Sandra Klemenschits: "Der Sport war das Wichtigste. Ich weiß nicht, was gewesen wäre, hätte ich den Sport nicht gehabt."

Foto: APA/Groder

Mit Andreja Klepac auf dem Weg zum Turniersieg in Bad Gastein 2013.

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STANDARD: Sie beenden Ihre Karriere als Nummer 334 im Doppel. Welche Träume standen am Anfang?

Klemenschits: Man träumt als junge Spielerin von den Grand-Slam-Turnieren. Jedes Match auf diesen Anlagen ist ein Highlight, dort will man unbedingt hin. Mein übergeordnetes Karriereziel hieß Top 100. Auch ein Antreten für Österreich im Fed Cup stand auf meiner Wunschliste ganz oben. Wichtiger als alles andere war aber die Freude am Tennissport.

STANDARD: Sie haben Ihre Ziele erreicht, lagen auf Rang 55 der Doppelweltrangliste. 2013 haben Sie in Bad Gastein den Titel geholt, Spiele in Wimbledon und New York gewonnen. Wäre im Sog dieser Erfolge mehr möglich gewesen?

Klemenschits: Natürlich, im Sport ist es nie gut genug. Man kann immer einen Schritt weitergehen. Dazu braucht es nur ein Quäntchen Glück. Ob bei der Auslosung oder bei einem Ball an der Netzkante. Doch das ist Hättiwari, davon habe ich nichts. Wenn du ein Match nicht zumachst, hast du den Sieg nicht verdient.

STANDARD: Das ist ein nüchterner Blick auf das Spiel.

Klemenschits: Verlieren gehört dazu, ich hätte mich nie durch einen Sieg oder eine Niederlage verändert. Ich habe lernen müssen, was im Leben tatsächlich von Bedeutung ist.

STANDARD: Ihre Zwillingsschwester und Doppelpartnerin Daniela ist 2008 gestorben, Sie haben die gleiche Krebserkrankung überlebt. Welchen Platz konnte der Sport in dieser Zeit einnehmen?

Klemenschits: Der Sport war das Wichtigste. Ich weiß nicht, was gewesen wäre, hätte ich den Sport nicht gehabt. Und damit meine ich vor allem die involvierten Menschen. Viele haben mir geholfen. Barbara Schett hat auf der Tour Spenden gesammelt. Unglaublich, was sie auf die Beine gestellt hat. Teammasseur Kurt Waltl hat sich für meine Therapie eingesetzt, ohne ihn wäre ich vielleicht nicht mehr da.

STANDARD: Der Tenniszirkus ist Ihnen eine Art Zweitfamilie. Fällt das Loslassen schwer?

Klemenschits: Es fällt zumindest nicht leicht. Ich war zwanzig Jahre auf Tour, dieses Leben hat einen Rhythmus, der meinen Alltag geprägt hat. Man bereitet sich vor, geht auf den Platz, gewinnt oder verliert. Zu den Kolleginnen hatte ich einen guten Draht, ich nehme positive Erinnerungen mit.

STANDARD: Auf der anderen Seite fallen Druck und Konkurrenzkampf weg.

Klemenschits: Der Druck war da, aber ich hatte stets Respekt vor den Spielerinnen. Ich bin Menschen begegnet, mit denen mich eine Leidenschaft verbindet. Das sorgt auch für Verständnis. Ich bin gerne mit den anderen auf ein Getränk gegangen, wir haben viel geplaudert, es waren gute Zeiten.

STANDARD: Hat das Leben aus dem Koffer nie genervt?

Klemenschits: Im Gegenteil, es war ein interessantes Leben. Man ist jede Woche in einem anderen Land, ständig gefordert. Ich muss das nach all den Jahren aber nicht mehr haben. Ich bin auch dankbar, Teil meiner Generation gewesen zu sein.

STANDARD: Hat sich der Charakter der Szene verändert?

Klemenschits: Wir haben früher mehr miteinander unternommen. Warum auch nicht? Es schwächt mich nicht als Spielerin, wenn ich mich mit einer Konkurrentin unterhalte. Ich kann meinen Job gewissenhaft machen und trotzdem nicht vergessen, dass es andere Sachen im Leben gibt. Heute gehen die Profis eher ihren eigenen Weg.

STANDARD: Sie haben auf der Tour keine Unmengen verdient. Wenn man Steuern, Trainings- und Reisekosten abzieht, kann da nicht viel übrig bleiben. Hat der Rücktritt auch wirtschaftliche Gründe?

Klemenschits: Ich habe nie wegen des Geldes gespielt. Sonst hätte ich nicht zwanzig Jahre dem Sport gewidmet. Wenn man nicht unter den Top 100 steht, ist es finanziell schwierig. Geringe Einnahmen, hohe Kosten. Man muss es wollen.

STANDARD: Aber der Körper will nicht mehr mitmachen.

Klemenschits: Ich habe mit der Ferse Probleme und will später noch schmerzfrei auf einen Berg gehen können. Eine Operation wäre denkbar, dann ein Jahr pausieren, sich nach vorne arbeiten – aber ganz ehrlich: Ich habe genug Operationen hinter mir.

STANDARD: Der Triumph beim WTA-Turnier von Bad Gastein bleibt Ihr größter Erfolg. War es auch der schönste?

Klemenschits: Auf jeden Fall. Turnierdirektorin Sandra Reichel gab mir nach meiner Erkrankung eine Wild Card. Ohne diese Einladung wäre ein Comeback vielleicht gar nicht möglich gewesen. Dass ich genau an diesem Ort gewinne, war eine wunderbare Sache. Für mich gab es kein schöneres Turnier.

STANDARD: Sie haben mit verschiedenen Partnerinnen Erfolge erzielt. Aber war die Chemie mit ihrer Zwillingsschwester auf dem Platz jemals zu ersetzen?

Klemenschits: Mit Daniela hat es keine Worte gebraucht, wir haben uns blind verstanden. Eineiige Zwillingsschwestern, da spürt die eine von der anderen alles. Trotzdem hat es auch mit anderen Spielerinnen gut funktioniert, man muss sich einfach absprechen.

STANDARD: In Linz geben Sie Ihren Abschied mit der Schweizerin Patty Schnyder. Gibt es darüber hinaus Pläne für die Zukunft?

Klemenschits: Tennis bedeutet mir noch immer sehr viel. Vielleicht gebe ich alles, was ich aufgesogen habe, an ambitionierte Spielerinnen weiter. Aber ich bin für alles offen, das Leben hat mehr zu bieten als den Tennisplatz.

STANDARD: Seit dem Tod Ihrer Schwester verzichten Sie auf Ihre Geburtstagsfeier. Wird sich das noch ändern?

Klemenschits: Nein, ich muss keinen Tag besonders feiern. Nicht meinen Geburtstag und auch nicht Weihnachten. Für mich ist jeder Tag ein guter Tag. Das habe ich von Daniela mitgenommen. (Philip Bauer, 10.10.2016)