Es ist die nächste Etappe im Umbau von Polen: Ein Gesetzesentwurf, der am 23. September in erster Lesung im Parlament genehmigt wurde, sieht eine Verschärfung der ohnehin sehr restriktiven Abtreibungsgesetze vor. Bisher dürfen Polinnen in drei Ausnahmefälle abtreiben: Ist das Kind schwer behindert, die Folge einer Vergewaltigung oder die werdende Mutter in Lebensgefahr, dann darf der Schwangerschaftsabbruch vorgenommen werden. Sollte der neueste Entwurf tatsächlich Gesetz werden, dann ist der Eingriff einzig und alleine dann erlaubt, so die Schwangere droht zu sterben. Und es erlaubt, Frauen mit bis zu fünf Jahren Haft dafür zu bestrafen, dass sie abtreiben.

Seit dem ersten Tag ihrer Machtübernahme hat sich die PiS-Partei darangemacht Polen von Grund auf umzukrempeln, um es nach ihren Vorstellungen neu zu gestalten. Die national-konservative Partei trotzt Fortschritt und Wandel, sie stemmt sich gegen Einwanderung ebenso wie gegen eine moderne Frauen-, Familien-, und Gesellschaftspolitik, weil sie sich als Gegengewicht zu dem als säkularisiert und laizistisch wahrgenommenen Rest Europas wahrnimmt.

Deshalb sollen nicht nur die Kontrolle über Medien und Alkoholkonsum der Bevölkerung übernommen werden, sondern neuerdings auch über ihre Körper, präziser: den weiblichen Körper, denn es ist nicht der männliche, der hier als Feld des politischen und kulturellen Kampfes herhalten muss. Es sind die Freiheiten der Frauen, die geopfert werden, ihre sexuellen und reproduktiven Rechte, um sich die Unterstützung der katholischen Kirche und ihrer Anhänger zu vergewissern.

Dass die Gesetzgeber eine wichtige Gewissensfrage den Frauen selbst überlassen, ist eine zentrale Errungenschaft der europäischen Frauenbewegungen. Ihr Verbot ist ein unerträglicher Rückschritt – zumal für ein Mitglied der Europäischen Union.

Wo also bleibt der Argwohn, wo der Furor, mit dem gerade eben noch über die religiöse und politische Unterdrückung der Frau wegen Burka, Niqab, Burkini und Co. diskutiert wurde? Ob man nun für oder gegen die Burka, den Niqab oder Burkini ist: Diese Diskussion betrifft nur einen winzigen Teil unserer Gesellschaft. Der Entwurf, der im Warschauer Parlament behandelt wird, hingegen betrifft ganz grundsätzlich das Leben jeder einzelnen Polin.

Wir fürchten uns also davor, dass ein paar Burkinis die westliche Kultur der Geschlechtergerechtigkeit zum Einsturz bringen könnten, aber wir verstummen, wenn der gesamten weiblichen Bevölkerung Polens per Gesetz fundamental-religiöse Moralvorstellungen aufgezwungen werden sollen?

Es hat wohl nie einen besseren Zeitpunkt für all jene selbsternannten Kämpfer gegen die Bevormundung der Frauen gegeben, sich vom Vorwurf freizusprechen, ihre Sorgen um die Frauen seien gar nicht echt, sondern nur vorgeschoben. (Anna Giulia Fink, 1.10.2016)