Youssef Chahed, 40, wurde als tunesischer Premier eingeschworen.

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Gute Nachrichten aus der arabischen Welt sind rar und werden viel zu wenig zelebriert: Eine davon ist, dass Tunesien, das verbliebene Hoffnungsland des Arabischen Frühlings, wieder eine funktionsfähige Regierung auf breiter Basis unter Einschluss etlicher Experten hat.

Auch der Premier selbst gehört zu dieser Spezies: Youssef Chahed ist zwar hochrangiges Mitglied von Nidaa Tounes, der Partei des 89-jährigen Staatspräsidenten Beji Caid Essebsi. Aber der noch knapp 40-Jährige – seinen Geburtstag feiert er Mitte September – ist ein in Frankreich promovierter Agrarwissenschafter. Er lehrte an unterschiedlichen Universitäten, war jedoch ebenso bereits als Praktiker tätig, etwa im Vorjahr als für Fischerei zuständiger Staatssekretär im tunesischen Landwirtschaftsministerium. Oder schon in den 2000er-Jahren, als er mit internationalen landwirtschaftlichen Organisationen zusammenarbeitete, speziell auch Tunesien betreffend. Er spricht Arabisch, Französisch, Englisch und Italienisch.

In die Politik hatte sich Youssef Chahed bald nach dem Sturz von Tunesiens Langzeitdiktator Zine el-Abidin Ben Ali gestürzt. Er wurde 2012 zum Gründungsmitglied von al-Joumhouri, einem Zusammenschluss von etlichen gleich nach der Revolution gegründeten Parteien. 2012 folgte er dem "Ruf" – "Nidaa", wie in Nidaa Tounes, heißt nichts anderes – von Essebsi, mit dem er über fünf Ecken verwandt ist. "Der Schwiegersohn des Präsidenten ist der Bruder der Frau von Youssef Shaheds Onkel", stellte die tunesische Präsidentschaftskanzlei klar. Dennoch wollten einzelne Kritiker Nepotismus sehen, als ihn Essebsi als Nachfolger des vom Parlament Ende Juli gestürzten Habib Essid in Stellung brachte.

Chahed, verheiratet und Vater einer Tochter, wurde am Samstag nach locker gewonnener Vertrauensabstimmung angelobt. Er ist der siebente Premier seit 2011. Sein Kabinett kombiniert Parteimitglieder – auch der islamistischen Ennahda-Partei, sonst wäre es keine Regierung der Nationalen Einheit – und Unabhängige. Einige Mitglieder des Sebsi-Kabinetts – darunter Innen-, Verteidigungs- und Außenminister – durften bleiben, aber sonst standen drastische Veränderungen an: Fünf Regierungsmitglieder sind jünger als 35 Jahre alt, acht sind Frauen, und mit Lamia Zribi hat eine davon das Finanzministerium inne. Seine 2003 verstorbene Großmutter hätte es gefreut: Radhia Haddad war eine berühmte tunesische Feministin. (Gudrun Harrer, 28.8.2016)