Mark Coeckelbergh forscht über neue Technologien und ethische Fragen in diesem Zusammenhang.

Foto: Universität Wien

Auch ironisch gemeinte Postings regen zum Denken an.

Eine Vielzahl neuer digitaler Technologien wird derzeit entwickelt, einschließlich der Automatisierungstechnik, die ohne menschliche Steuerung oder Eingriffe funktioniert. Diese Technologien rufen ethische Probleme hervor. So müssen beispielsweise im Ernstfall selbstfahrende Autos Entscheidungen über Leben und Tod treffen. Ist das zulässig? Ist es sinnvoll, Pflegeroboter in einem Bereich einzusetzen, der eigentlich Menschen vorbehalten sein sollte? Können Roboter überhaupt für uns sorgen? Und sollten Drohnen in der Lage sein, autonom Menschen zu töten?

Neue Technologien haben Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Werden wir unseren Arbeitsplatz an Roboter verlieren? Werden sie unsere Wirtschaft verändern und Arbeitslosigkeit oder neue Wege der Lebensführung zur Folge haben? Es wird sich zeigen, wer Gewinner oder Verlierer sein wird und ob nur wenige von den neuen Technologien profitieren werden.

Die Zukunft findet hier und jetzt statt

Digitale Technologien spielen schon heute eine große Rolle in unser aller Leben. Technik beeinflusst maßgeblich die Art und Weise, wie wir Dinge erledigen. Viele Menschen sind bereits stark auf das Internet und ihre Smartphones angewiesen. Es ist wichtig, die eingangs erwähnten ethischen und gesellschaftlichen Fragen jetzt anzusprechen, vorzugsweise im Entwurfsstadium von neuen Technologien. Das sollte am besten in Kooperation mit den Entwicklungsingenieuren und Unternehmen erfolgen und nicht durch Lamentieren über die Technologie im Nachhinein. Es ist wichtig, dass wir uns jetzt fragen, welches Leben und welche Gesellschaft wir wollen.

Technologie hat einschneidende Auswirkungen: Sie verändert unsere Welt, unser Denken und letztendlich auch das, was uns Menschen ausmacht. Wir leben im sogenannten "Anthropozän": Die Erde wird durch uns Menschen entscheidend transformiert. Das schließt digitale Technologien und Informationstechnologie mit ein. Umwälzungen finden laufend statt, der Planet ist digital und analog zur selben Zeit.

Der menschliche Alltag verändert sich

Soziale Beziehungen, Lebens-, Liebes- und Arbeitsweisen wandeln sich: Wir sind mehr miteinander verbunden und gleichzeitig weiter voneinander entfernt. Wir werden auch abhängiger von digitalen Technologien. Das macht uns verwundbar. Was, wenn ein Gerät versagt? Was, wenn unsere Internetinfrastruktur zur Gänze defekt ist wegen eines Computerfehlers oder eines Cyberangriffs?

Es verändert sich auch unser Denken. Vielleicht beginnen wir damit, alles nur mehr als Information oder als Sache von wenigen Mausklicks zu betrachten. Die natürliche Umgebung, die materielle Infrastruktur und sogar die sozialen Vorgänge sowie das reale Leben und die Anstrengungen der Menschen könnten in Vergessenheit geraten. Menschen starren auf den Straßen und in öffentlichen Verkehrsmitteln immer häufiger in ihre Smartphones. Die Geräte verlangen Aufmerksamkeit, und das Internet zieht seine Nutzer förmlich hinein. Vielleicht halten wir sogar Menschen für Information. Das ist gefährlich und zeigt, dass Technologie unsere Denkweise und die Frage, wer wir sind, stark beeinflusst.

Selbstverständlich waren Menschen immer "technisch". Sie haben schon immer Werkzeuge verwendet. Allerdings unterscheidet sich die heutige Technologie erheblich von den prähistorischen Werkzeugen und von Industriemaschinen. Computer und Smartphones sind nicht nur interaktiver und machen uns abhängig, sie machen uns auch zu anderen Menschen: Wir sind nicht mehr diejenigen Menschen, die unsere Großeltern waren. Mit unseren neuen Technologien denken wir anders und setzen uns anders mit der Welt und anderen in Beziehung.

