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Die politischen Konzepte der Rechten stellen zwar zentrale Errungenschaften der Frauenbewegung infrage – ihre Rhetorik richtet sich jedoch nicht (mehr) gegen Feminismus und Gleichberechtigung.

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Die deutsche Schwesterpartei Alternative für Deutschland (AfD) hat – ebenso wie die FPÖ – die Absage an Gender-Mainstreaming in ihrem noch jungen Grundsatzprogramm verankert.

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"Letztlich verfolgt Gender das Ziel, die Entstehung des menschlichen Lebens zu verhindern durch Förderung der Homosexualität, Verhütung und Abtreibung. Wo dies nicht gelingt, wird die Familie als Keimzelle glücklicher Kinder gezielt zerstört." Diese schauerliche Schilderung ist einer Broschüre entnommen, in der die Initiative "Besorgte Eltern" über die angeblich gefährliche Agenda der modernen Sexualaufklärung informiert.

Vor rund zwei Jahren trug die Gruppe ihren Protest gegen eine "Frühsexualisierung" von Kindern in deutschen Kitas und Schulen auf die Straße; das breitere Bündnis "Demo für alle" widmet sich indes dem Kampf für ein traditionelles Familienkonzept und orientiert sich dabei am französischen Vorbild "La Manif pour tous", eine katholisch geprägte Massenbewegung gegen die Ehe für alle.

Imke Schmincke, Soziologin an der Universität München, hat diese Gruppierungen erforscht und ordnet sie einer neuen konservativen Protestbewegung zu. Rechtskonservativ und christlich fundamentalistisch orientierte AkteurInnen treffen auf Rechtsextreme, das gemeinsame Feindbild ist eine Gender-Ideologie, die fest in staatlichen Institutionen verankert und Basis eines Umerziehungsprogramms sei. "Es werden Bedrohungen inszeniert: der Staat, der wie eine Krake nach unschuldigen Kindern greift, und Gender-Theoretikerinnen, die die schützende Familie zerstören wollen", sagt Schmincke. Die geschürten Ängste würden wiederum der Mobilisierung dienen.

Wie "Gender" Verwirrung stiftet

"Genderismus" ist zur Kampfvokabel der Rechten mutiert. Die beiden Soziologinnen Sabine Hark und Paula-Irene Villa haben dem Phänomen einen Sammelband gewidmet und stellen die Frage: "Was macht den Begriff Gender derart kontrovers?" Gender verunsichere, denn es widerspreche der Idee einer unveränderlichen und naturhaften Essenz der Geschlechterdifferenz, lautet eine ihrer Antworten. "In unserem Alltagsverständnis gibt es Männer und Frauen, die wir klar zuordnen können und denen wir bestimmte Eigenschaften zuschreiben", erläutert Schmincke. Wissenschaftliche Theorien, die diesem Alltagsverständnis zuwiderlaufen, würden viele Menschen verunsichern und damit empfänglich für die Botschaften rechter Anti-Genderisten machen.

Auch rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien, die sich in zahlreichen europäischen Staaten im Aufwind befinden, haben sich dem Anti-Genderismus verschrieben – und sind wiederum eng mit neurechten Bürgerinitiativen vernetzt. Die ehemalige FPÖ-Politikerin Barbara Rosenkranz veröffentlichte bereits 2008 "MenschInnen", eine Abrechnung mit Gender-Mainstreaming als "Experiment am Menschen im Dienst von Ideologien".

Die deutsche Schwesterpartei Alternative für Deutschland (AfD) hat – ebenso wie die FPÖ – die Absage an Gender-Mainstreaming in ihrem noch jungen Grundsatzprogramm verankert. Ehe und Familie als "Keimzellen der bürgerlichen Gesellschaft" würden durch die Gleichstellungsstrategie untergraben, die Mütter und Hausfrauen abgewertet. Kinder dürften nicht länger als "karrierehemmender Ballast" wahrgenommen werden – "mehr Kinder statt Masseneinwanderung", so das Credo der AfD, die zuletzt bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin 14,2 Prozent der Stimmen errang.

Anti-Genderismus statt Antifeminismus

Die politischen Konzepte der AfD, der "besorgten Eltern" oder christlich fundamentalistischer "Lebensschützer" stellen zwar zentrale Errungenschaften und Forderungen der Frauenbewegung infrage – ihre Rhetorik richtet sich jedoch nicht (mehr) gegen Feminismus und Gleichberechtigung. "Das ist tatsächlich etwas Neues. Bisher wurde in der Forschung nicht geklärt, ob es sich hier um Antifeminismus in neuem Gewand handelt oder ob man mit dem Begriff vielleicht gar nicht weiterkommt", sagt Soziologin Schmincke. In den neuen rechten Bewegungen, in denen auch Frauen Führungsrollen übernehmen, stünden sich zum Teil widersprüchliche geschlechterpolitische Forderungen gegenüber, feministische Argumentationen würden zudem für rassistische Zwecke umgedeutet – etwa wenn es um den Schutz "heimischer Frauen" geht.

