Angela Drescher (Hg.)
Brigitte Reimann, Christa Wolf
Sei gegrüßt und lebe

Eine Freundschaft in Briefen und Tagebüchern 1963–1973
Aufbau Verlag 2016
270 Seiten, 21,95 Euro

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"Möglichst nicht gar zu sehr gegen den eigenen Strich zu leben, (...) ist die einzige Art von Tapferkeit, die ich heute sehe", schrieb Christa Wolf über den DDR-Alltag.

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Brigitte Reimanns Roman "Franziska Linkerhand" blieb unvollendet.

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"Ein Bild der Zeit", so schreibt Gerhard Wolf in seinem Vorwort zu "Sei gegrüßt und lebe", möge der LeserIn entstehen, "wirklichkeitsgesättigt". Zehn Jahre schrieben einander die Autorinnen Christa Wolf und Brigitte Reimann, von 1963 bis 1973. Die kürzlich im Aufbau Verlag erschienene erweiterte Neuausgabe dokumentiert nun diese "Freundschaft in Briefen und Tagebüchern", wie auch der Untertitel des Buches lautet.

Christa Wolf (1929–2011) ist mit ihren Büchern "Der geteilte Himmel", "Nachdenken über Christa T.", "Kassandra" und vielen mehr eine der wichtigsten deutschsprachigen Autorinnen des 20. Jahrhunderts; Brigitte Reimann (1933–1973) weit weniger bekannt, wenn auch mit "Ankunft im Alltag" und vor allem dem posthum erschienenen "Franziska Linkerhand" vieldiskutiert in der Frauenbewegung der 1970er-Jahre.

Beste Feindin

Die beiden Frauen waren zu Beginn ihrer Freundschaft sehr unterschiedlich, was ihre Lebensumstände, ihre Entwicklung und ihr schriftstellerisches Selbstverständnis betrifft. Ja, Reimann bezeichnet Wolf in einem Tagebucheintrag von 1960 gar als ihre "beste Feindin" – Christa Wolf hatte als Jurorin in einem Wettbewerb, an dem Reimann teilnahm, einem anderen Text den Vorzug gegeben.

Eine gemeinsame Moskau-Reise 1963 ändert alles: Eine erst vorsichtige Freundschaft entsteht, die sich über die Jahre intensiviert und Christa Wolf zu einer derjenigen Personen macht, die am Krankenbett der krebskranken Reimann wachen. In einem Brief vom 6. Februar 1973, kurz vor deren Tod, schreibt Christa an Brigitte über ihre Krankenhausbesuche: "Darunter aber manchmal der aufrichtige Wunsch nach Freundschaft, bei der sich nicht einer stärker machen muß, als er ist, und der andere nicht kleiner."

Über die persönliche Beziehung hinaus, und das macht dieses Buch so spannend, beleuchtet es die Lebensumstände in der DDR, unter denen diese Autorinnen sich ihr Schreiben abgerungen haben. 1969 schreibt Christa Wolf an die Reimann: "Ich habe oft gesagt, dass es über unsere Zeit leider später einmal keine Briefliteratur geben wird, weil kein Mensch mehr schreibt, aus mehreren Gründen. Auch ich nicht, oder nur selten. Mitteilungen, Anfragen, Proteste – das ja. Aber einen richtigen Brief? Kann man sich denn auf irgendeinen Briefpartner verlassen?"

"Eine Zeitgenossenschaft"

Christa Wolf war zu diesem Zeitpunkt bereits freiwillig aus dem Zentralkomitee ausgetreten, wurde telefonisch und persönlich, Schritt um Schritt, rund um die Uhr überwacht. Die Leserin wird also einbezogen in "eine Zeitgenossenschaft", die sich Christa Wolf so darstellte: "Zu leben, und möglichst nicht gar zu sehr gegen den eigenen Strich zu leben, das heißt zu arbeiten und ein paar Leute daran teilhaben zu lassen, ist die einzige Art von Tapferkeit, die ich heute sehe."

Sie hatte "Christa T." da bereits zwei Jahre zuvor abgeschlossen, der Fertigungsprozess war wieder und wieder verzögert worden, die Auflage von 5.000 auf 3.000 Stück herabgesetzt: "Aber da mußte ich erst so einen langen Dreck-Protest-Brief an den Verlag loslassen, der, wie fast alles, was man auf dieser Ebene tut, überhaupt nichts nützt und den man sich dann doch immer nochmal schuldig zu sein glaubt …", schreibt sie am 5. Februar 1969 an Brigitte.

Die beiden Frauen vertrauten einander in einer Zeit, die Nachgeborene sich kaum vorstellen können: in der Bücher nicht geschrieben oder veröffentlicht werden durften, nicht gekauft werden konnten, unter der Hand weitergereicht wurden wie Schätze. In dieser Phase tauschen sich die beiden aus über ihr Schreiben, ihre Zweifel: "Ich las, weil ich es zu Korrekturzwecken leider mußte, in der letzten Woche nochmal den 'geteilten Himmel', dabei kam mir an manchen Stellen das große Heulen über die unschuldsvolle Gläubigkeit, die mir damals, vor zehn Jahren, noch zur Verfügung stand", schreibt die Wolf 1971.

Am Manuskript häkeln

Brigitte Reimann ebenfalls 1971 an Christa Wolf: "Eigentlich wollte ich ein bißchen am Manuskript häkeln, …, aber dann habe ich die letzten geschriebenen Sätze gelesen, du lieber Gott, sind die blöd!, und im Grunde interessiert mich das ganze Buch nicht mehr. Irgendwann wird es wohl mal ein 'Anliegen' gewesen sein, aber das war in einem anderen Land, und außerdem sind alle Tiere tot."

Zum Glück ist dieses Buch, "Franziska Linkerhand", dann noch erschienen, obwohl die sterbenskranke Reimann das letzte Kapitel nicht mehr fertigstellen konnte. Wie Christa Wolf ihr "als Beilage" zu einem Brief "ein Luftschiff" ins Spital mitsendet, ist schlicht zum Heulen. Bei aller Traurigkeit ist dieses Buch aber erfreulich: Es leistet das, was gute Literatur zu schaffen vermag: uns lebendig an etwas zu erinnern, das wir gar nicht erlebt haben. (Tanja Paar, 1.9.2016)