Immer mehr Männer wollen "ihren eigenen Weg beschreiten" und schwören dabei Frauen komplett ab.

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Ein achtzehnjähriger Student möchte keine Freundin haben. Niemals. Das wäre nicht mehr als eine interessante Randnotiz, wenn David Sherratt grundsätzlich kein Interesse an Frauen hätte und ein Einzelfall wäre. Beides entspricht nicht den Tatsachen. Sherratt kann sich eine (sexuelle) Beziehung mit dem anderen Geschlecht durchaus vorstellen, aber er lehnt sie kategorisch ab. Genauso wie seine zahlreicher werdenden Mitstreiter der Onlinecommunity MGTOW (Men Go Their Own Way).

Männer als ewige Goldesel

Immer mehr Männer wollen "ihren eigenen Weg beschreiten" und schwören dabei Frauen komplett ab. Weil sie nach eigenen Aussagen enttäuscht wurden und/oder sich nicht in Gefahr begeben wollen. Sherratt führt dazu aus, dass er als Männerrechte-Aktivist befürchtet, vorsätzlich fälschlich einer Vergewaltigung bezichtigt zu werden. Mit ihm fühlen sich eine wachsende Anzahl von Männern als Verlierer eines Systems, das in ihren Augen Frauen begünstigt. In diesem System identifizieren sie sich als die ewigen Goldesel, die bei Verabredungen immer zu zahlen haben, die härteren, gefährlicheren Jobs machen müssen und spätestens mit der Eheschließung den letzten Nagel in ihren finanziellen Sarg schlagen. Als diejenigen, die nach der Scheidung ihre Kinder nicht mehr sehen dürfen, für den Lebensstandard ihrer Exfrau zu zahlen haben und dabei auch noch permanent aufgefordert werden, "ihre Privilegien zu checken". Mit anderen Worten: Diese Männer haben die Schnauze voll. Sie haben genug davon, immer nur die Dummen zu sein oder sich zumindest als die Dummen zu fühlen.

Es wäre ein Leichtes, die MGTOW-Bewegung ungesehen als unreife, frauenhassende Peter-Pan-Syndrom-Träger zu disqualifizieren, die sich lieber um ihren eigenen Kram kümmern wollen, als Verantwortung für andere zu übernehmen. Genauso wie man es sich zu einfach macht, sie mit ähnlichen Gruppierungen wie den japanischen Sōshoku Danshi (Pflanzenfresser-Männer) in einen Topf zu werfen, um ein globales Phänomen daraus zu stricken. Die Psychologin Helen Smith hat bereits 2013 in ihrem Buch "Men on Strike" darauf hingewiesen, dass Männer womöglich gute Gründe haben, sich nicht auf Beziehungen mit Frauen einzulassen, und dass die Gesellschaft, der sie sich verweigern, besser hinschaut, anstatt zu ignorieren.

Frauenverachtung und männliche Wut

Also schauen wir hin. Die wenigen MGTOW-Vertreter, die bereit sind, mit der Presse zu sprechen, geben an, nicht aus Frauenhass zu handeln. Stattdessen nehmen sie für sich in Anspruch, auf soziale Gegebenheiten zu reagieren, die sie benachteiligen. Sie sprechen von Vorsichtsmaßnahmen, wo andere Angriffe sehen. Dieses Recht ist ihnen nicht abzusprechen. Ob sich Menschen aus hehren oder eigennützigen Zielen im Rahmen der Gesetze von der Gesellschaft abwenden, bleibt ihnen überlassen. Auch ob sie dabei Fakten verdrehen oder unterschlagen, wie David Sherratt es tut, ist dafür unerheblich. Wenn er behauptet, dass ja niemand genau wisse, ob nicht Falschbeschuldigungen bezüglich sexualisierter Gewalt mehrheitlich vorgenommen werden, ist das eine klassische Verschwörungstheorie von der Sorte, die Gesellschaften ertragen müssen.

Wenn aber auf der MGTOW-Webseite Frauen mit Brillen als "Huren" bezeichnet werden, über "Schwuchteln" und "fette Frauen" hergezogen wird und Männer als pornokonsumierende Gamer dargestellt sind, die sich von Frauen nicht bei ihren Lieblingsbeschäftigungen stören lassen wollen, dann beschreibt das präzise das verlogene, frauenhassende Zentrum dieser Bewegung, die vorgibt, gar nicht so zu sein. MGTOW ist nicht viel mehr als die männliche Wut darüber, dass die Gesellschaft Männer zwar immer noch mit einem überzogenen Anspruchsdenken ausstattet, dabei aber immer weniger bereit ist, dieses zu erfüllen.

"Stell dir vor, du gehst in ein Casino, wo 98 Prozent der Automaten und Tische niemals auszahlen. Das ist Ehe" zitiert die Webseite eines ihrer Mitglieder. Stell dir einen Typen vor, der die Ehe mit einem Casino gleichsetzt und es obendrein dreist findet, beim Glücksspiel zu verlieren. Oder jemanden, der sich nicht einmal zu schade dafür ist, eine Frau, die Ratschläge erteilt, mit dem Offenhalten einer Ofentür in Auschwitz zu vergleichen. Solche Männer blicken mit Verachtung auf die selbstbestimmte Sexualität von Frauen, weil sie nicht ihnen gilt und sie nichts dagegen tun können. Das ist erbärmlich und trägt nichts zur Lösung der Probleme bei, mit denen postmoderne Männer im dritten Jahrtausend konfrontiert sind. Namentlich die, die daraus erwachsen, dass männliche Identität Rollenbilder zu erfüllen hat, die nicht mit der Gegenwart Schritt halten können.

Gestrige Geschlechterhierarchien

Die yaramiso (unberührt) lebenden Pflanzenfresser-Männer Japans sind dafür ein deutliches Beispiel. Sie verzweifeln daran, dass ihre Gesellschaft für erfolgreiche Beziehungen mit Frauen den festangestellten Nippon-Konzernkrieger der 1980er-Jahre als Blaupause fordert, dessen Arbeitsverhältnis in Krisenzeiten jedoch so gut wie unmöglich zu erreichen ist. Sie ziehen sich zurück, weil junge Frauen Geld dafür ausgeben, ältere Staatsangestellte zu daten, sich aber aus Furcht vor sozialem Abstieg und Ausgrenzung nie mit ihnen verabreden würden. Die Reinstallation von gestrigen Geschlechterhierarchien im Sinne der MGTOW-Mitglieder hilft da nicht weiter. Statt praktischer Antworten auf drängende Fragen bietet sie lediglich notdürftig maskierte Misogynie ohne jede Perspektive. Sie ist nur ein billiger Ausstieg aus den zähen Mühen um eine geschlechtergerechtere Gesellschaft, in der Menschen nicht mehr gezwungen werden, normative Rollenklischees zu erfüllen. Das ist kein Weg, sondern eine Sackgasse. Und eine solche Sackgasse verdient keinen Applaus. (Nils Pickert, 30.10.2016)