Für Ulrike Lunacek, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, sind die teils heftigen Attacken der neuen Rechten ein Indiz dafür, dass Gender-Mainstreaming – ob in Form von Gender-Budgeting oder geschlechtergerechter Sprache – in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei. Im Vertrag von Amsterdam, der 1999 in Kraft trat, wurde Gender-Mainstreaming erstmals als offizielles Ziel der Europäischen Union festgeschrieben. Gemeint ist damit entgegen kursierenden Verschwörungstheorien die Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Für Anti-Genderisten wird die Europäische Union damit zum zentralen Feindbild: Brüssel greife nach den Nationalstaaten, um ihnen die gefährliche "Gender-Ideologie" aufzuoktroyieren.

Vater, Mutter, Kind

"RechtsnationalistInnen und verschiedene christliche Gruppen sind auf europäischer Ebene gut organisiert", sagt Lunacek. Als sie 2014 einen Bericht vorlegte, der die Europäische Kommission dazu aufforderte, einen Fahrplan gegen Homophobie zu erstellen, erhielt sie innerhalb einer Woche 40.000 Protest-Mails. "Darin standen absurde Dinge, etwa, dass eine solche Strategie gegen die Universalität der Menschenrechte verstoße, weil Lesben und Schwule bevorzugt würden", erzählt die Europapolitikerin. Insbesondere wenn die Ehe für alle oder der Schwangerschaftsabbruch zur Debatte stehen, werden katholische Verbände aktiv.

Die Bürgerinitiative "One of us", deren indirektes Ziel es war, den Zugang zu Abtreibung zu beschneiden, konnte rund 1,8 Millionen UnterstützerInnen sammeln und wurde massiv von VertreterInnen der katholischen Kirche unterstützt. Aktuell wird um Unterschriften für die europäische Bürgerinitiative "Vater, Mutter, Kind" zum "Schutz von Ehe und Familie" geworben, die die Festschreibung der Ehe als "dauerhafte und treue Gemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau zum Zweck der Familiengründung" auf EU-Ebene fordert. Prominenter österreichischer Unterstützer ist Kardinal Christoph Schönborn. "Diese Definition soll die Texte der Union eindeutiger machen und vor ideologischer Umdeutung bewahren, nicht aber ein Urteil über konkrete Beziehungen sprechen", wird Schönborn in einer Presseaussendung zitiert.

Päpstliche Sorge

Auch der Vatikan beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Gender-Begriff. Im aktuellen Schreiben "Amoris laetitia" über "die Liebe in der Familie" von Papst Franziskus wird Gender als Ideologie beschrieben, die die "natürliche Aufeinander-Verwiesenheit von Mann und Frau" leugne und damit die "anthropologische Grundlage der Familie" aushöhle. Wie die Kulturwissenschafterin Bożena Chołuj am Beispiel Polen beschreibt, ersetzte die dort sehr einflussreiche katholische Kirche den Feindbegriff der feministischen Ideologie durch Gender. "Alles, was als gegen die Frauen gerichtet gelesen werden könnte, wird vermieden, um die Frauen, immerhin die Mehrheit der aktiven Gläubigen, nicht zu verlieren", schreibt Chołuj.

Die katholische Kirche reagiert sowohl auf eine fortschreitende Säkularisierung als auch eine Aufweichung gesellschaftlicher Normen. "Man kann durchaus feststellen, dass die Norm der heterosexuellen Kleinfamilie – die Realität war immer schon vielfältiger – tatsächlich an Einfluss verliert", sagt Imke Schmincke. Die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen habe indes das Geschlechterverhältnis nachhaltig verändert, während sich zugleich eine Prekarisierung am Arbeitsmarkt abzeichne. Diese komplexe gesellschaftliche Wirklichkeit werde von RechtspopulistInnen in ein Schwarz-Weiß-Schema gepresst und als Bedrohung inszeniert.

"Als Allheilmittel werden letztendlich konservative Werte präsentiert", sagt Schmincke. "Gewachsene kulturelle und regionale Traditionen und bewährte Institutionen geben den Menschen Halt und Bindung", formuliert es die AfD. Für die Feministin und Grünen-Politikerin Lunacek bedeutet das in erster Linie: "Wachsam sein." (Brigitte Theißl, 23.9.2016)