So viel ist sicher: Manche Bäume können über 4.000 Jahre alt werden. Über die maximale Lebenszeit des Menschen herrscht unter Forschern weniger Einigkeit.

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New York / Rostock – Die Lebenszeit des Menschen hat eine natürliche Obergrenze. Das glauben zumindest US-Forscher nach der Analyse von demografischen Daten aus mehr als 40 Ländern. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch jemals älter als 125 Jahre werde, sei extrem gering, schreiben sie im Fachblatt "Nature".

Der Gründungsdirektor des deutschen Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock, James Vaupel, teilt diese Meinung nicht: "Die Studie trage nichts zum wissenschaftlichen Verständnis davon bei, wie lange wir leben", so die Kritik des Forschers.

Seit dem 19. Jahrhundert ist die Lebenserwartung in den meisten Ländern der Welt kontinuierlich gestiegen. Während sie bei Menschen, die im Jahr 1900 etwa in Frankreich geboren wurden, noch bei wenig mehr als 45 Jahren lag, werden im Jahr 2000 geborene Kinder ein durchschnittliches Alter von mehr als 75 Jahren erreichen. Den Anstieg der Lebenserwartung um 30 Jahre innerhalb eines Jahrhunderts führen Experten vor allem auf medizinischen und technologischen Fortschritt zurück. Der habe zunächst die Säuglings- und Kindersterblichkeit eingedämmt, heute vor allem die Sterblichkeit im höheren Alter.

Maximalalter liegt bei etwa 115 Jahren

Auch das maximale Alter zum Zeitpunkt des Todes ist in den vergangenen Jahrzehnten erheblich gestiegen. Der Mensch mit dem bisher höchsten erreichten Lebensalter ist die Französin Jeanne Calment, die 1997 mit 122 Jahren gestorben war. Doch wie geht es weiter? Nähern wir Menschen uns mittlerweile einem Lebenszeit-Limit, das nicht mehr überschritten werden kann? Oder können wir unter optimalen Bedingungen noch älter werden? Diese Frage blieb bislang unbeantwortet.

Forscher um Jan Vijg vom Albert Einstein College of Medicine in New York hatten nun zunächst Geburts- und Sterbedaten aus der Human Mortality Database zu mehr als 40 Ländern analysiert. Sie fanden heraus, dass der Anteil von über 70-jährigen Menschen eines Jahrgangs von Jahr zu Jahr größer wird – allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Betrachteten die Forscher die Daten sehr alter Menschen (über 100 Jahre), war das nur noch begrenzt der Fall.

Anschließend analysierten sie Daten aus Frankreich, Japan, Großbritannien und den USA zum maximalen Lebensalter. Das Ergebnis: Seit den 1990er-Jahren ist das maximale Lebensalter nicht weiter gestiegen. "Demografen und Biologen haben argumentiert, es gebe keinen Grund anzunehmen, dass der derzeitige Anstieg der maximalen Lebenspanne demnächst endet", erläutert Studienleiter Vijg. "Aber unsere Daten sprechen dafür, dass das bereits geschehen ist, und zwar in den 1990er-Jahren" – das bekannt gewordene Maximalalter eines Menschen liege für diese Zeit im Durchschnitt bei 115 Jahren.

Immer wieder der gleiche Fehler

Aus weiteren statistischen Berechnungen schlossen die Forscher, dass ein Alter von 125 Jahren mit großer Sicherheit die absolute Obergrenze sei. Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem gegebenen Jahr irgendeine Person auf der Welt so ein Alter überschreite, liege bei weniger als 1 zu 10.000, schreiben die Forscher.

Die Publikation basiere auf der selektiven Nutzung von Daten und ziehe einseitige Schlüsse, die durch die Daten nicht gedeckt werden, kommentiert Vaupel, der derzeit am Max-Planck-Institut für demografische Forschung die Arbeitsbereiche Altern und Langlebigkeit sowie Evolutionäre Demografie leitet. "Es ist entmutigend, wie oft der gleiche Fehler in der Wissenschaft gemacht und in angesehenen Fachjournalen publiziert werden kann." Studien wie diese würden veröffentlicht, weil es vielen Leuten plausibel erscheine, dass die maximale Lebensspanne nicht viel weiter ansteigen kann.

Seiner Ansicht nach gibt es keine Hinweise auf eine natürliche Obergrenze der Lebenszeit. In der Vergangenheit ausgerufene Grenzen seien wiederholt widerlegt worden. "Vor 100 Jahren nahm man an, dass die durchschnittliche Lebenserwartung niemals 65 Jahre überschreiten werde. Als dann der Gegenbeweis sichtbar wurde, wurde die Grenze wieder und wieder nach oben verschoben", so Vaupel.

Genetische Beschränkungen

Das Team um Vijg ist hingegen überzeugt: "Weitere Fortschritte bei der Bekämpfung von Infektions- und chronischen Krankheiten können die durchschnittliche Lebenserwartung weiter anheben, aber nicht die maximale Lebenserwartung." Die genauen biologischen Gründe für die Begrenzung der Lebensspanne kennen die Wissenschafter nicht. Es gebe keine Gene, die unmittelbar das Altern oder den Todeszeitpunkt festschreiben.

In einem ebenfalls in "Nature" publizierten Kommentar zu der Studie vergleicht Jay Olshansky von der University of Illinois in Chicago diese Lebensbeschränkung mit der begrenzten Laufgeschwindigkeit des Menschen. Es gebe keine genetisch festgelegte Maximalgeschwindigkeit, aber unser Körperbau, der sich evolutionär für andere Zwecke entwickelte, setze ihr biomechanische Grenzen. Die Menschheit arbeite hart – und mit einigem Erfolg – daran, die Lebenszeit zu verlängern. Aber wir sollten anerkennen, dass genetischen Beschränkungen einer radikalen Lebensverlängerung im Wege stehen. (APA, 6.10.2016)