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Georg Stefan Troller (95) musste mit 16 aus Wien fliehen, er lebt heute in Paris.

Foto: Caro

Dornbirn – Wie sieht einer, der 1938 als 16-Jähriger vertrieben wurde, die Situation junger Menschen auf der Flucht? Georg Stefan Troller, heute fast 95, war ein Gedichte schreibender Wiener Schüler, hatte seine erste kleine Bibliothek aufgebaut, als er gehen musste. Heute wäre er für die Asylbürokratie ein UMF, unbegleiteter minderjähriger Flüchtling.

"Das sind wir", dieser Gedanke dränge sich ihm auf, wenn er Bilder von jungen Männern sieht, die Aufnahme in Europa suchen, sagt Georg Stefan Troller im Gespräch mit dem STANDARD. Der Autor und frühere Fernseh- und Rundfunkjournalist, der in Paris lebt, präsentierte in Dornbirn sein neuestes, autobiografisches Buch "Unterwegs auf vielen Straßen" (Edition Memoria).

Troller war ein behütetes Kind einer jüdischen Mittelstandsfamilie, als er mit dem Schrecken der Pogromnacht in seiner Heimatstadt konfrontiert wurde: "Diese Wut der normalen Österreicher, mit denen man ja jahrelang in einer Symbiose gelebt hat, auf einmal diese irrsinnige Mordlust der Leute, das war unbegreiflich."

Totale Verunsicherung

Über die grüne Grenze flüchtete er in die Tschechoslowakei. Als eine "Mischung aus Angst, Verzweiflung, Wut und Abenteuerlust" beschreibt er seine Gefühle. "Auf einmal waren alle Sicherheiten weg, die Sicherheit eines Heims und Familienlebens, eines Schulbesuchs, der Freunde."

Mit einem gefälschten Visum für Uruguay schlug sich Troller nach Frankreich durch. Dort landete er im Internierungslager: "Neun Monate als 18-jähriger Bub im Lager. Wofür das? Welche Gefahr stellte ich denn dar?" Die Ausländerfeindlichkeit "war ein großer Schock. Zu spüren, dass du hier nichts zu suchen hast, führte zu totaler Verunsicherung. Du hast kein Selbstwertgefühl mehr, kein Zutrauen in dich selber und in deine Umwelt."

Als die Deutschen in Frankreich einmarschierten, "sind wir abgehauen, die brav im Lager geblieben sind, landeten in Auschwitz". Troller kam zu einem Visum für die USA, kehrte nach drei Jahren mit der amerikanischen Armee als Befreier nach Deutschland zurück.

Noch heute fühle er sich in Amerika "ganz schön daheim", sagt Troller, für den der Begriff Heimat "zweideutig" ist: Heimat war etwas, worüber man gar nicht reden musste, das Land, dem man wie selbstverständlich zugehörig war, aber heutzutage ist es ein prinzipieller, ein ideologischer Begriff. Sogar die Franzosen beschwören das Franzosentum."

Akzeptanz und Toleranz

Was kann ein Aufnahmeland tun, um Flüchtlingen das Gefühl der Akzeptanz zu geben? Troller: "Angenommen habe ich mich nie gefühlt. Am ehesten vielleicht in Amerika. Nicht so sehr wegen der Begeisterung der Leute, dass ich da war, eher wegen ihrer Wurstigkeit, ob ich aus dem Ausland komme oder aus dem Inland, ob ich einen Akzent hab oder nicht, dunkel oder hell aussehe, jüdisch oder christlich. Das war ziemlich egal, das war das Großartige an Amerika, dass die einen einfach so genommen haben, wie man war."

Anerkannt zu werden, "behandelt zu werden wie ein normaler Mensch", das bedeutet für Georg Stefan Troller Integration. Die derzeitige Stimmung sei aber gegen die Integration von Ausländern: "Man gebraucht das Wort konversationsmäßig." Er fühle sich durch die aktuelle Politik in Europa an die 30er-Jahre erinnert: "Radikalisierung der Politik, der Versuch, Minderheiten auszuschließen, das Anwachsen von Diktaturen, ökonomische Unsicherheit und eine Demokratie, die ihre Anziehungskraft verloren hat." (Jutta Berger, 19.9.2016)