Stargeiger Gidon Kremer nahm sich im Musikvereind es selten gespielten Violinkonzerts von Mieczyslaw Weinberg an.

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Wien – Glücklicherweise dauert es noch etwas bis dahin (also bis zum Sommer 2018), aber man kann wohl jetzt schon vorhersagen, dass Cornelius Meister der Stadt und dem Konzertbetrieb als konstante Größe fehlen wird. In knapp zwei Jahren übersiedelt der aktuell 36-Jährige nach Stuttgart, um dort sein Amt als Generalmusikdirektor der dortigen Staatsoper und des Staatsopernorchesters anzutreten. Meister hat mit seinem Amt beim ORF RSO Wien den repertoiremäßig anspruchsvollsten Chefdirigentenposten der Stadt auszufüllen, und er hat dies bislang auf eine vorbildliche, inspirierende Art und Weise getan.

Im Musikverein startete der Deutsche am Freitagabend in seine siebte Saison als Chefdirigent des ORF RSO Wien, und der vielseitige Klangkörper präsentierte sich nach der Sommerpause (und einer kurzen Reise nach Bukarest) erholt und erfrischt. Von Meisters Hand dynamisiert, agierten die Musikerinnen und Musiker bei der Interpretation der ersten Symphonie von Jean Sibelius mit einer Einsatzfreude, einer Spannkraft und einer Innigkeit, die beglückte und vitalisierte.

Epische Klangwelten

Im 1899 uraufgeführten Werk des Spätromantikers tun sich epische, von sattem Pathos durchdrungene Klangwelten auf: Diesbezüglich erinnert die Musik des Finnen abschnittsweise an jene Tschaikowskys, wenn er auch nicht an dessen Genie in Sachen der melodischen Erfindungsgabe heranreicht. Das RSO Wien explodierte fast vor gestalterischer Kraft, wundervoll etwa das Seitenthema des Kopfsatzes oder das kraftvolle Schwärmen im turbulenten Andante – die langsamen Sätze geraten bei Sibelius fast zügiger als die schnellen bei Bruckner. Im episodenhaften Finalsatz wühlte sich Konzertmeisterin Maighréad McCrann als energische Anführerin eines angriffslustigen Klangkollektivs wonniglich ins sentimentale Geschehen.

Davor wurde das Violinkonzert eines Komponisten aufgeführt, "der immer noch zu entdecken ist", wie es der Solist Gidon Kremer vor seiner Zugabe formulierte: Mieczyslaw Weinberg. Der Stargeiger interpretierte das 1961 uraufgeführte, abwechslungsreiche Werk des Schostakowitsch-Adepten und versierten Vielschreibers in den Ecksätzen mit einer etwas pauschalen, gleichförmigen Erregtheit, bewies sich aber speziell im langsamen dritten Satz als fesselnder, rührender Erzähler.

Treibgut

Dass die österreichische Erstaufführung von Gerald Reschs Orchesterwerk Inseln gefesselt hätte, konnte man hingegen weniger behaupten. Eher hatte man bei dem gut zehnminütigen, von Sandbänken im norddeutschen Wattenmeer inspirierten Opus des Oberösterreichers den Eindruck, dass da jemand mit ungelenker Hand minderwertiges Treibgut aus dem letzten Jahrhundert der Kompositionsgeschichte zu einem recht belanglosen Klangfloß zusammengeschustert hat. Hierfür freundlicher Applaus, der nach den Werken von Weinberg und Sibelius noch eine deutliche Steigerung ins Euphorische erfahren sollte. (Stefan Ender, 2.10.2016)