Start-ups: Trendig wie in den 1990er Jahren eine Band gründen.

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Flache Hierarchien, eine entspannte Arbeitsatmosphäre – das verbinden viele mit Start-ups. Aber geht es dort wirklich so locker zu?

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Ali Mahlodji kennt beides: Großkonzern und Start-up.

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Ein Unternehmen zu gründen sei heute ungefähr so trendig wie in den 1990er-Jahren eine Rockband, sagte Daniel Cronin von AustrianStartups bei einem Vortrag. Tatsächlich dreht sich in Österreich derzeit vieles um Start-ups – und das Lebensgefühl rundherum: die angeblich flacheren Hierarchien, die vermeintlich nettere Arbeitsatmosphäre, Gratis-Smoothies und große Ideen.

Erfolgreiche Jungunternehmer wie Runtastic-CEO Florian Gschwandtner sind häufig geladene Gäste auf Podien und beliebte Motive für Magazincovers. Der Privatsender Puls 4 zeigt 2017 bereits die vierte Staffel der Show "2 Minuten 2 Millionen", in der Jungunternehmer ihre Businesskonzepte vor Investoren präsentieren.

Förderungen für Start-ups

Wer die Szene seit kurzem ebenfalls intensiv bedient, ist die Politik. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt zeigte sich Kanzler Christian Kern beim Pioneers-Festival in Wien, einem der größten österreichischen Gründertreffen. Im Juli präsentierte die Regierung ein Maßnahmenpaket: 185 Millionen Euro sollen über drei Jahre in die Förderung von Tech-Start-ups fließen.

Zu den wichtigsten Punkten des Pakets gehört die Senkung der Lohnnebenkosten. Geplant ist, dass für die ersten drei Mitarbeiter eines neugegründeten Unternehmens in den ersten drei Jahren die Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung ganz beziehungsweise teilweise entfallen. Formalitäten bei der Gründung sollen etwa durch ein Onlineportal verkürzt werden. Als Anreiz für Investoren dient eine "Risikoprämie": Wer Geschäftsanteile an einem Start-up erwirbt, erhält bis zu 20 Prozent der Investitionssumme zurückerstattet. Bis 2020 will die Regierung so 1000 zusätzliche Gründungen ermöglichen.

Motiv: Der eigene Chef sein

Seit den 1990er-Jahren steigt die Zahl der Gründungen hierzulande an. 2015 verzeichnete die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) 39.740 Neugründungen – um sieben Prozent mehr als im Jahr zuvor. Immer mehr vor allem gutausgebildete junge Leute scheinen das eigene Unternehmen einer Festanstellung vorzuziehen. "Es ist etwas in Bewegung gekommen", bemerkt Nikolaus Franke, Leiter des Instituts für Entrepreneurship und Innovation an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Was man sich vom eigenen Start-up verspricht, ist dabei höchst unterschiedlich: Eine Umfrage des Gründerservice der WKO zeigt, dass rund zwei Drittel der Gründungswilligen ihr "eigener Chef" sein wollen. 63,5 Prozent erhoffen sich mehr Flexibilität. 60,5 Prozent möchten die Verantwortung, die sie als Angestellte in einer Firma getragen haben, in einen eigenen Betrieb einbringen. Das Start-up-Barometer des "Ideen Triebwerk Graz" identifizierte Selbstbestimmung und -verwirklichung als wichtige Motive.

Die Erwartungen sind also hoch. Aber erfüllen sie sich? Einer, der das wissen muss, ist Ali Mahlodji. Der CEO des Vorzeige-Start-ups Whatchado hat mehrere Jahre in Konzernen gearbeitet, bevor er sein Unternehmen gründete – und kennt da wie dort die Arbeitsrealität.

STANDARD: Umfragen zeigen, dass sich viele vom eigenen Start-up flexiblere Arbeitszeiten erhoffen. Hat man nicht gerade anfangs sehr viel zu tun?

Mahlodji: Wer glaubt, dass er als Gründer in den ersten Jahren Freizeit hat, hat etwas nicht verstanden. Gerade anfangs muss man extrem viel arbeiten. Das Schöne ist aber das Gefühl: Das mache ich für mich. Ähnliches gilt für Mitarbeiter in einem Start-up. Sie können vielleicht einmal später kommen, dann aber nicht einfach nach fünf Stunden den Stift fallen lassen. Es ist immer etwas zu tun. Wer in einem Start-up anfangen will, muss bereit sein, die Extrameile zu gehen.

STANDARD: Wie sieht es mit flachen Hierarchien in Start-ups aus: Schein oder Sein?

