Fast genauso erbittert wie der Kampf zwischen Cali- und Medellín-Kartell liefen die teaminternen Diskussionen zu "Narcos" ab. Na gut, ohne Tote und ohne Kokain. Und überhaupt, wir wollen uns gegenseitig nicht ausschalten, sondern eigentlich nur gepflegt diskutieren. Doch wir wurden uns einfach nicht einig – "Narcos" spaltet die Serienblog-Gemeinschaft.

Nach dem steilen Aufstieg des kolumbianischen Drogenbarons in Staffel 1 geht es in der zweiten Staffel um dessen ebenso spektakulären Niedergang. Wie gut die filmische Umsetzung gelungen ist, darüber scheiden sich die "Serienreif"-Geister. Aber lesen Sie selbst – die Ausgangsfrage lautet leicht provokant: "Wie schlecht ist die zweite "Narcos"-Staffel wirklich?"

Wie immer gilt: Es spoilert. Diesmal ist es vielleicht aber nicht sooo relevant.

Netflix US & Canada

Michaela Kampl: Urschlecht. So richtig schlecht. So hab ich mich schon lange nimmer über eine Serie geärgert. Nach fünf Folgen hab ich aufgegeben. Es ist aber auch völlig wurscht, ich weiß eh, wie die zweite Staffel "Narcos" ausgeht. Wie alle, die einmal Pablo Escobar ins Google-Suchfeld getippt haben. Und wenn mir wer eine Geschichte erzählen will, deren Ausgang ich schon kenne, muss mich was anderes packen – das weiß ich genauso gut wie jeder andere "Columbo"-Fan. "Narcos" tut das nicht. "Narcos" ist fad und berechenbar – oder fad, weil so berechenbar. Frage an die anderen in der Runde: Habt ihr die zweite Staffel bis zum Schluss geschaut? Und: Hat euch das Ende überrascht?

Julia Meyer: Mitnichten.

Daniela Rom: Also ich hab mich durchgequält bis zum unausweichlichen Ende. Mein Fazit: Die zehn Folgen hätte man locker auf zwei bis drei eindampfen können, und das hätte mir vollends gereicht. Es hängt in der Luft. Seit Staffel 1, Folge 1 weiß ich, dass Pablito erschossen auf dem Boden liegen wird. Was ja an und für sich eh okay ist, aber der Weg dahin ist wirklich kein leichter. Staffel zwei müht sich dann auch noch in der Psychologisierung von Escobar ab, im Zwiespalt zwischen dem oagen Verbrecher und dem liebevollen Vater und emotional zerrissenen Ehemann – boa, I get it, es ist urschwer, Pablo Escobar zu sein. Danke, dass ihr mir dass sieben Stunden lang unter die Nase reibt (hö hö, ein Nasenschmäh, wegen Koks und so – das war jetzt die Off-Stimme, weil ihr ja sonst nicht versteht, worum es geht). Auch wenn Wagner Moura das tatsächlich ganz gut spielt, mir geht's auf die Nerven. Ach ja, und der Off-Erzähler geht mir schon seit Staffel 1 auf den Geist. Um dem ganzen Rant ein positives Ende zu setzen: Ich mag die Musik. Und die Schnauzbärte.

Leider nicht so gut im Bild: des Dons guter Pullovergeschmack.
Foto: Netflix

Anya Antonius: Klar, das Ende ist wenig überraschend. Und ja, Escobars Zwiespalt wird stark ausgedehnt. Trotzdem: Ich habe mich gut unterhalten gefühlt. Gibt es dem Ganzen nicht gerade erst die nötigen Zwischentöne, wenn man der Grausamkeit seiner Handlungen das Familienleben entgegenstellt, in dem zumindest ein bisschen Normalität und heile Welt gespielt wird? Das macht die Figur für mich eigentlich erst interessant. Würde er durchwegs als Monster dargestellt werden, wäre das extrem eindimensional, und seine Darstellung würde zur Karikatur verkommen. Aber ja – man hätte vielleicht nicht eine ganze Staffel für diesen inneren Konflikt gebraucht.

Daniela Rom: Das ist es ja, die Darstellung ist zur Karikatur verkommen, gerade wegen dieser Plattheit, mit der der zerrissene Escobar dargestellt wird.

Michaela Kampl: Pablo als Figur und nicht nur böse und als vollständiger und umfassender Charakter. Ich finde, das stimmt alles nicht. Also es sind plumpe Versuche, mit denen die Serienmacher uns reindrücken wollen, dass Pablo ja ein ach so komplexer Charakter ist. Das ist alles zu gewollt. Es ist ja eh fast gut, und deswegen ist es so schlimm, dass es so schlecht ist. Das Einzige, was passiert, ist, dass Familien- mit Gewaltszenen gegengeschnitten werden. Beispielsweise wenn Tata und Pablo tanzen, und gleichzeitig erschießen Pablos Leute jede Menge Soldaten und Polizisten. Das ist platt. Das reicht mir nicht.

