Männliche Flüchtlinge sind in der Regel sehr motiviert, eine Arbeit anzunehmen. Es lohnt sich aber, sie zu etwas Geduld zu ermutigen. Eine Lehre erhöht die Chancen am Arbeitsmarkt gewaltig.

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Will Lehre nach Matura besser verkaufen: Johannes Kopf.

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STANDARD: Fürchten Sie sich als AMS-Chef vor Robotern? Gehen uns die Jobs aus?

Kopf: Nein. Seit den Maschinenstürmern wird behauptet, die Maschinen nehmen uns die Arbeit weg. Das war auch immer richtig, sie haben uns Jobs weggenommen. Es sind aber neue entstanden. Mir macht das aber trotzdem Stress. Denn die Leute, die den Job verlieren, finden nicht immer einen in der neuen Branche. Deshalb ist es eine Herausforderung. Wenn Österreich intensiv in Bildung und Forschung investiert, können wir etwas anderes schaffen, nämlich dass bei uns die Roboter gebaut werden, die Menschen woanders die Arbeit wegnehmen.

STANDARD: Die Bildungsausgaben sind hierzulande relativ hoch. Trotzdem mehr Geld ausgeben?

Kopf: Nachdem sich dieses System schon lange stark gegen große Reformen wehrt, bin ich der Meinung, dass man auch in ein nichtoptimales System mehr Geld stecken kann. Es ist so: Wir wissen, welche Qualifikationen wir morgen brauchen, aber nicht, welche übermorgen. Trotzdem ist die Antwort mehr Bildung. Denn wer sind die Leute, die im Laufe des Lebens eher etwas dazulernen? Das sind immer die Qualifizierten. Selbst das falsche Studium ist besser als keines. Das Hirn ist trainiert. Wenn sie drei Ballsportarten können, lernen sie die vierte schneller. Auch im frühkindlichen Bereich, etwa im Kindergarten, muss man massiv investieren.

STANDARD: Wenn jetzt eine 14-Jährige zu Ihnen kommt und um Rat fragt, raten Sie ihr also zu einem Studium?

Kopf: Nein. Der Standort Österreich kann weiter eine besondere Rolle in Europa haben, wenn er auf das Thema Fachkräfte setzt. Die Lehre hat ein Imageproblem gegenüber Matura und Uni. Viele Betriebe haben Probleme, gute Lehrlinge zu finden. Die Guten von früher machen jetzt höhere Schulen. Die eher Schwächeren drängen tendenziell in die Lehre. Das Niveau des durchschnittlichen Lehranfängers ist dadurch gesunken, obwohl die Betriebe eigentlich Bessere brauchen würden. Lehre mit Matura ist toll, aber ich glaube, wir müssen auch auf Lehre nach Matura setzen. Viele Eltern wollen eine Matura für ihre Kinder, damit sie für das Leben gerüstet sind. Wenn Firmen gut qualifizierte Facharbeiter suchen, sollten sie sich an diese Maturanten wenden. Man kann das schon heute machen, es passiert aber selten. Wir müssen die Marke Lehre nach Matura erst entwickeln.

STANDARD: Der Integrationsexperte August Gächter schlägt eine Lehre für bis zu 50 Prozent der Flüchtlinge vor. Ist das sinnvoll?

Kopf: Wir wissen noch nicht, für wie viele das infrage kommt. Ich gebe ihm aber völlig recht, dass die Lehre ein ganz entscheidender Faktor bei der Integration in großen Zahlen sein könnte. Viele Flüchtlinge kennen die duale Ausbildung nicht. Die haben acht, zehn Jahre als Schlosser gearbeitet, aber keine formale Ausbildung dafür. Für einen 25-Jährigen stellt sich für uns jetzt die Frage: Arbeitet er als Hilfsarbeiter? Oder schaffen wir es, dass wir Teile anrechnen und sie schnell, in ein bis zwei Jahren, zu einem Lehrabschluss bringen? Integration ist dann erfolgreich, wenn wir ihre Kompetenzen nutzen.

