Wien – Ein derart exquisiter Fall historischer Aufführungspraxis ist schon lange nicht mehr vorgekommen in den Gefilden des Pop. Im Video zu seiner neuen Single Catherine the Great stapft Neil Hannon, Alleinunterhalter der Fake-Band The Divine Comedy, im Gewande eines waschechten Husaren durch eine großzügige Parklandschaft.

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Ein störrisches Pferd muss ihn abgeworfen haben. Irgendwie verdattert und in den Schatten jahrhundertealter Bäume geduckt, stellt unser barhäuptiger Kavallerist einer Kaiserin mit starken Wangenknochen und flatterhaftem Sinn nach. Immer nur Unfug im Kopf, diese verdienten Gewaltherrscherinnen! Zu einem der umwerfendsten Refrains der Saison gesellen sich Einsichten, wie sie nur ein britisch-irischer Gentleman gewinnen kann, der aus freien Stücken das Wesen des Absolutismus in den Zeiten der Aufklärung zur ergründen trachtet.

Katharina, die grausame Zarin, sei durchaus imstande gewesen, mit Voltaire und Diderot auf angemessenem Niveau Konversation zu betreiben, singt Hannon mit betörender Crooner-Stimme. Überhaupt: "She might have conquered a third of the world / But inside she was a sensitive girl ..." Dazu jubilieren auf dem neuen, epochalen Divine-Comedy-Album Foreverland die Streicher. Es klingelt, gongt und bimbamt, als wären George Gershwin und Cole Porter im Verein mit einer Broadwaykapelle und nach Genuss zahlreicher türkisfarbener Longdrinks in das Londoner Master Chord Studio eingerückt.

Sechs Jahre hat sich Hannon Zeit gelassen mit dem neuen Divine-Comedy-Album. Vorbei die herrlichen Zeiten, als der Ire, nunmehr wohnhaft in Dublin, mit einem ganzen Armeekorps von Streichern und Bläsern durch die Venues tingelte. Eine Platte über das Cricketspiel (The Duckworth Lewis Method, 2009) bildete das vorletzte Lebenszeichen auf Tonträger. Tolle Platte, nur war das Thema uns stupiden Festlandeuropäern nicht zu vermitteln.

Auf die Bühne geht Neil Hannon bevorzugt mit Bowler-Hut, die edle Rebsorte in Griffweite: The Divine Comedy sind sehr britisch, auch wenn sie das "Great American Songbook" beerben.
Foto: Rafa Rivas / APA

Nachher mokierte er sich über die Indolenz jener Londoner Banker, die Kapitalien verschoben hatten und dadurch bewirkten, dass nicht nur das Vereinigte Königreich beinahe vor die Hunde ging. Bang Goes the Knighthood titelte 2010 der Mann, der zu Hause viel lieber Jacques Brel und Edith Piaf hört als Oasis oder The Charlatans. (Auch gegen MP3 hegt der Dandy vom River Liffey heftige Aversionen.) "Bang", was so viel heißt wie: Den Adelsschlag durch Ihre Majestät die Queen könne er sich nunmehr aufmalen. Zu zynisch sind seine Texte. Manchmal jedoch auch beschwipst wie die likörbunten Erzählungen aus dem Jazz-Age, als F. Scott Fitzgerald gemeinsam mit seiner Zelda im Ritz hageldicht über das Parkett rutschte.

Dabei ist Neil Hannons Songwriterkunst so britisch wie krümeliges Mürbgebäck, gereicht zu kastanienbraunem Earl Grey. Foreverland startet mit einer schmerzlich-schönen Abrechnung mit Menschen, die aufgrund bedauerlichen Minderwuchses glauben, ihre ganze Mitwelt ins Unglück stürzen zu müssen.

Broadway mit Disco-Pfiff

Napoleon Complex wogt als zynische Vaudeville-Nummer vorüber. Die Streicherfiguren markieren Kürzel, als wollte Hannon auch noch den Münchner Disco-Sound der Schlaghosenära beerben. Kann man alles machen, wenn man es nur kann.

Hannon kann. Gedanklich in die Schule gegangen ist er bei Harold Arlen und Johnny Mercer, bei den Polierern durchtrieben funkelnder Broadway-Kleinode. Er wiegt sich selig im Walzertakt. Im Titelstück seiner Platte bekennt er, auf den Spuren Peter Pans nach "Foreverland" in See stechen zu wollen. Heikel für einen Fußsoldaten, dem auf der Fahrt auch noch die komplette Crew krepiert ("dying of hunger"). Eine Platte des Jahres, mindestens. (Ronald Pohl, 22.9.2016)