1886 porträtierte die ungarisch-amerikanische Künstlerin Vilma Elisabeth von Parlaghy-Brochfeld die 22-jährige Berta Zuckerkandl. In jenem Jahr hatte die spätere Salonière den bekannten Anatomen Emil Zuckerkandl geheiratet.


Foto: B. Zuckerkandl/E. Zuckerkandl, Literaturarchiv der ÖNB

Die Familie Szeps stand in engem Kontakt mit der Familie Clemenceau. 1886 heiratete Bertas Schwester Sophie Paul Clemenceau, den jüngeren Bruder des späteren französischen Premierministers George. Zur Verlobung im Juli des gleichen Jahres gratulierte auch Kronprinz Rudolf.

Foto: B. Zuckerkandl/E. Zuckerkandl, Literaturarchiv der ÖNB

Um 1930 entstand diese Aufnahme im Atelier von Franz Löwy, die Berta Zuckerkandl mit ihrem Enkel Emile zeigt. Der in Frankreich und den USA tätige Evolutionsbiologe verstarb 2013.

Foto: Paulingblog Wordpress/ÖNB

Wien – Sie war weder die erste noch die letzte Salonière, wohl aber die prominenteste im Wien der Jahrhundertwende: Berta Zuckerkandl, Tochter des Verlegers und Zeitungszampanos Moritz Szeps und Ehefrau des bekannten Anatomen Emil Zuckerkandl. Eine erste Prägung erfolgte über den in seiner liberalen Gesinnung revolutionären Geist ihres Vaters und in der intellektuellen Atmosphäre ihres Elternhauses.

Als Schriftstellerin und Journalistin stand sie später im Zentrum eines künstlerischen, gesellschaftlichen und publizistischen Netzwerkes, das weit über die geografischen Grenzen Wiens hinausreichte. Mal stiftete sie Ehen (Alma und Gustav Mahler), dann wieder Künstlerbekanntschaften (Klimt und Rodin).

Bei der Gründung der Secession hatte sie ebenso die Finger im Spiel wie bei den Salzburger Festspielen. Die erste öffentliche Lesung von Hofmannsthals Jedermann fand in ihrem Salon statt. Sie verkehrte mit Max Reinhardt, Arthur Schnitzler oder Stefan Zweig und pflegte Kontakte in die Polit- und Kulturszene Frankreichs. Während des Ersten Weltkrieges war sie als Friedensaktivistin in der Schweiz tätig.

Kurzum: Der Begriff der Salonlöwin umschreibt ihren Einflussradius nur unzureichend. Welche dokumentarischen Schätze ihr an Korrespondenz mit historischen Persönlichkeiten reicher Nachlass beherbergt, darüber konnte man lange nur mutmaßen.

Als Jüdin war Berta Zuckerkandl kurz nach dem Anschluss zunächst nach Paris und später nach Algier geflohen. Wenige Monate nach Ende des Zweiten Weltkrieges verstarb sie im Oktober 1945 in Paris. Dass trotz aller epochalen Zäsuren durch Vertreibung, Flucht und Exil überhaupt ein Nachlass erhalten blieb, grenzt fast an ein Wunder. 2012 erwarb die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) von ihrem Enkel Emile Zuckerkandl einen ersten Teilnachlass für das hauseigene Literaturarchiv.

Neu entdeckter Teilnachlass

Acht Archivboxen, die sowohl Bertas Fluchttagebuch als auch eine einzigartige Autografensammlung mit Briefen von Peter Altenberg, Egon Friedell, Alfred Polgar oder Rainer Maria Rilke umfasste. Die Gesellschaft der ÖNB-Freunde steuerte 60.000 Euro zum 92.500 Euro teuren Ankauf bei. 2014 wurde der Bestand um zahlreiche Fotografien der Familie Zuckerkandl und Autografenalben ergänzt (18.000 Euro).

Wie die ÖNB jetzt in einer Aussendung verlautbarte, erwarb man nun neuerlich einen Teilnachlass, den die Provenienz- und Zuckerkandlforscherin Ruth Pleyer erst vor kurzem entdeckt hatte: In einer seit Jahrzehnten leerstehenden Wohnung im südfranzösischen Montpellier, wo Bertas 2013 verstorbener Enkel Emile nach seiner Rückkehr aus dem nordafrikanischen Exil ein meeresbiologisches Institut leitete.

Der Neuzugang umfasst fünf Kisten mit unveröffentlichten Briefen von Raoul Aslan, Joseph Roth oder Ödön von Horváth sowie jene 60 Hefte, die Basis für Berta Zuckerkandls 1970 posthum publiziertes Erinnerungsbuch Österreich intim waren. Ermöglicht wurde der aktuelle Ankauf durch eine Spende der Familie Felsovanyi in der Höhe von 75.000 Euro.

Eine Großzügigkeit, der eine Einigung in einem Restitutionsfall vorausgegangen war. Dabei ging es um ein von Gustav Klimt gemaltes Porträt von Gerta Loew-Felsovany, das bis 1939 im Besitz der Familie gewesen war und 1941 in die Kollektion des NS-Filmregisseurs Gustav Ucicky gelangt war, dessen Witwe im Herbst 2013 die Klimt-Foundation gründete. Das Gemälde wurde im Juni 2015 bei Sotheby's versteigert, der Erlös wurde geteilt. (Olga Kronsteiner, 2.9.2016)