu kommen", schrieb der Architekt Josef Plečnik später rückblickend. "Heutzutage bereue ich es nicht. Gott weiß, was mit mir ohne das wäre." Die Bauaufgabe, gegen die er sich so sträubte, war nicht irgendeine, und der Bauherr nicht irgendwer: Tomás G. Masaryk, erster Präsident der eben gegründeten Tschechoslowakei, ernannte den Slowenen Plečnik 1920 zum Architekten, der die Prager Burg zum Zentrum der jungen Republik umbauen sollte.

Nation-Branding würde man dieses Vorhaben heute nennen, und nicht wenige Prager dürften sich damals gewundert haben, dass kein Landsmann dafür zum Zuge kam. Plečnik, 1872 in Laibach geboren, hatte sich in Wien als einer der begabtesten Schüler Otto Wagners mit Bauten wie der Heilig-Geist-Kirche in Ottakring (1911-1913) einen Namen gemacht. 1911, nachdem ihm Thronfolger Franz Ferdinand, der den Ottakringer Kirchenbau verabscheute, die Ernennung zum Nachfolger Wagners an der Hochschule verweigerte, zog Plečnik nach Prag, um dort zu lehren.

Es ist eine heute oft vergessene Tatsache, dass die Tschechoslowakei in der Zwischenkriegszeit eines der fortschrittlichsten und hochtechnologisiertesten Länder Europas war. Ludwig Mies van der Rohes mit damals geradezu futuristischer Haustechnik ausgestattete Villa Tugendhat in Brünn oder die Fabrikstadt, die für den Schuhproduzenten Tomás Bat'a in Zlín errichtet wurde, gehörten in den 1920er-Jahren zum Modernsten, was der Kontinent zu bieten hatte. Auf dem Hradschin zählten jedoch andere Dinge. Hier sollte der Grundstein zur demokratischen Staatsidentität nicht mittels Hightech, sondern mit der Rückbesinnung auf ewige Werte legitimiert werden.

"Fortschritt und Funktionalismus gab es unten in der Stadt. Auf der Burg sollte nur das Beste vom Besten, die edelsten Baumaterialien, zur Anwendung kommen", erklärt der slowenische Plečnik-Experte Damjan Prelovsek, dessen Großvater als Laibacher Bauamtsdirektor dem Architekten viele seiner dortigen Projekte ermöglicht hatte.

Präzise Eingriffe

Nicht zuletzt sollte die Burganlage durch die Umbauten quasi "enthabsburgisiert" werden, und der mediterran geprägte Slowene Plečnik war dafür die ideale Wahl. Für seine präzise gesetzten Eingriffe, die 14 Jahre in Anspruch nehmen sollten, griff Plečnik vor allem auf das Formenvokabular der Antike zurück: Pyramiden und Obelisken, eine massive Granitschale und eine geradezu lustvolle Vorliebe für Säulen, ob in Hallen, Stiegenhäusern, Salons oder in den von ihm dezent mediterranisierten Gartenanlagen. Und als die für ein anderes Projekt in Laibach vorgesehenen Säulen nicht verwendet werden konnten, wurden sie kurzerhand nach Prag exportiert und aus Platzgründen ganz pragmatisch zu minoischen Säulen umgeformt. "Für Plečnik galt die Säule als das Grundelement aller Zivilisationen", so Damjan Prelovsek. "Er sagte einst, er fände es traurig, in einer Stadt ohne Säulen zu leben."

"Plečnik bracht den frischen Wind der Renaissance ins herrschaftliche Barock", erklärt Architekt Boris Podrecca, der seit 1967 mehrere Plečnik-Ausstellungen konzipiert hat. "Er dachte Architektur in allen Maßstäben: Er bezog die Ausblicke auf die Stadt Prag mit ein und entwarf Sitzmöbel, die sowohl modern als auch würdevoll und bequem sind." Angesichts der Fülle an historischen Bezügen ist es kein Wunder, dass es die Postmodernen waren, die Plečnik in den 1980er-Jahren als Erste weltweit wiederentdeckten. War er womöglich selbst ein früher Postmoderner? "Auf keinen Fall!", so Podrecca. "Er war nie ironisch, und man kann ihn nicht auf einen Stil festnageln. Es ging im nicht um das Etablieren einer Marke, sondern um den Ausdruck und das totale Handwerk der Architektur." Vielleicht ist es diese Nichtgreifbarkeit, die dem Werk des slowenischen Architekten einerseits eine Zeitlosigkeit verleiht, ihn andererseits aber nie zur leicht identifizierbaren Berühmtheit werden ließ.

Gekränkter Rückzug

Den Luxus von Zeit, Geld und Vertrauen, den er auf der Prager Burg genoss, hatte schließlich ein Ablaufdatum: 1934, zu Beginn von Masaryks letzter Amtszeit, stießen Plečniks Pläne für die Burg-Umgebung auf harten Widerstand der Prager Bürgerschaft. Er zog sich gekränkt nach Laibach zurück. Erst 1996 holte ihn eine Prager Retrospektive wieder am Ort seines Schaffens ins Bewusstsein zurück. Aus gutem Grund, wie Boris Podrecca anmerkt: "Ich kenne in ganz Europa keinen besseren Umbau als diesen. Punkt!"

Wem der Weg nach Prag zu weit ist, der kann sich eines der frühen Meisterwerke Plečniks jederzeit direkt ums Eck vom Stephansdom anschauen: das heute noch fast ganz originalgetreu erhaltene Zacherlhaus (1903-1905). Mit seiner vertikal rhythmisierten Steintapete aus Granitplatten, gekrönt von einer Reihe dunkel-muskulöser Atlanten, und dem schwungvoll um die Straßenecke sausenden kantigen Fries ist es damals wie heute perfekt maßgeschneidert für den Ort, an dem es steht.

Gesamtkunstwerk

Für den neugierigen Besucher gibt es jetzt einen ausführlichen Reiseführer: Die erste Monografie des Gebäudes, herausgegeben von den Nachfolgern des Bauherrn, zeigt Pläne aus der Entstehungszeit, weniger bekannte Details aus dem Innenraum wie die heute noch avantgardistisch anmutende Verwendung von Bodenparkett als Wandverkleidung und macht deutlich, welch durchdachtes Gesamtkunstwerk der Bau ist, der zudem aus einer gelungenen Symbiose von Architekt und Bauherr entstand. Ob in Wien oder Prag: Die Wiederentdeckung dieses zeitlosen und im besten Sinne unmodischen Architekten lohnt sich immer wieder. (Maik Novotny, Album, 28.8.2016)