STANDARD: Bis ein Flüchtling eine Lehre hat, vergehen aber Jahre. Viele wollen gleich Geld verdienen.

Kopf: Das ist kein seltener Fall, den Sie da schildern. Oft ist es eine ökonomische Notwendigkeit. Wenn ich in Oberösterreich 520 Euro Mindestsicherung bekomme, muss ich möglichst schnell an Geld kommen. Viele müssen auch für ihre Familie in der Heimat sorgen. Wir müssen diesen Leuten klarmachen, Hilfsarbeit ist gut und ehrvoll, aber führt langfristig eher in eine Sackgasse als eine Qualifizierung. Vielleicht finden sie jetzt noch Jobs, wo sie jung und stark sind. Werden sie älter, landen sie aber möglicherweise in der Arbeitslosigkeit.

STANDARD: Wie können wir mit dem Problem umgehen, dass man mit einer Lehre weniger verdient als etwa mit der Mindestsicherung?

Kopf: Mit der Lehrlingsentschädigung im dritten Jahr komme ich in vielen Berufen schon auf das Niveau eines Hilfsarbeiterjobs. Ein Beispiel: Ein Lehrling findet eine Stelle in Kärnten, verdient am Anfang 390 Euro. In Wien bekommt er aber 800 Euro Mindestsicherung. In Kärnten wird in so einem Fall in der Regel nicht aufgestockt. Man sollte, wenn man eine Lehre macht, in ganz Österreich auf die Mindestsicherung aufgestockt werden können. Außerdem braucht es einen einheitlichen Satz in ganz Österreich. Sonst haben wir bei der überregionalen Vermittlung Probleme.

STANDARD: Der große Flüchtlingsandrang hat vor einem Jahr begonnen. Was haben Sie für sich selbst gelernt seither?

Kopf: Wir haben uns professionalisiert. Manches Integrationsversäumnis der Vergangenheit hatte auch damit zu tun, dass wir noch nicht so aufgestellt waren wie jetzt. Schwierig ist noch immer die Kommunikation zu dem Thema. Es ist kaum möglich, differenziert zu argumentieren. Wir haben gelernt, dass es keine Lösung von der Stange gibt. Sie ist stark individualisiert. Freiwilliges Engagement ist auch sehr wichtig.

STANDARD: Zehn Prozent der Flüchtlinge, die sich 2015 beim AMS gemeldet haben, haben heute einen Job. Ist das viel oder wenig?

Kopf: Das ist genau das, was uns Studien zum Thema zuvor gesagt haben. Eine provokante Gegenfrage. Wie lange braucht es, bis ein Österreicher in Frankreich die Sprache so kann, bis er einen Job hat? Das braucht Zeit.

STANDARD: Was halten Sie vom Kurz-Vorschlag, mehr auf gemeinnützige Arbeit zu setzen?

Kopf: Während des Asylverfahrens fördert das die Integration. Bei Asylberechtigten weise ich darauf hin, dass in Deutschland mit hunderttausenden Ein-Euro-Jobs etwa die ausgeschriebenen Stellen im Pflegebereich eingebrochen sind. Wichtig ist auch, dass man das zuletzt macht. Zuvor muss man sich um eine Ausbildung und einen Job bemühen. Erst wenn ich da keine Chance habe, kommt das infrage.

STANDARD: ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka sieht bei Flüchtlingen mangelnden Arbeitswillen. Wie ist die Erfahrung des AMS?

Kopf: Bei den Männern haben wir diese Erfahrung bisher nicht gemacht. Es wird schon einzelne Fälle geben, die meisten sind aber sehr motiviert. Viele verstehen nicht, dass sie nicht sofort arbeiten können. Mir wird aber berichtet, dass bei Frauen etliche dabei sind, die noch nie gearbeitet haben. Die sehen ihre Rolle hier so wie Frauen bei uns vor 40 Jahren. Das wird eine Herausforderung. Die Regelung bei der Mindestsicherung ist aber klar, man hat keine Wahl. Jobs sind anzunehmen. (Andreas Sator, 31.8.2016)