Julia Meyer: Also ich habe mich wie Anya auch gut unterhalten gefühlt. Gerade durch so erzählerische Spielereien. Ich mag Plattheit, vor allem wenn sie mir auf einem schönen visuellen Silbertablett serviert wird. Mein größeres Problem: Ich fand die Serie wahnsinnig lustig. Ich ekel und erschreck mich schnell, und auch der Weltschmerz ist da nie weit, aber bei "Narcos" war ich eigentlich die ganze Zeit nur sehr belustigt! Und das finde ich, in Angesicht der wirklich unfassbar vielen realen Toten, irgendwie falsch. Klar, es gibt ein paar Figuren, die mein Mitgefühl haben, Maritza z. B., aber die hatte ich nach drei Sekunden auch schon wieder vergessen. Ich hab's! Auf mich wirkt das Ganze wie eine einzige Comicverfilmung.

Immerhin eine stabile Ehe.
Foto: Netflix

Anya Antonius: Aber ist es nicht auch einmal schön, eine Serie zu schauen, in der man – zumindest was den groben Handlungsverlauf betrifft – kaum gespoilert werden kann?

Julia Meyer: Absolut! Genau das hab ich genossen. Keine Spoilergefahr, keine Spoilerangst im Umfeld, mein Serientraum. Man kann die inneren Kämpfe von Escobar schon erkennen, sonderlich viel psychologisches Potenzial kann ich der Serie jetzt aber nicht attestieren. Ganz gut dargestellt find ich aber einige Wahnvorstellungen/Tagträume, z. B. am Anfang der letzten Folge, als er sich vorstellt, der Präsident Kolumbiens zu sein. Dass ist so herrlich irre inszeniert.

Daniela Rom: Ich bin ja spoilerresistent. Gute Serien müssen trotz Spoiler noch spannend bleiben.

Anya Antonius: Na gut, zumindest bei der Musik sind wir uns einig. Schnauzer und sogar Vokuhilas – von mir aus, es waren schließlich die frühen Neunziger. Für mich war eigentlich das Irritierendste an der Serie, dass Pablo Escobar von einem Brasilianer gespielt wurde, der hörbar erst kurz vor Beginn der Dreharbeiten Spanisch gelernt hat. "Plata u Plomu", "Manuälla" und Ähnliches, das reißt beim Zuschauen schon ein bisschen raus. Ein bisschen, wie wenn Sisi – mal davon abgesehen, dass sie nicht Chefin eines Drogenkartells war – von einer niederländischen Schauspielerin dargestellt worden wäre. Davon abgesehen fand ich Wagner Moura in der Rolle aber großartig, ich bin gespannt, wie sehr er der Serie in der nächsten Staffel fehlen wird. Die Chefs des Cali-Kartells sind für mich als eigenständige Figuren, die eine Handlung tragen sollen, bisher noch nicht wirklich ausgereift.

Julia Meyer: Ja, Moura hat mir auch gut gefallen. Obwohl ich halt beim Anblick seiner hängenden Mundwinkeln auch immer wieder lachen musste.

Daniela Rom: Stimmt, und der Schnauzer hat den traurigen Smiley noch verstärkt.

Michaela Kampl: Ich frag mich, was sie uns in den kommenden zwei Staffeln erzählen werden. Aber vielleicht ist das auch eine Chance, wenn sie abgehen können von einer allzu bekannten Geschichte. Mich hätte grundsätzlich mehr interessiert, wie Pablo vom armen Jungen zum Narcotraficante wird.

Julia Meyer: Ah echt? Nee, ich glaub das ist mir bums. Einfach, weil die Serie in meinen Augen eben kein Gewicht auf die Psychologie der Figuren legt. Irgendeine markante Szene, zack, da ist er geboren, der Bösewicht, so stell ich mir die filmische Umsetzung der Jugendjahre vor. Andererseits – schauen würd ich's trotzdem wahrscheinlich.

Daniela Rom: Als ich gesehen habe, dass Netflix Staffel 3 und 4 schon fix zugesagt hat, hat es mich fast umgehaut. Die Storyline haben sie quasi eh schon gelegt mit den letzten Folgen: Jetzt geht’s um Colombia und die Calis. Und die guten Amis, die den Narcos weiterhin auf die Finger klopfen, weil sie ja die Guten sind. Und der Off-Erzähler mit der einschläfernden Stimme und dem DEA-Ausweis wird uns weiter erzählen, wozu die Serienmacher zu faul oder zu schlecht sind, es uns filmisch zu zeigen.

