Leonard Cohen 2016. Dunkle Lieder von einem, der geht – oder zumindest dazu bereit ist.

Foto: Sony Music

Wien – Er sei bereit, richtet er im ersten Lied dem Herrgott aus, bereit zu gehen. Dazu passt das Tempo seiner Songs, die den Ruhepulsbereich nicht verlassen. Wenn sich ein Witwer im November über den Zentralfriedhof an das frische Grab seines Lebensmenschen schleppt, dann in dieser Geschwindigkeit.

Am Freitag veröffentlicht Leonard Cohen sein neues Album You Want It Darker. 82 ist der kanadische Sänger und Songwriter, da sind Reihen gleichaltriger Freunde längst ausgedünnt. Bei Cohen war es zuletzt seine alte Liebe Marianne Ihlen, die gestorben ist. In einem Brief an sie im Krankenbett hat er geschrieben, er würde ihr, seiner Muse, die er in So Long Marianne verewigt hat, bald folgen. Seither wird You Want It Darker als Abschiedsalbum betrachtet. Doch Leonard Cohen ist zurückgerudert.

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In Los Angeles sagte er, er neige zur Übertreibung, zum Dramatisieren, er wolle gerne weitermachen, ja, habe vor, 120 zu werden. Abgesichert ist, dass man mit 82 mehr hat, auf was man zurückschauen kann, als was noch vor einem liegt. Doch Cohen wirkt nicht verzagt. Immerhin hat er lange Jahre seines Lebens der Suche nach spiritueller Weisheit gewidmet und dabei, wie er sagt, bis zum LSD alle Schulen versucht, wurde aber von nichts gänzlich überzeugt. Hätte ihn nicht eine Mitarbeiterin um seine Altersabsicherung betrogen, müsste er sich dazu gar nicht äußern. Vielleicht säße er meditierend an der Pazifikküste, im Frieden mit sich, der Welt und seiner Bank.

Balsam für den Vortrag

So aber musste er sich vor ein paar Jahren zu einer späten zweiten Karriere aufmachen, die Verluste wettmachen. 2012 veröffentlichte er Old Ideas, 2014, zu seinem 80er, Popular Problems. You Want It Darker schließt daran ohne Naht an, Alterswerk, das Dritte. Sein Bass brummt, ist eingebettet in einen warmen Orgelsound und ein faules, meist gewischtes Schlagzeug. Die Akustische wird gezupft, das Piano träufelt Balsam auf den brüchigen Vortrag. Erhebt Cohen die Stimme einmal, beschwört er noch einmal die Liebe, vergangene oder ewige, unterstützt ihn ein am Gospel geschulter Chor.

Es sind bekannte Zutaten, aber so ist das mit einer Handschrift. Die mag mit den Jahren wackelig werden, etwas in Schieflage geraten, aber sie ändert sich nicht. Und Cohen ist Cohen.

Ein Monolith des Songwritings und der unaufgeregten Übermittlung. Ein Sonderling zeit seines Lebens, einer der neugierig ist und neugierig macht. Einer, der lieber Schriftsteller geworden wäre, was er kurz war, für den das Schicksal aber die Musik vorsah. Ausgerechnet! Als die ihrer Bürgerlichkeit radikal entsagenden Hippies sich mit Folkmusik anwärmten, freie Liebe praktizierten und sich drogistisch ins Universum empfahlen, tauchte dieser Typ im Anzug auf, brav gescheitelt, optisch wie die Vorlage für Francis Ford Coppolas Michael Corleone.

15 Studioalben schenkte er der Welt seit 1967, sang über die Liebe und den Hass und das dazwischen, gab sich weise, schweinigelte ein wenig, zwinkerte uns zu und überschritt die Grenzen zwischen profanen Vergnügungen und seiner spirituellen Rastlosigkeit. Nie war er Lehrer oder Missionar, bloß ein Suchender, ein Sir, der Zweifel formulierte, sich auf der Erkenntnisseite nie zu sicher fühlte, bis heute nicht. Nur das Unvermeidliche ist sicher.

Universelle Gefühle

Und die Liebe. Die behandelt er in jedem einzelnen Song. Selbst wenn es in einem Stück wie Leaving The Table scheinbar um seinen Abschied geht, ist die Liebe das Motiv, sich über das Leben noch einmal Gedanken zu machen, ohne sich dabei zu wichtig zu nehmen. "I'm out of the game", singt er am Ende. Wehmut? Nein, Faktenlage. Er reist nur noch mit leichtem Gepäck, wozu sich belasten? Was Cohen als zutiefst individuelle Bekenntnisse vorträgt, funktioniert wie Soulmusik in ihren besten Momenten. Seine Geschichten vermitteln das Einzelschicksal als ein universell verständliches Gefühl.

Neun intime und intim produzierte Songs umfasst das Album, sein Sohn Adam hat ihm bei der Verwirklichung geholfen, ohne ihn, schreibt er im Begleitheft, gäbe es You Want It Darker nicht. Ob es sein letztes Album ist? Noch dunkler kann man sich schwer vorstellen, als Nächstes kommt vielleicht schon das Licht. Das darf aber ruhig noch dauern. (Karl Fluch, 18.10.2016)