"Die Füchsin spricht schlau und reflektiert von scheinbar gegensätzlichen emanzipatorischen Kräften": Sabine Scholl.

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Kommt ein Mann in eine Bar und ruft: "Ich habe mein Doktorat beendet, und meine Frau ist schwanger!" "Aber wie stellst du dir mit Kind bloß eine Karriere vor?" Die Verbspitzenstellung verrät den Witz: Der Mann muss sich nicht entscheiden. Für die Frau gibt es Selbstermächtigung nur, wenn sie aufs Mutter-Sein verzichtet, so Marlene Streeruwitz 1998 in der Tübinger Poetik.

Selbst 2016 ist auf Care-Arbeit öfter jene Person des (heterosexuellen) Pärchens abgestellt, die im Rollenfach Frau spielt. Weiß auch Toni aus Sabine Scholls Roman Die Füchsin spricht, abgesägte Uni-Lektorin, Geliebte, Mutter: "Hausfrauen leben gefährlich. (...) in Summe bleiben keine Zeiten, auf die sie rechnen können bei der Rente. Ernte und Rente ist übrigens ein Anagramm. (...) Auch Lehren ist wie Hausfrausein (...) Toni verschwendet sich." Das Berufsleben ist für die Alleinerzieherin eine Zerreißprobe mit Rückenproblemen. Weibliche Schlangen, erfährt Toni, sind eben "easier to catch. They lay eggs."

Mehr als die bewilligte Rolle

Bereits im vorigen Roman erarbeitet die weibliche S. den (sabotierten) Lebensentwurf Schriftstellerin und Mutter. Rückendeckung holt sie sich von Arachne, die zur Strafe für ihre Kunst in eine Spinne verwandelt wird, sowie von Maman, der Bronzeskulptur mit Spinneneiern von Louise Bourgeois.

Das Motiv der Spinnerin wird nun zu jenem der Füchsin, und die genderambigen Rufnamen von Toni (eine jener Frauen, denen es gefälligst "unangenehm [sein soll], mich selbst wichtig zu nehmen") und der Freundin Sascha (die Ausnahme) verdeutlichen: Diese Figuren wollen mehr, als die von einer patriarchal strukturierten Gesellschaft bewilligte Rolle zu multiplizieren. Toni schwindelt beim Alter und wartet genügsam auf den "Sextermin" des Liebhabers (zur Strafe bleibt dieser konturlos), ahnt aber auch, dass sie anstatt Angst vor Liebesverlust Wut braucht.

Gegen den Macho-Kollegen mit unbefristetem Vertrag und Hang zum egoistischen Expandieren im Gemeinschaftsbüro ("An Office Of One's One" ). Gegen ihren Ex Georg, der bei neuer Frau plus Sohn in Japan blieb und via Skype ein nicht genügender Vater für Tochter Kiki in Berlin ist. Gegen Kiki, wenn sie Mütter den Kindern untertan glaubt, sie gelernt hat, sich zu-zu-zu (breit, krumm, großporig) zu fühlen, sich von Akteuren der "rape culture" zum Getränk einladen lässt.

Internalisierter Blick

Und gegen Sascha. Die hat, Philosophin hin oder her, den patriarchalen Blick internalisiert und wendet ihn systemerhaltend an: Mit einem von Schwangerschaft veränderten ("ruinierten") Körper könnte sie nicht weiterleben, dünn müssten Frauen sein, Bäuche dürften nur Männer haben. Mit diesen, Mächtigen, gibt sich Sascha ohnehin lieber ab: "Diese Frauenrunden verkörpern im Grunde die gesammelte Ohnmacht. Hüte dich davor!"

Sascha ist keine, mit der eine Frauenbewegung zu machen wäre, dafür hat Toni ihre andere Freundin, Anniko, ehemals Künstlerin, nun Hundezucht mit Ehemann (oder Aneignung und Vermarktung von Gebärfähigkeit). Ihre Lebens- und Fluchtgeschichte über den Eisernen Vorhang wird runtergerattert, doch höchst aktuelle Conclusio ist: Einst wurden Geflüchtete mit Getränken willkommen geheißen – und jetzt?

Zweites Thema ist Japan nach dem 11. März 2011. Abseits von Fukushima berichtet Scholl vom Umgang mit diesem "Familiengeheimnis, das man am besten verschweigt", und schafft es, nicht in Exotismus zu verfallen. Leider liest sich die Vermittlungsebene (Georgs E-Mails an seinen Freund, Annikos Mann Bela in Deutschland) wie ein formales Vehikel. Für – aus seiner Freundschaft zum Mail-Adressaten heraus – unlogisch Vermitteltes als auch für ein nicht überzeugendes Präteritum muss Georg bei der Lektüre verziehen werden.

Was heulst du?

Außerdem verziehen werden muss – und kann auch – manche Onomatopoesie (" Ring-ding-ding-ding-dingeringeding"), Verallgemeinerung (die Strumpfhosen der Studentinnen "an den langen Beinen") und Beschreibung ("Belas beruhigender Bass", "Werners mächtiger Kopf"). Dass Scholl Toni gendergerechte Sprache einfordern lässt, ihr selbst aber meist bloß das generische Maskulin in den Mund legt, ja, Toni sogar kritisiert, "keine eigene Sekretärin" zu haben, ist schade.

"Was heulst du?", könnte mit dem ersten Satz des Romans die Forderung der Rezensentin nach zur Abwechslung mal einem Sekretär (sowie nach Sekretärinnen, die mal Charaktere sein dürfen statt Klischees) vom Tisch gefegt werden.

Abseits von Nick Caves Weeping Song, dem Roman-Soundtrack, heule ich auch gar nicht (selbst wenn Sabine Scholl aufgrund der aufklärerischen "Wut, die aus Traurigkeit kommt" genug Gründe dafür aufzählt), denn es bleibt genug Gewichtiges übrig: Zoom in den Wissenschaftsbetrieb durch eine, die ihn (als Frau mit feministischem Blick) kennt. Mahnung, als Mutter nicht die "personifizierte Sorge" zu sein. Und Analyse, wie politische Manipulation eine Bevölkerung an "patriotische Pflicht" glauben macht. Die Füchsin spricht schlau und reflektiert von scheinbar gegensätzlichen emanzipatorischen Kräften: Selbstermächtigung und Solidarität. (Nadine Kegele, 27.8.2016)