Anya Antonius: Na ja, gar so gut werden die Amis jetzt aber auch nicht dargestellt. Immerhin hat einer von ihnen mit einem paramilitärischen Todesschwadron zusammengearbeitet. So eine richtig weiße Weste hat in der Serie eigentlich kaum jemand.

Diese Frau – Judy Moncada – ist eine Fiktion.
Foto: Netflix

Michaela Kampl: Damit ich auch mal was Positives sage: Ich fand die Darstellung der 90er super. Die Ausstattung ist perfekt – von den dünn gezupften Augenbrauen der Damen bis zu den Schnauzern und Goldketterln der Herren. Und die Autos und die gemusterten Pullis und die Sakkos mit Schulterpolstern. Und das Licht in bestimmten Szenen, die dann so aussehen wie die Fotos aus den 90ern. Das ist alles sehr schön. Nur schade, dass die Serie inhaltlich hinter den guten Bildern zurückbleibt.

Daniela Rom: Wen es interessiert:Pablo Escobars Sohn hat eine Fehlerliste auf Facebook zusammengestellt, in der er die Unstimmigkeiten in der Serie anprangert. Am Anfang der Serie wird eh immer darauf hingewiesen, dass das alles zwar an der Realität hängt, aber eben doch Fiktion ist. Trotzdem – das hab ich schon bei Staffel 1 geschrieben – wenn ich schon eine Realvorlage habe, wäre es schön, wenn die Fakten stimmen. Was soll das sonst?

Julia Meyer: Hm, also fiktionalisieren darf man schon meiner Meinung nach. Das stört mich jetzt nicht so. Ich hab nur nicht den Plan hinter Fiktionalisierung und Inszenierung gesehen. Es wär spannend, zu wissen, wie das Ganze in Kolumbien aufgenommen wird. Auf mich wirkt es jetzt nicht wie eine kritische Aufarbeitung jüngerer Zeitgeschichte; dass es evtl. den Effekt haben könnte, kann natürlich trotzdem sein. Es wirkt halt eher so, als hätte man nach neuem Serienstoff gesucht und sich ein Loch in den Bauch gefreut, als irgendwem der wilde Escobar in den Sinn kam.

Michaela Kampl: Dani, ich versteh dich. Aber können wir bitte auch noch kurz über Steve Murphy, den DEA-Agenten mit der nervigen Erzählstimme, und seinen Partner Javier Peña reden? Die beiden check ich auch nicht. Da soll so was wie Freundschaft und ihre Brüche und Vertrauen und dessen Missbrauch gezeigt werden, vermute ich. Das geht aber für mich auch nicht auf. Murphy ist ein klassischer verbrauchter, versoffener, gescheiterter Cop. Das geht grundsätzlich natürlich. Aber die Szene, in der er mit dem Whiskeyglas in der Hand und ein paar mehr schon intus seine Frau in den USA anruft und ihr in den Hörer sudert – das hab ich schon hunderte Male irgendwo gesehen, und es nervt mich. Peña ist zumindest hübsch anzusehen, wenn ich das mal ganz unreflektiert sagen darf.

Alles hat seinen Preis, Lonely Wolf.
Foto: Netflix

Daniela Rom: Darfst du. Ich musste immer an "Game of Thrones" denken und wie Oberyn Martell die Augen rausgequetscht werden. Aber egal. Jedenfalls dürfen die amerikanischen DEAs wenigstens noch irgendwas anderes machen als ihre nur als Brutalos dargestellten kolumbianischen Polizistenkollegen. Nein, ich bleib dabei: Nur plomo, kein plata für "Narcos".

Anya Antonius: Ich sehe schon, du hast ähnlich intensive Gefühle gegen "Narcos" wie Colonel Carillo gegen Pablo Escobar. Ich bleib dabei, mir hat's gefallen, ich freu mich auf Staffel 3 und höre mir bis dahin den Soundtrack an.

Julia Meyer: Na ja, und außerdem, ihr Zweifler: Es ist nicht leicht, gegen das Böse zu kämpfen! Das Böse von außen, das Böse von innen, und sich auch noch die Frage stellen zu müssen: Gibt es das Gute? Aber ohne ironischen Pathos: Das hat schon so gepasst, ich fand auch diese Darstellungen konsequent, schaut man sich die gesamte Machart an. Wahrscheinlich geht's in Staffel 3 um das Cali-Kartell, besser fänd ich aber, es ginge um Nancy Reagans Kampf gegen Drogen in den USA. Und im Off spricht Pablo Escobar oder vielleicht ein moralisch vertrauensvollerer Kolumbianer, dem ihr Getue tierisch auf den Sack geht. (Anya Antonius, Michaela Kampl, Julia Meyer, Daniela Rom, 23.9.2016)