Berlin – Die internationalen Kommentare zur Wahl von Bob Dylan zum Literaturnobelpreisträger 2016:

"Neue Zürcher Zeitung": "Hässliche Töne sind aus Amerika zu uns gedrungen in den letzten Tagen und Wochen. Aussagen, Polemiken, die eine Präsidentschaftswahl von enormer Tragweite zunehmend zur miesen Farce verkommen ließen. Nun verschafft die Vergabe des Literaturnobelpreises an Bob Dylan einer anderen Stimme Nachhall. Einer Stimme, die weltweit trägt, auch wenn sie das Laute, Penetrante meidet. Einer Stimme, die viele von uns fast ein Leben lang begleitet hat. Der Entscheid der Schwedischen Akademie für einen Songwriter und Musiker ist ungewöhnlich und innovativ. Das dürfte rückblickend erklären, warum die Jury heuer länger tagte als in anderen Jahren. Auch ungewöhnlich populär ist die Wahl des Preisträgers – aber was spräche dagegen? Sicher liegen die Parameter der Beurteilung im Falle Dylans etwas anders, als wenn es um rein literarisch-ästhetische Kriterien gegangen wäre; aber die oft als eher verschroben geltende Akademie hat ihre Tür weit geöffnet, frischen Wind und ein größeres Publikum eingelassen. Und diesem Publikum wiederum wird die Würdigung das Gehör für Dylans Lyrics – und vielleicht sogar für die literarischen Allusionen in seinen Texten – schärfen."

"Times" (England): "Nur wenige Poeten hätten jemals rings um die Welt Konzerthallen füllen können – und zwar beständig über ein halbes Jahrhundert hinweg. Kaum ein Poet hätte 100 Millionen Platten verkaufen und Millionen von Dollars verdienen können. Und nur wenige Poeten könnten derart viele Songs schreiben, die so einfach mitzupfeifen sind. In einer Parallelwelt hätte es vielleicht einen Bob Dylan geben können, der nie eine Gitarre angriff. Der die selben Worte geschrieben und in schmalen Anthologien veröffentlicht hätte, die lediglich von einigen wenigen begeisterten Liebhabern von Gedichten gekauft worden wären. (...) Hätte dieser Poet den Literaturnobelpreis gewonnen, der gestern dem echten Bob Dylan zuerkannt wurde? "The answer, my friend, is blowing in the wind." Wenn der andere Poet ihn allein für seine Texte bekommen hätte, dann hätte niemand den Preis als populistisch, unbedarft oder unverdient angesehen. Nach den Worten der Schwedischen Akademie, die den Preis verleiht, hat Dylan "neue poetische Ausdrucksformen" geschaffen. Die Songs sind ein Bonus."

"Repubblica" (Italien): "In diesen traurigen Tagen, in denen die amerikanische Politik der Welt ihr hässlichstes Gesicht zeigt, holt der Nobelpreis das beste Gesicht des Landes aus dem Halbdunkel hervor: Das von Bob Dylan, dem großen Poeten der Musik. Er verkörpert das Amerika, das wir so geliebt haben. (...) Es ist ein Preis für die Nostalgie. Es ist ein Zeichen, das die Schwedische Akademie in den Zeiten, in denen eine poesielose Person wie Donald Trump an die Macht kommen könnte, setzen will: Ein Zeichen für die kulturelle Großmütigkeit Amerikas, die heute von Angst, Groll und giftigem Populismus bedroht wird."

"El Mundo" (Spanien): "Dylan ist nicht der Erzähler, den wir als Gewinner des Preises erwartet hatten, auch wenn er schon seit vielen Jahren als Kandidat gehandelt worden war. Sein Landsmann Philipp Roth, der mit 83 Jahren eine riesige literarische Produktion sein Eigen nennt, oder der ewige Kandidat Haruki Murakami aus Japan waren dieses Jahr zwei der Topfavoriten. Es sind zwei Autoren mit einer großen Leserschaft und einem ebenso enormen wie wertvollen Werk, die beide problemlos das Ziel erfüllt hätten, die Literatur dem großen Publikum näher zu bringen. Es wäre übertrieben, zu behaupten, dass der diesjährige Literatur-Nobelpreis eine Herabwürdigung der Institution bedeutet, wie die schärfsten Kritiker meinen. Aber die Entscheidung der Akademie erscheint uns in der Tat nicht die treffendste."

"Politiken" (Dänemark): "Kein zeitgenössischer Künstler hat entscheidender zur inneren Tonspur der Gesellschaft beigetragen. (...) Zum ersten Mal nimmt ein Songschreiber den edelsten Literaturpreis der Welt entgegen. Die (Jury-)Sprecherin sagte, sie hoffe nicht, dass die Akademie für ihre Wahl kritisiert werde. Das wird sicher der Fall sein – so ist es in der Regel. Dabei wurde die Begründung für Bob Dylan als Preisträger logisch an die Geburtsstunde der Literatur gekoppelt, an Homer und Sappho: Es war immer so gedacht, dass Literatur vorgelesen werden, dass ihr zugehört und dass sie immer wieder erlebt werden soll, hieß es. Die Akademie hat weder etwas zu entschuldigen noch zu erklären. Bob Dylans einzigartiges poetisches Textuniversum spricht für sich selbst. Das ist große Literatur." (APA, 14.10.2016)