Mahlodji: Natürlich gibt es überall hierarchische Strukturen, auch in Start-ups. Man braucht sie, um Arbeitsprozesse zu strukturieren. Das, was junge Unternehmen aber von großen unterscheidet, ist, wie diese Hierarchien gelebt werden. Reden Geschäftsführer und Teilzeitkraft auf Augenhöhe miteinander? In großen Konzernen steigt der Chef in den Fahrstuhl zu, und es wird augenblicklich still. In Start-ups verreisen alle gemeinsam, und kein Tourist würde erraten, dass das der Chef und Mitarbeiter sind.

STANDARD: Weitere Vorstellungen über die Arbeit in Start-ups sind Gratis-Smoothies, eine lockere Arbeitsatmosphäre...

Mahlodji: Bei uns im Büro gibt es keine Smoothies, dafür jeden Montag ein gemeinsames Frühstück. Lockere Stimmung ist jedoch per se kein Merkmal für Start-ups – für die sorgt auch ein Chef in einem Großkonzern, wenn sie ihm wichtig ist. Tatsache ist aber: Für Start-ups ist es eine Notwendigkeit, eine coole Arbeitsatmosphäre zu bieten. Denn sie müssen versuchen, möglichst schnell zu wachsen, um Investitionen wieder hereinzubekommen. Dafür brauchen sie gute Mitarbeiter. Und denen können sie weder Stabilität noch Gemütlichkeit bieten.

STANDARD: Meist auch keine finanziellen Anreize oder das Gefühl, es sei ihr eigenes Projekt. Ein Dilemma?

Mahlodji: Den Leuten das Gefühl zu vermitteln, dass es ein Gemeinschaftsprojekt ist, ist anfangs noch einfacher. Alle arbeiten eng zusammen, jeder sieht die Gründer jeden Tag. So war es auch bei uns: Im ersten Jahr sind wir auf dem Boden meines Wohnzimmers gesessen, mit einem Bier in der Hand, und haben am Konzept gebastelt. Die Neuen haben so das Projekt von der Pike auf mitbekommen. Ab 20 Mitarbeitern wird es schwieriger. Dann muss man den Leuten immer wieder das große Ganze erklären, ihnen sagen, welche Rolle sie darin spielen. Sie zu motivieren ist dann eine Führungsaufgabe.

STANDARD: Mit der Chefrolle tun sich viele Gründer schwer.

Mahlodji: Das ist ein Lernprozess. Schwer fällt vielen jungen Führungskräften auch, Arbeit abzugeben. Je größer das Unternehmen wird, desto weniger Macht hat man zudem als Chef. Man hat nicht mehr Einblick in alles und muss sich über Strategisches Gedanken machen.

STANDARD: Gibt es Start-up-Persönlichkeiten und Menschen, die besser in einen Konzern passen?

Mahlodji: Gründer sollten offen und neugierig sein. Sie müssen bereit sein, ihr ganzes Wissen infrage zu stellen. Wichtig ist auch Durchhaltevermögen, denn erste Ideen sind selten erfolgreich. Risikobereite tun sich beim Gründen auf jeden Fall leichter. Wer Existenzängste hat, risikoscheu ist und ungern die Letztverantwortung trägt, wird in einem Angestelltenverhältnis glücklicher sein.

STANDARD: Durchschnittlich sind Gründer 32 Jahre alt. Ist das der richtige Zeitpunkt zum Gründen?

Mahlodji: Mir hat es beim Gründen extrem geholfen, unterschiedliche Organisationstypen kennengelernt zu haben. Das war notwendig, um einige Fehler nicht zu machen. Gleich nach der Uni zu gründen kann natürlich funktionieren. Aber ich denke, dass es besser ist, schon davor gearbeitet zu haben. Weil man nicht das erste Mal in seinem Leben einen Gehaltsscheck sieht oder im Team arbeitet. Dass das durchschnittliche Gründungsalter bei 32 Jahren liegt, wundert mich deshalb gar nicht. Das ist ein fantastisches Alter! Bis 25 findet man sich zunächst einmal selbst, dann sammelt man Erfahrungen. Mit 30 hat man einiges hinter sich, aber gleichzeitig noch die nötige Naivität.

STANDARD: Welche Chance hat man als gescheiterter Gründer, wieder bei einem Konzern anzufangen?

Mahlodji: Gründer stellen einen sehr großen Mehrwert für Konzerne dar. Sie sind es gewohnt, selbstständig zu denken, Verantwortung zu übernehmen, anderen den Vortritt zu lassen – alles Elemente, die Konzerne wendiger und "munterer" machen. Gleichzeitig haben Gründer eben gegründet, weil sie selbst der Chef sein wollen. Konflikte sind also meist vorprogrammiert. Eine Führungskraft, die einen Gründer ins Boot holt, braucht das Wissen und die Erfahrung, mit seinem Potenzial umzugehen – mit dem richtigen Mix aus Freiheit und Spielregeln. (Lisa Breit, 6.12.2016)