Eine FPÖ-Kundgebung im Bierzelt am 1. Mai dieses Jahres in Linz.

FOTO: APA/FOTOKERSCHI.AT/WERNER KERSCHBAUMMAYR

Was den Umgang mit gesellschaftlichen Extremen betrifft, so gibt es dafür grundsätzlich zwei Formen. Die eine leitet sich aus der Tugendlehre des Aristoteles ab, die zwar als solche vielen Zeitgenossen unbekannt ist, dennoch aber auf eine der am meisten von Hinz und Kunz in den Mund genommenen Parolen hinausläuft: Extreme sind immer schlecht. Die Extremisten sind immer die anderen – man beachte, dass auch die Extremisten selbst sich nie als solche bezeichnen –, damit haben wir nichts zu tun.

Die zweite Reaktion auf den Extremismus ist, in ihm etwas von sich selbst zu erkennen. Der Extremismus sagt uns immer auch etwas über uns selbst. Beispielhaft ist das in der Kritischen Theorie verwirklicht, die die Wurzeln für die extremen Katastrophen des 20. Jahrhunderts nicht etwa in einem Abdriften des Zivilisationsprozesses aus der Normalität in die Barbarei sieht, sondern diese als seinen eigenen, notwendigen Schatten begreift.

In dieser Gegenüberstellung lässt sich auch der Userkommentar von Fabian Eder einordnen. Er jedenfalls hat sich für den ersten Weg entschieden, belegt dabei aber die Richtigkeit des zweiten. Eder ergreift das Wort gegen die desaströse Diskussionskultur der FPÖ, gegen die Entgleisungen der Bierzeltdemokratie, bemerkt aber dabei nicht, dass seine Tirade jener Rhetorik, die sie vermeintlich bekämpft, schon ähnlicher ist, als ihm lieb sein kann. Wenn Eder beispielsweise den politischen Gegner charakterisiert als "wie ein in ein Aufputschmittel gefallener Duracellhase ohne Manieren", dann hätte diese grelle Formulierung genauso gut von dem von ihm damit Kritisierten stammen können.

Grenzen verschwimmen

Natürlich hat Eder im Prinzip recht. Ja, die Rhetorik der FPÖ ist desaströs. Ist die Art der FPÖ-Politiker zu reden damit aber wirklich so anders, als es sonst im gesellschaftlichen Alltag üblich ist, als wir sie alle hin und wieder einsetzen? Unterscheidet sie sich damit grundlegend davon, wie sonst in der Gesellschaft allgemein Sprache als Machtinstrument und zum Zweck der Gewaltausübung eingesetzt wird? Oder ist der Unterschied nicht bestenfalls ein gradueller?

Wo soll ich die Grenze ziehen? Die Grenzen verschwimmen nämlich mehr, als uns lieb sein kann. FPÖ-Politiker, die sich nicht zu benehmen wissen, soll man also von der Teilhabe am Diskurs ausschließen, meint Eder. Aber was ist dann beispielsweise mit der sprichwörtlichen sektiererischen Feministin, die mit Vorliebe Andersdenkende niedermacht? Oder hätte man dann nicht auch seinerzeit dem volkstümlich derben Helmut Zilk, dessen Auftritt stets das Ende jeder vernünftigen Diskussion bedeutete, sein Erscheinen verbieten müssen? Wer von uns darf dann also überhaupt noch auftreten? Und wer bestimmt darüber?

Das Böse im Normalen

Die Rhetorik der FPÖ ist nicht das schlechthin Andere zu dem, was sonst geschieht, und es ist ein Mythos, dass vor dem Erstarken der FPÖ immer fair und sachlich diskutiert worden wäre. Oft genug wird auch ohne FPÖ Rhetorik brutal und skrupellos eingesetzt, wenn es dem eigenen Zweck dient. Die FPÖ ist nicht das absolute Gegenteil vom Rest der Menschheit, als das sie oft hingestellt wird, sondern hat ihre Wurzeln in der Mitte, im allgemein Menschlichen, wenn man so will. Das Böse wurzelt im Normalen – nicht unbedingt im Banalen, wie Hannah Arendt meint – und ist nicht dessen absolutes Gegenbild.

Die Platz einfordernden Alphamännchen, die narzisstischen Marktschreier, die lautstarken Redner, die inhaltlich zwar hohl sind, sich aber gut verkaufen können, oder, um es kurz zu sagen: die verbal Stärksten, nicht unbedingt die Besten, werden überall von der Gesellschaft belohnt, und das wird leider selten kritisch befragt. Der Erfolg der Rhetorik der FPÖ – nicht weniger als der eines Donald Trump – ist nur die logische Konsequenz dieses gesellschaftlichen Grundprinzips, gegen das man sonst wenig einzuwenden hat.

Karikatur der Mitte

Die Strategie der FPÖ ist nur die übersteigerte Karikatur der Methoden der Mitte. Das ist ja auch der Grund, warum sie in diese so leicht einzudringen vermag. Letztlich ist es darum aber auch so schwer, eine fundierte Kritik der FPÖ zu schreiben. Sie ist allem anderen zu ähnlich.

Die Extremisten treiben letztlich nur das ins Extrem, was in der Mitte schon immer an Fragwürdigem da war, man dort aber hinzunehmen gelernt hat oder erst gar nicht groß infrage stellen wollte. Man wundert sich, dass die Leute FPÖ wählen, wo sie doch während ihrer Regierungsjahre ihre Korruptheit unter Beweis gestellt hat. Nun, erwidern die Leute, korrupt sind doch die anderen Parteien auch. Man weist auf die Lügen von FPÖ-Politikern hin. Nun, erwidern die Leute, es lügen doch die anderen auch.

Unser Spiegelbild

Und da sind wir vielleicht beim Punkt: Wer die FPÖ kritisiert, aber sich nicht selbst befragt, beziehungsweise wer nicht im gleichen Atemzug auch die Verfasstheit der Mitte befragt, der wird damit nicht weit kommen. Herbert Kickls primitive Wahlkampfsprüche sind nicht das vollkommen Andere im Verhältnis zu uns, sie sind immer auch unser Spiegelbild.

Sprache war und ist fortwährend und in allen möglichen Zusammenhängen Teil von gesellschaftlicher Gewalt und Machtausübung. Nicht nur, wenn die FPÖ sie gebraucht. Die FPÖ baut lediglich auf bereits Vorhandenem auf. (Ortwin Rosner, 22.9.2016)