Die Hummernummer: Das Crazy Lobster in der Wiener Naglergasse hat sich ganz dem Scherentier verschrieben.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Es gibt den Hummer im Ganzen, gedämpft oder gegrillt, außerdem ausgelöst in hausgemachter Pasta.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Hummer mit Ei, das hatten wir doch schon mal. Wurde bei Trzesniewski irgendwann in den frühen Nullerjahren ausgelistet, kostete damals einen guten Euro. Seit zwei Wochen gibt es wieder so ein Sandwich in Wien, das hat jetzt aber einen englischsprachigen Namen und kostet knapp 24 Euro. Dafür wird in die Crazy Lobster Roll aber auch ein ganzer – allerdings nicht besonders großer -, ausgelöster Hummer gepackt. Das Brot ist in brauner Butter geröstetes Brioche von einem Waldviertler Bäcker, und schon die Mayo, die das Fleisch des Krustentiers umspielt, hat mehr Hummer abbekommen als das unaussprechliche Brötchen in seiner ganzen Laufbahn.

Crazy Lobster heißt auch das Lokal, das sich ein österreichischer Unternehmer jetzt in der Naglergasse geleistet hat. Sieht ein bissl aus wie ein amerikanischer Diner in Neuengland, wo die rätselhafte nordwestatlantische Hummerschwemme der vergangenen Jahre Sandwiches wie das eben beschriebene um schlappe fünf Dollar über die Theke gehen lässt: petrolfarbene Lederbänke, Tische in Holzanmutung, ein Take-away-Kühlschrank mit Neon-Leuchtschrift ("Dive in!") und ein Souterrain, das mit allerhand Hummer-Paraphernalia dekoriert ist und paradoxerweise attraktiver und gemütlicher wirkt als die ziemlich neonkühle Atmosphäre oben. Als Küchenchef fungiert Daniel Kellner, der bei Reinhard Gerer gelernt hat und zuletzt in dessen Namen das verunglückte Konzept der Bergstation Tirol zu exekutieren hatte, einer skurrilen Rustikalnummer im Keller des Künstlerhauses.

Anständige Tropfen

Eine gewaltige Weinkarte gibt es auch, die hat Sommelier Patrick Hopf (zuletzt Kuchlmasterei) zusammenstellen dürfen. Hummer ist bei uns, im Gegensatz zu Amerika, eben unverändert Luxus – wozu die Amis ungeniert Cola saufen, will hier, wenn man sich den Spaß schon leistet, doch von einem anständigen Tropfen begleitet sein. Die Lobster Roll ist zwar das erklärte Lieblingsessen des Betreibers, es gibt den Hummer aber auch im Ganzen, gedämpft oder gegrillt, außerdem ausgelöst in hausgemachter Pasta. Wer so richtig den Dicken machen will, kann ihn sich auch als Surf & Turf mit tadellos gegrilltem US-Filetsteak auffahren oder als Tartare auf einen Beef-Burger packen lassen.

Schneekrabbe, eine Art Seespinne, gibt es auch, deren Fleisch wird allerdings tiefgekühlt importiert und kann geschmacklich wie konsistenzmäßig nicht annährend mit dem frisch gedämpften Hummer mithalten – die vier Euro Unterschied zwischen Crab Roll und Lobster Roll sind jedenfalls gut investiert. Das klingt alles nach dezidiert maskulinem Essen und soll es wohl auch sein – im Gegensatz zu früheren Hummertempeln wie der längst verblichenen Hummerbar aber sind die Preise hier verhältnismäßig gemäßigt.

Keineswegs gummig

Die Roll ist jedenfalls ein skurriler, schamlos geiler Spaß: dicke, keineswegs gummige Hummerhappen in einer Mayo, die mit reduziertem Karkassenfond geschmacklich aufgeladen wurden, kommen da in flauschigem, braunbuttrigem Brioche zu liegen – das kann schon was. Dazu gibt es Süßkartoffelchips und noch mehr Mayo. Linguine werden tadellos al dente gegart und in intensiver, heftig gesalzener Hummersauce mit reichlich Hummerstücken serviert: Wenn's nicht gar so salzig gewesen wäre, hätte das der Teller des Abends sein können. Die Küche ist insgesamt schon ganz gut aufgestellt, jetzt bleibt abzuwarten, ob die Wiener sich dafür erwärmen können, in der Heimat so viel für Krustentiere auszugeben, wie sie das in Istrien oder dem Veneto noch so gerne tun. Mittags wird eine Art Einsteigerprogramm geboten, da kann auch ein halber Hummer um 11,90 Euro verkostet werden. (Severin Corti, RONDO, 14.10.2016)