Reaktion von Mark Coeckelbergh: Manche Leute wollen eine Zukunft ohne Menschen. Ich glaube nicht, dass wir das unterstützen sollen. Wir wollen einen Ort für Menschen. Allerdings bin ich nicht davon überzeugt, dass eine Zukunft mit Menschen zwangsläufig eine analoge Zukunft ist. Wir können in der Lage sein, Digitales und Analoges auf neue Weise zu kombinieren, auf eine Weise, die Menschen nicht ersetzt, aber unser Leben und unsere Gesellschaft zum Besseren verändert.

Der bessere Mensch

Einige – Transhumanisten – schlagen die "Verbesserung" der Menschen vor. Das ist ein kontroverses Thema, und das ist auch gut so. Trotzdem verändern wir uns in gewisser Hinsicht schon heute. Wir sind posthumane Menschen: Wir sind bereits Cyborgs. Denken Sie nur an unsere aktuelle Abhängigkeit von digitaler Technologie. Wir sind angewiesen auf Suchmaschinen, nutzen Social Media, und auch in der Arbeit oder im Spital sind wir auf digitale Technologien angewiesen.

Die Gesellschaft muss lernen, mit diesen neuen Technologien zurechtzukommen. Sie sollen sinnvoll in unser Leben eingebunden werden, und zwar so, dass sie die menschliche Würde erhöhen und nicht verletzen. Kinder sollten so erzogen werden, dass sie dieses Ziel in ihrem späteren Leben erreichen, und zwar mit Technologie, nicht ohne sie, und das im Rahmen der gerade neu geschaffenen Welt. Kinder von digitalen Technologien und ihren Herausforderungen fernzuhalten, ist der falsche Weg.

Öffentliche Diskussion über Technologie ist notwendig

Im Hinblick auf den allgegenwärtigen und weitreichenden Einfluss der Technologie auf unsere Gesellschaften, unsere Welt und unsere Art zu denken, muss mehr getan werden als bisher. Wir sollten unsere vorhandenen Technologien nicht als Selbstverständlichkeit betrachten, so als ob sie unveränderlich wären. Sobald wir ihren Einfluss erkennen, können wir versuchen, Technologien bewusst zum Besseren zu verändern. Falls der Einfluss so einschneidend ist wie von mir angenommen, dann sollten "digitale" oder andere Technologien von öffentlichem Interesse sein. Sie sollten eine Angelegenheit der res publica sein. Ihre Bedeutung ist zu groß, um sie Ingenieuren und den gewinnorientierten Unternehmen alleine zu überlassen. Sie gehen uns alle an.

Demokratische Mitbestimmung bei technologischen Entscheidungen sollte dafür Sorge tragen, dass nicht nur wenige, so wie jetzt, diese Entscheidungen treffen. Es braucht mehr öffentliche Diskussionen zu Technologie, und mehr Menschen sollten einbezogen werden. Soziale und politische Institutionen sollten derart angepasst werden, dass es geeignete Verfahren gibt, um die Gestaltung von Technologien zu diskutieren, zu regulieren und zu begleiten. Technologie sollte einen höheren Stellenwert auf der politischen Agenda haben, da Technologie an sich schon politisch ist.

Wir sind Cyborgs

Ist das Pessimismus? Oder Optimismus? Keines von beiden. Bei der Technologie-Frage geht es nicht um Meinungen oder Stimmungen. Angesichts der Dringlichkeit der gegenwärtigen Probleme ist substanzielle politische Unterstützung für vernünftige Diskussionen erforderlich, genauso wie Forschung zu diesen Fragen durch Experten. Wir brauchen mehr Menschen, die zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, Wirtschaft und Bürgern, Ingenieuren und Anwendern von Technologie vermitteln. Wir benötigen eine Vision einer besseren Gesellschaft mit besseren Technologien und einem besseren Leben.

Für ein derartiges Projekt sind Unkenrufe oder Fatalismus kontraproduktiv. Vernünftige Diskussionen über neue Technologien sind hingegen unabdingbar. Denken Sie einfach einmal darüber nach: Würden Sie sich von einem digitalen Autopiloten durch die Stadt fahren lassen oder einem Roboter Ihre Pflege im Alter zutrauen? (Mark Coeckelbergh, 11.10.2016)