Brasilia – Die ihres Amts als brasilianische Präsidentin enthobene Dilma Rousseff verlässt nach fast sechs Jahren ihre Residenz in der Hauptstadt Brasilia, den Palacio da Alvorada. Sie werde in ihre Heimatstadt Porto Alegre zurückkehren, berichtete das Portal "O Globo" am Dienstag.

Sie lasse alle als Staatschefin erhaltenen Geschenke zurück und habe diese katalogisiert, um keinen Ansatzpunkt für neue Anschuldigungen zu geben. An Bord des Flugzeuges der Luftwaffe nach Porto Alegre nehme sie nur persönliche Gegenstände mit, heißt es weiter. Der Rest, darunter eine umfangreiche Bibliothek, werde in vier Lastwagen abtransportiert.

Temer zieht ein

In die von dem Architekten Oscar Niemeyer entworfene Residenz wird nun ihr früherer Verbündeter und Vize und nunmehrige Nachfolger Michel Temer einziehen. Er hatte, während Rousseff schon suspendiert war, eine Mitte-Rechts-Regierung ohne Rousseffs linke Arbeiterpartei gebildet und will – auch mit unpopulären Maßnahmen – die neuntgrößte Volkswirtschaft aus der Rezession führen.

In einem Interview mit der französischen Zeitung "Le Monde" (Mittwoch) betonte Rousseff, das wahre Motiv hinter ihrer Amtsenthebung sei, dass sich bestimmte Politiker durch den Regierungswechsel vor Ermittlungen der Justiz im größten Korruptionsskandal Brasiliens in Sicherheit bringen wollen.

Petrobras-Skandal

Damit spielte sie wohl auf den Petrobras-Skandal an, in den zahlreiche Geschäftsleute und Politiker verwickelt sind. Von 2004 bis 2014 sollen mehr als zwei Dutzend Firmen, zumeist große Baukonzerne, Schmiergelder an den staatlichen Ölkonzern Petrobras gezahlt haben. Petrobras wiederum zahlte Bestechungsgeld an Politiker. Allein die Arbeiterpartei soll bis zu 200 Millionen Dollar erhalten haben. Rousseff leitete von 2003 bis 2010 den Aufsichtsrat des Ölkonzerns. Sie war offenbar in die Schmiergeldzahlungen nicht direkt involviert. Der Skandal hat auch Temers Kabinett erfasst. Er musste bereits drei seiner Minister erlassen, die in die Affäre um Schmiergeldzahlungen verwickelt gewesen sein sollen. Auch Temers Name fiel in Aussagen von Beschuldigten. Gegen ihn selbst wird aber nicht ermittelt. Allerdings ist Temer wegen einer möglicherweise illegalen Finanzierung des Präsidentschaftswahlkampfs im Jahr 2014 ins Visier der Justiz geraten.

Reformen sind laut Rousseff vom Kongress gezielt blockiert worden. "Es gab eine politische Sabotage mit dem Ziel, eine geeignete Stimmung für die Amtsenthebung zu schaffen. (...) Die Protagonisten dieser Absetzung sind die brasilianische Oligarchie." Das sei der Beginn eines Kampfes, sagte sie. "Es ist nicht an 81 Senatoren, über meine Politik zu richten, sondern an der Bevölkerung, durch direkte Wahlen." (APA, 6.9.2016)