Die Gründe für eine Abtreibung sind, so die Protagonistin, alle "ein bisschen richtig und ein bisschen falsch".

Foto: Friede Clausz | zero one film GmbH

Sex, schwanger, Familie: Das ist das Muster, das die Natur für den Erhalt der Art vorgesehen hat, doch manchmal läuft es nicht nach Plan. Nicht alle Schwangerschaften verlaufen problemlos, im Gegenteil: Bei einem Viertel aller Schwangerschaften gibt es Probleme. "Darüber redet niemand gerne", sagt Gynäkologe Andreas Obruca, bei dem viele Paare mit unerfülltem Kinderwunsch landen. Der aktuelle Film "24 Wochen" der deutschen Regisseurin Anne Zohra Berrached ist für ihn theoretisch ein Beitrag zu mehr Verständnis. Doch wie realistisch ist das Szenario? Das sollen eine gemeinsame Filmsession und ein anschließender Faktencheck ergeben.

Film ab: "24 Wochen" zeigt, was werdende Eltern lieber verdrängen. Ein cooles, sympathisches Paar mitten im Leben erwartet sein zweites Kind. Ein Test ergibt, dass das Baby im Bauch Trisomie 21 hat. Damit können sich die Eltern noch anfreunden, "weil es ja verschiedene Schweregrade und auch milde Formen gibt", wie ihnen die Gynäkologin im Film erklärt.

Albtraum wird wahr

Doch als auch noch ein schwerer Herzfehler entdeckt wird und sie von den vielen bevorstehenden Operationen nach der Geburt erfahren ("Das Brustbein des Kindes muss aufgesägt werden", sagt der Kinderherzchirurg im Arztgespräch), beginnen massive Zweifel. Und damit Streit, an dem das Paar fast zerbricht. Schlussendlich entscheidet sich die Protagonistin Astrid, schwanger in der 24. Woche, das Kind nicht zu bekommen. Fetozid heißt das medizinische Prozedere, die Tötung des Kindes im Mutterleib und die darauffolgende Geburt.

"Der Film zeigt ein durchaus realistisches Bild, wenn auch die Ärzte recht schlecht wegkommen", sagt Gynäkologe Obruca und meint die beiden Diagnosegespräche, in denen die Eltern mit geballten medizinischen Fakten konfrontiert werden, von denen sie jedes Mal total überfordert sind. Seine Kritik am Drehbuch: Die Eltern in diesem Film erfahren erst sehr spät von der Behinderung. "Das, was im Film in der 22. Woche passiert, findet meist zwischen der elften und zwölften statt", sagt Obruca, und da Kinder mit Downsyndrom sehr oft auch Herzfehler haben, werden Ultraschalluntersuchungen so früh wie möglich gemacht.

Die Tatsache, dass die hochschwangere Protagonistin des Films erst so spät davon erfährt, ist für Obruca der Dramaturgie geschuldet. Auch Trisomie 21 als Behinderung sei für Eltern besonders schwierig, so Obruca. Damit sind Kinder lebensfähig, bei vielen anderen genetischen Anomalien sei das nicht der Fall.

Krankheiten vorhersagen

Die Vorhersagbarkeit von Erkrankungen ist eine Errungenschaft der modernen Gynäkologie. Paare, die zu Andreas Obruca kommen, haben sich bereits für die Inanspruchnahme von technischen Hilfestellungen entschieden und durchlaufen auch oft vorgeburtliche Tests (siehe Wissen unten). "Trotzdem gibt es keine hundertprozentige Sicherheit", sagt Obruca. Vor allem sei Behinderung immer auch eine Interpretationsfrage.

Obrucas Kollegin Elisabeth Krampl-Bettelheim, Gründerin von Fetomed, eines auf die Untersuchung von Ungeborenen spezialisierten Instituts, kennt die Bandbreite dessen, was es zu entdecken gilt. Es gibt drei Gründe für Tod und Behinderung von Ungeborenen. Erstens: genetische und/oder körperliche Fehlbildungen des Kindes. Zweitens: Plazentainsuffizienz der Mutter. Und drittens: Frühgeburten.

