Wien – Zu den untrügerischen Anzeichen, dass es wieder Herbst wird, gehören die internationalen Reisebusse mit besonderer Fracht, die Mitte September vermehrt an der Wiener Zweierlinie stehen bleiben. Auch heuer wieder touren zu Saisonbeginn Orchester durch das Land, von denen zwei am Wochenende im Musikverein Halt machten: zwei konzerterprobte Opernklangkörper, deren Chefdirigenten auf enge Weise mit Wien verbunden sind.

Auf den Programmen stand so etwas wie ein Kaleidoskop europäischer Identitäten in originellen, teils auch fordernden Konstellationen und teilweise nicht gerade alltäglichen Repertoire-Ausflügen. So brachte das Orchestre de l'Opéra de Paris im ersten zweier Konzerte eine reine Wagner-Zusammenstellung: Auszüge aus dem Ring des Nibelungen vom Rheingold bis zur Götterdämmerung, zunächst rein instrumentale Passagen und schließlich Brünnhildes Schlussgesang – an diesem Abend dank Anja Kampe zweifellos der Höhepunkt.

Denn die Sopranistin demonstrierte wieder einmal, wie organisch, scheinbar mühelos, ausdrucksvoll und ohne jede Schrillheit Wagner-Gesang fließen kann, wie präsent eine Stimme dabei sein kann, selbst wenn sie sich nicht unbedingt durchdringend über den Orchesterklang erheben möchte. Demgegenüber war das instrumental Gebotene unter Dirigent Philippe Jordan – der Pariser Musikdirektor und Chef der Wiener Symphoniker – zu jeder Zeit höchst akkurat, aber auch unverbindlich: absolute Verlässlichkeit, elegante Präsenz, doch keinerlei Dringlichkeit oder auch nur Stringenz.

Farbenreichtum

Was tags darauf das Bayerische Staatsorchester allein aus der Ouvertüre zu den Meistersingern von Nürnberg herausholte, war da von ganz anderem Holz-, Blech- und Saitenspiel: Ein vergleichsweise dröhnender, markanter Sound (den Wagner ja vorschreibt und durch die dicke Instrumentation vorgibt) war es, den Kirill Petrenko da entfesselte, um davon ausgehend die polyfonen Verstrickungen deutlich zu machen, ohne je an Schwung einzubüßen.

Klangschön und delikat war das Orchester in den Vier letzten Liedern von Richard Strauss, denen Sopranistin Diana Damrau ihre luxuriöse Stimme lieh, verschwenderisch reich in den Farben, dabei stets zurückhaltend und wie nach innen gekehrt.

Mit Tschaikowskys 5. Symphonie lieferte Petrenko dann den tiefgreifendsten interpretatorischen Zugriff dieses Abends: mit kostbarer Tongebung, die in ihrer Brüchigkeit fast an Mahler'sche Abgründe anzustreifen schien, mit einer Phrasierungskunst, die jedes Detail organisch mit dem Gesamtablauf verband.

Das vermittelte so viel Tiefgang, wie es bisher an Tschaikowsky kaum je gezeigt wurde und überhaupt in der Orchesterarbeit nur selten zu Tage tritt. Wie als Kontrast dazu wählte Petrenko – einst Absolvent der Wiener Musikuniversität – dann die reine virtuose Freude der Ouvertüre zu Michael Glinkas Ruslan und Ludmilla für eine bravouröse, schmetternd absolvierte Zugabe. Dafür gab es lautstarken Jubel. (Daniel Ender, 19.9.2016)