Wien – Wien ist eine museale Einrichtung; der Schatz, mit dem die Stadt um Besuchermassen buhlt, ist ihre Vergangenheit – und die wird mit jedem Tag reicher. Denn die Zeit ist eine große Eingemeindende: So frisst sie auf musikalischem Gebiet die einstigen Revolutionäre und scheidet sie als Repertoiredünger wieder aus.

Wegen der ungewohnten Klänge Arnold Schönbergs und seiner Schüler gab es zu Kaisers Zeiten Wickel: 1913 im Großen Musikvereinssaal gar so heftige, dass der Komponist und seine Gefolgsleute Alban Berg und Anton Webern initiativ wurden und Ende 1918 den Verein für musikalische Privataufführungen gründeten. Neue Musik sollte im geschlossenen, aufgeschlossenen Kreis erklingen.

An Geist und Werke dieser Zeit will das Alban Berg Ensemble Wien fortan im Musikverein erinnern. Die mit Unterstützung der Alban-Berg-Stiftung gegründete Gruppe setzt sich aus den Musikern des Hugo-Wolf-Quartetts sowie der Flötistin Silvia Careddu, dem Klarinettisten Alexander Neubauer und der Pianistin Alexandra Siloeca zusammen.

Mit dem fünften der Altenberg-Lieder op. 4 von Alban Berg (in einer Fassung von Peter Kolman), Hier ist Friede, wurde der Abend auf stimmungsdichte Weise eröffnet. Die Mitglieder des Hugo Wolf Quartetts setzten mit dem a-Moll Streichquartett op. 51/2 des Schönberg-Vorbilds Johannes Brahms ihren Retrotrip fort: Cellist Florian Berner als kraftvoller Impulsgeber, Bratschistin Subin Lee als blasser Schatten des genialischen Zweiten Geigers, Régis Bringolf. Bei Primgeiger Sebastian Gürtler harmonierten sein eher sachliches Spiel und die limitierte Strahlkraft seines Instruments.

Zum Schmelztiegel der Gefühle wurde Schönbergs Kammersymphonie op. 9 in einer Fassung von Anton Webern. Zwischen wärmender Glut und greller Drastik changierend, führte Bringolf die Musiker hier derart glanzvoll an, dass sich Gedanken an eine Rochade der Geiger im Hugo-Wolf-Quartett einstellen konnten. Mit Strauß' Kaiserwalzer in einer (bisweilen etwas löchrigen) Fassung von Schönberg wurde auf vergangenheitsselige Weise geschlossen. Franz Josef hätte das wohl ebenso gefreut, wie es das Publikum im Brahmssaal freute. (Stefan Ender, 4.10.2016)