VfGH-Präsident Holzinger: Die Entscheidung in Sachen Wiener Richtwert-Mieten erfolgt voraussichtlich schriftlich.

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Wien – Die Wiener Richtwert-Mieten, die für Gründerzeithäuser gelten, nimmt jetzt der Verfassungsgerichtshof unter die Lupe. Eine Gruppe von Hauseigentümern hat eine Gesetzesbeschwerde eingebracht und lässt nun die Verfassungskonformität überprüfen. Da an dem Verfahren ein breiteres öffentliches Interesse besteht, fand dazu am Montag eine öffentliche Verhandlung im Verfassungsgerichtshof statt.

Die Antragsteller (Wohnungseigentümer) wollen die Lagezuschlags- und Befristungsregelungen, die für Altbaumieten gelten, kippen. Der Stein des Anstoßes: In Gründerzeitvierteln herrscht derzeit ein Lagezuschlagsverbot für kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen. Für befristete Mietverträge ist per Gesetz ein Preisabschlag von 25 Prozent vorgesehen – unabhängig von der Dauer der Befristung.

Wiener Vermieter: Richtwert zu niedrig

In einer Reihe von Verfahren wurde erstinstanzlich entschieden, dass – trotz teilweise guter Lage und Ausstattung der Mietobjekte – kein Lagezuschlag verrechnet werden könne, da diese in sogenannten Gründerzeitvierteln liegen.

Wiener Vermieter kritisieren den im bundesweiten Vergleich relativ niedrigen Richtwert von 5,39 Euro je Quadratmeter (ohne Zu- und Abschläge für Lage und Ausstattung sowie ohne Steuern, Betriebskosten und laufende Inflationsanpassung) bei gleichzeitig höheren Liegenschaftspreisen und Baukosten in der Bundeshauptstadt. Nur im Burgenland ist der Richtwert derzeit mit 4,92 Euro pro Quadratmeter niedriger.

Abfuhr vom Justizministerium

Vertreter der Bundesregierung erteilten dem Vorstoß eine Absage. Die angefochtenen Bestimmungen seien "nicht unsachlich" und die Festsetzung des Richtwertes für das Bundesland Wien sei "nicht willkürlich" erfolgt. "Es handelt sich um eine Wiener Angelegenheit, eine 'Lex Wien', weil hier die Wohn- und Mietstruktur signifikant anders ist als in anderen Landeshauptstädten", betonte Johannes Stabentheiner vom Justizministerium im Zuge der VfGH-Verhandlung. In Österreich liege die Mietquote im Durchschnitt bei 42 Prozent, in Wien fast doppelt so hoch bei 79,4 Prozent, verwies man auf Daten der Statistik Austria aus dem Jahr 2015. Ebenso verhalte es sich bei der Eigentumsquote, die bundesweit 49,2 Prozent betrage, in Wien aber nur 18 Prozent.

Ein Lagezuschlag könne verrechnet werden, wenn mehr als 50 Prozent des Gebäudebestandes nach 1917 neu errichtet wurde. Die Regierungsvertreter verweisen auf die "sozialpolitischen Zwecke" der Bestimmungen und den "Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers". Bei der Mietpreisfestsetzung nach Sanierungen könnte man das Gesetz allerdings "weniger streng" auslegen als dies bisher der Fall ist, wurde ein Entgegenkommen an die Eigentümer signalisiert.

Anteil neu errichteter Objekte relevant

Bei der Verhandlung am Montag versuchten die Verfassungsrichter, den Umfang des Anwendungsbereichs abzustecken, in dem in der Praxis kein Lagezuschlag für sogenannte Gründerzeitviertel verrechnet werden darf. Weiters gingen die Richter der Frage auf den Grund, welcher Prozentsatz an Mietobjekten in besagten Vierteln heute tatsächlich mangelhaft ausgestattet seien bzw. eine bloß durchschnittliche Lage aufwiesen.

Laut Statistik Austria seien rund 111.500 der 983.000 Wohnungen in Wien mangelhaft ausgestattet – 0,3 Prozent hätten kein Wasser, 7,1 Prozent das WC am Gang, weitere 3,9 Prozent hätten kein Bad bzw. keine Dusche, hieß es aus dem Publikum. Schätzungen der Arbeiterkammer zufolge befinden sich 93.000 bis 95.000 Wohnungen in den Gründerzeitvierteln, lautete wiederum die Antwort von Mietervertreterseite.

Auch der Anteil an neu errichteten Objekten in Gründerzeitvierteln rückte in den Blickpunkt des Interesses. Weiters legten die Richter auf die Frage besonderen Wert, ob die Qualifikation als Gründerzeitviertel auch dann aufrecht bleibt, wenn mehr als die Hälfte der Gebäude unter Beibehaltung der Gebäudesubstanz saniert wurde und modernen Bau- und Wohnstandards entspricht bzw. wie Umbau- und Renovierungsarbeiten in erheblichem Umfang einzustufen sind.

"Lagezuschlag von 2,70 Euro je Quadratmeter"

Nicht zuletzt wurden auch die finanziellen Auswirkungen für die Mieter im Falle einer Aufhebung des § 2 Abs. 3 des Richtwertgesetztes beleuchtet, also wie hoch der Lagezuschlag dann in Gründerzeitvierteln ausfallen würde. Dazu nahm Stabentheiner als Vertreter des Justizministeriums wie folgt Stellung: "Es würde sich ein Lagezuschlag von 2,70 Euro je Quadratmeter ergeben, für eine 80-Quadratmeter-Wohnung würde die monatliche Mehrbelastung rund 240 Euro pro Monat plus 10 Prozent Umsatzsteuer betragen – daran ist durchaus eine sozialpolitische Dimension abzulesen." Und das Richtwertsystem, das 1994 die Kategoriemieten ablöste, ermögliche ohnehin schon wesentlich höhere Mieten als bis dahin möglich war, betonte Ministerialrat Ronald Faber.

Die Verfassungsrichter wollten auch wissen, welcher Zweck der Gesetzgeber mit dem Befristungsabschlag verfolgt habe und warum anlässlich der Wohnrechtsnovelle aus dem Jahr 2000 von der bis dahin geltenden Staffelung der Befristungsabschläge abgegangen wurde. "Ohne Befristungsschutz gibt es keinen Mieterschutz", meinte dazu der Vertreter des Justizministeriums. "Der Regeltypus soll der unbefristete Mietvertrag sein." Der Befristungsabschlag sei als Korrektiv eingeführt worden und sollte Vermieter dazu anregen, den Mietern unbefristete Mietverträge zu geben, die für den Mieter finanziell in jedem Fall günstiger seien. Bei der ersten Befristungsregelung hätten sich diese Vorstellungen des Gesetzgebers nicht erfüllt.

Schriftliche Mitteilung der Entscheidung

Doch auch die neuen Befristungsabschläge sind laut Eigentümervertreter ein Schuss in den Ofen: Viele Wohnungseigner würden als Konsequenz ihre Objekte lieber leer stehen lassen als unbefristet oder günstig zu vermieten.

Den Rechtsvertretern der Mieter räumte VfGH-Präsident Gerhart Holzinger für allfällige weitere Stellungnahmen eine Frist bis Donnerstag, 17.00 Uhr, ein. "Die Entscheidung in dieser Rechtssache wird schriftlich ergehen – der Termin für eine allfällige mündliche Verkündigung wird rechtzeitig angegeben", sage Holzinger beim Abschluss der heutigen Verhandlung. Einen voraussichtlichen Zeitpunkt für die Entscheidung nannte er nicht. (APA, 4.10.2016)

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