Wien – Seelenpein ist ein günstiger Nährboden für expressionistische Kunst. Dabei wird gerne auf die psychische Schieflage vergessen, die sie auslöst. Andrea Schroeder verzichtet ihrerseits auf wildes Gehabe, spart aber dennoch nicht die körperlichen Zustände aus, die daraus resultieren. Sie singt darüber, wie jede Zelle ihres Körpers das ihr zugeführte Gift willkommen heißt oder wie ihre Haut wie Feuer brennt.

Derlei berichtet sie in einem distanzierten Tonfall, dessen Nonchalance sie in die Nähe jener großen Damen rückt, die aus Anerkennung ihrer Autorität nur noch beim Nachnamen gerufen werden: die Dietrich, die Päffgen ... Mit derlei Vergleichen schlägt sich die in Berlin lebende Sängerin seit ihrem Auftauchen vor etwa fünf Jahren herum. Doch sie lebt gut damit. Zumal diese Verwandtschaft nicht künstlich nachgebaut wurde, sondern natürlich entstand. Die Schroeder singt nun einmal edelherb.

Die Zeit läuft uns allen davon, aber das ist kein Grund, deshalb die Haltung zu verlieren. Andrea Schröder lebt es vor und durchmisst auf ihrem dritten Album "Void" existenzialistische Balladen mit der Grandezza einer Diva. Am 30.11. live im Theater Akzent.
Foto: Glitterhouse / Tobias Lang

Größere Bekanntheit erreichte sie mit dem 2014 erschienenen Album Where The Wild Oceans End. Ihre Interpretation von David Bowies Lied Helden wurde ein kleiner Hit in Lokalen, in denen der Zutritt nur in schwarzem Stoff erlaubt ist. Zugleich ließ das Album die Stimmung von Westberlin während der 1980er-Jahre hochleben, ohne es zu sehr darauf anzulegen. Nun veröffentlichte Andrea Schroeder ihr drittes Album, Void, Ende November stellt sie es in Wien live vor. Void, das bedeutet Leere, das Nichts, überzeugt also nicht gerade mit Lebensbejahung, sondern liegt im internationalen Trend des Zweckpessimismus.

Dunkle Balladen

Dabei ist das natürlich kokett. Immerhin hat Schroeders Kunst in den letzten Jahren nicht nur das geneigte Publikum erreicht und überzeugt, einschlägige Mitstreiter betreten ebenfalls ihre Welt. Schroeders Kunst ist die dunkle Ballade, die je nach Thema im Tempo etwas anzieht oder eben nicht. Drückende Gitarren und ein gewaltbereiter Bass werden jedoch von ihrer Federboa vom Schmutz der Gosse befreit, erfahren im Dunkel der Nacht ihre toxische Weihe. Kristof Hahn etwa, von den Swans, spielt die Lap- Steel-Gitarre, Mike Strauss drückt Tasten, diverse Wunden versorgen dramatische Streicher.

Andrea Schroeder

Entstanden ist so eine stringente Sammlung von Liedern, die bis zum Hals im Zustand eines existenzialistischen Blues stehen, jedoch bis zum letzten Atemzug um Haltung bemüht sind, nie ins Banalexpressionistische abdriften, nie übertreiben. Wenn schon Unglücklichsein oder Versumpfen, dann mit Contenance und einem korrekt fallenden Kleid. Sogar Diven haben eine Bringschuld.

Mit Zuschreibungen wie Chanson- oder Pop Noir müht sich die Fachpresse an Schroeder entsprechend ab, sie durchmisst derweil einen Song wie Kingdom, einen frühen Höhepunkt auf Void, und erfreut sich der Dämonen und dunklen Ecken ihres Königreiches. Wozu vor dem Unausweichlichen fliehen, man kann es doch einfach willkommen heißen. Das verleiht Schroeder eine Größe, die in jedem Song, in all ihren Rollen, die sie dafür einnimmt, überzeugen lässt. Demnächst wird sie an der Seite von Mick Harvey schwer atmen, wenn sie gemeinsam Serge Gainsbourgs Je t'aime ... moi non plus singen. Ihr Ansehen wird darunter nicht leiden. (Karl Fluch, 30.8.2016)