Emanuel Schikaneder (Mark Seibert) darf seine Eleonore (Milica Jovanović) nach zahlreichen Entbehrungen doch noch in die Arme schließen – ein Happy End im Geiste des abwesenden Herrn Mozart.

Foto: VBW / Deen van Meer

Wien – Wenn die Melodien aus einer Uraufführung, die am nachhaltigsten in Erinnerung bleiben, 225 Jahre alt sind, ist entweder ein Konstruktionsfehler passiert. Oder es handelt sich um eine gelungene Hommage an ein unerreichbares Vorbild. Oder beides. Mit Mozart-Musicals haben die Vereinigten Bühnen Wien bereits zweimal auf die Umwegrentabilität des unverwüstlichen Klassikers gesetzt. Jetzt führt bei ihrer neuesten ambitionierten Eigenproduktion das Porträt eines Nebendarstellers der Musikgeschichte geradewegs zurück zum prominenten Protagonisten – und das auf zweischneidige Weise.

Das Buch von Musicalintendant Christian Struppeck über einen "Theaterrevolutionär und -visionär" hat zweifellos eine Reihe inhaltlicher Vorzüge. Indem Schikaneder in Erinnerung gerufen wird, lässt sich der hohe Anteil des Textdichters, Papageno-Darstellers und Theaterimpresarios an Mozarts Singspiel erahnen.

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Eigentlich im Zentrum steht freilich gar nicht Emanuel, sondern seine Gattin Eleonore bzw. beider "turbulente Liebesgeschichte", von der der Untertitel spricht. Hier verweist die Story auf den wenig bekannten Umstand, dass Eleonore zunächst – von ihrem Mann getrennt – mit dem Schriftsteller und Schauspieler Johann Friedel an der Spitze des Freihaustheaters stand, wo die Zauberflöte später uraufgeführt wurde. Nach dessen Tod versöhnte sie sich mit Emanuel, holte ihn nach Wien und schuf damit erst die Voraussetzung für die folgende Partnerschaft mit Mozart.

Die zahlreichen Liebschaften des Impresarios rechtfertigen sowohl ungewöhnlich krisenhafte Züge der Handlung, wie sie auch ein konturiertes Porträt einer selbstbewussten, fast anachronistisch emanzipierten Frau zeichnen. Als das nicht ohne Gewalt zurechtgebogene Happy End zustande kommt, ist die Katze längst aus dem Sack: Der Abend endet strahlend, opfert aber etwas von seiner potenziellen Glaubhaftigkeit den Erfolgsverheißungen des lächelnden Schlusses.

Immerzu lächelnde Musik

Immerzu lächeln – das tut gewissermaßen auch die Musik von Stephen Schwartz, der außerdem die von Michael Kunze ins Deutsche übertragenen Liedtexte verfasst hat. Gewitzt und furchtlos werden Versatzstücke aus der Mozart-Zeit (also nicht sein Indi vidualstil) die Skalen hinauf- und die Akkordbrechungen hin unterdekliniert und durch den harmonischen Fleischwolf getrieben, dominiert das Cembalo nicht nur den Sound der 30-köpfigen Truppe, sondern auch die Rezitative.

An Ohrwürmern herrscht dafür Mangelware: Am ehesten kommt noch das Walzermotiv aus der Nummer Träum groß infrage, das das Stück fast leitmotivisch durchzieht. So wie Dirigent Koen Schoots bei der Aufführung den perfekten Zusammenhalt garantiert, hat er auch die Vokalarrangements gediegen gestaltet.

Entsprechend virtuos und handwerklich rund läuft die temporeiche Inszenierung von Routinier Trevor Nunn ab. So wie bei der Ausstattung von Anthony Ward die Drehbühne und eine Reihe von Anleihen an der Bühnentechnik des 18. Jahrhunderts ineinanderfließen, so nahtlos gelingt die Rückblende, die als Vehikel für die Erzählung dient.

Sonnyboy mit großer Geste

Große Überraschungen innerhalb des in den kleineren Rollen besonders spielfreudigen Ensembles blieben aus. Mark Seibert spielte Emanuel als nimmermüden Sonnyboy mit großer Geste, Milica Jovanović überzeugte als Eleonore vor allem durch ein schillerndes Rollenporträt. Als ihr Liebhaber Johann Friedel gab Florian Peters einen sehr beherzten Softie, und mit einer schrillen Performance und waghalsigen Koloraturen empfing Katie Hall als Emanuels Geliebte Maria Anna Miller spontane Jubelstürme.

Dass bei all dem die größte Hypothek des Stücks Mozart heißt, war wohl den Machern sonnenklar. Nicht umsonst wird zwar klar der Plan für die Zauberflöte geschildert, aber ihr Komponist taucht höchstselbst nicht auf. Dafür kommt seine Musik in einer Handvoll kurzer Zitate, aber auch während längerer Passagen nahezu im Original zum Zug, wenn Proben und Aufführung des Singspiels im Zeitraffer gezeigt werden. Eine Gratwanderung, die das Musical mit Können und einer Portion Glück doch irgendwie übersteht. Doch vom Gipfel des Olymps lacht Wolfgang Amadé. (Daniel Ender, 2.10.2016)