"Genetische Defekte machen nur zwei bis vier Prozent aus", sagt Krampl-Bettelheim. Auch sie hat den Film schon gesehen und findet gut, dass ein "total tabuisiertes Thema" in eine Art öffentlichen Diskurs kommt.

Narzisstische Kränkung der Eltern

"Wenn ein Kind nicht in Ordnung ist, kratzt das massiv am Selbstwert der Eltern", sagt Krampl-Bettelheim und spricht von einer Art narzisstischen Kränkung. Paare in einer ähnlichen Situation wie die Protagonisten des Films seien allerdings selten so stark und selbstbewusst und wüssten nicht so gut, wo und wie sie sich Hilfe holen können. Die Anwesenheit von Psychologen in kritischen Arztgesprächen habe sich als extrem hilfreich erwiesen, um Eltern "nicht allein zu lassen".

Für Krampl-Bettelheim waren die Arztgespräche medizinisch hart, aber vollkommen korrekt. "Ich denke, dass eine möglichst umfassende, ungeschönte medizinische Information absolut wichtig ist", sagt die Pränataldiagnostikerin, denn nur so könnten Paare zu einer Entscheidung kommen.

Oft bedeutet es das in jedem Fall schmerzliche Ende einer Schwangerschaft. Im Film fragt Protagonistin Astrid ihre Hebamme um Rat: "Es ist eine Entscheidung, die man nur treffen kann, wenn man sie treffen muss. Und darüber darf niemand anderer urteilen." Spätestens dann kommen den Kinobesuchern die Tränen. Obrucas Realitycheck: In den 16 Jahren seit Bestehen des Kinderwunschzentrums haben bei circa 600 Paaren pro Jahr nur in drei Fällen Paare sich bewusst für ein Kind mit Behinderung entschieden.

Lebensqualität als Maßstab

Elisabeth Krampl-Bettelheim kann das genauer differenzieren. In fast allen Fällen von schwerer und nicht behandelbarer Behinderung des Kindes entscheiden sich die Eltern für den Abbruch der Schwangerschaft, etwa bei Erbkrankheiten, schweren Stoffwechselstörungen oder Gehirnfehlbildungen. Bei rein körperlichen Behinderungen komme es auf die Beeinträchtigung des Kindes und seine zu erwartende Lebensqualität an. "Bei Herzfehlern entscheiden sich vergleichsweise viele Eltern, die Schwangerschaft fortzusetzen", kann sie aus Erfahrung berichten. Der Grund: die großen Fortschritte in der Kinderherzchirurgie.

"Mit der Entscheidung, ein Kind haben zu wollen, beginnen auch die Sorgen", sagt Obruca, die Abklärung einer möglichen Behinderung sei die erste Sorge. "Da liegen die Freude an einer Schwangerschaft und Sorge vor Problemen recht nah beieinander", bestätigt auch die Pränatalmedizinerin. Vor allem: Trotz aller Voruntersuchungen bleibe ja immer ein Restrisiko, sagt sie. "Wir können nur Krankheiten finden, die wir auch suchen." Es gebe viele Abweichungen von genetischen Normvarianten, die keinerlei Beeinträchtigungen verursachen. Und auf einem Kongress habe sie unlängst den Satz gehört, dass "der gefährlichste Tag eines Menschenlebens immer der Tag der Geburt" sei.

Mit der Entscheidung leben

Im Film läuft das Leben der Protagonisten nach dem Schwangerschaftsabbruch etwas nachdenklicher als bisher weiter. Astrid entscheidet sich, den Fetozid an ihrem schwerbehinderten Kind nicht zu verschweigen. Auf die Frage, wie sie die Entscheidung empfindet, sagt sie: "Ein bisschen richtig und ein bisschen falsch."

Wenn der Film dazu beiträgt, das Schweigen über diese schwierige Thematik zu brechen, hat zumindest die Regisseurin ihr Ziel erreicht. Denn "viele Paare leiden sehr unter dieser Belastung", kann Krampl-Bettelheim berichten. Tabuisierung ist einer der Gründe dafür. Bei guter Begleitung können die meisten aber gut mit der Entscheidung leben. (Karin Pollack, 8.10.2016)