In Kritik: der Beirat von Minister Wolfgang Brandstetter (ÖVP).

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Wien – In der Justiz wird derzeit heftig über die Äußerungen eines Welser Anwalts diskutiert – und gleichzeitig auch darüber, was ein Verteidiger im Gerichtssaal eigentlich sagen darf und was nicht, um seinem Mandanten bestenfalls zum Erfolg zu verhelfen.

Die Vorgeschichte ist die folgende: Ein 33-Jähriger stand kürzlich wegen Wiederbetätigung vor Gericht. Grund war ein hasserfülltes Posting im Internet, in dem er die NS-Zeit zurücksehnt und erklärt, er würde als "erster Heizer in Mauthausen" zur Verfügung stehen. Das Verfahren endete mit einem Freispruch für den Angeklagten – und einer Anklage gegen seinen Verteidiger.

Vergasungen "strittig"

Der Anwalt – der zuvor in erster Linie mit Zivilrechtssachen befasst war – hatte in seinem Schlussplädoyer nämlich unter anderem dargelegt: "Es ist strittig, ob in Mauthausen Vergasungen und Verbrennungen stattgefunden haben. Was man seinerzeit in Mauthausen zu Gesicht bekommen hat, ist eine sogenannte Gaskammer, die nachträglich eingebaut wurde. Unbekannt ist, ob dort jemals eine Gaskammer vorhanden war." Danach führte er noch kurz aus, dass in der Tötungsanstalt Hartheim Vergasungen erwiesen seien, im Konzentrationslager Mauthausen nicht.

Mit der Causa wurde der Weisungsrat im Justizministerium befasst – ein unabhängiges Gremium, das Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) Anfang des Jahres installiert hat, damit es ihn in Weisungsfragen berät. Um den Ruch politischer Einflussnahme zu neutralisieren, erklärte er, sich an die Empfehlungen des Gremiums stets halten zu wollen.

"Wesentlich gröbere Aussage"

In der gegenständlichen Causa, die dem Weisungsrat als "Fall außergewöhnlichen Interesses" vorgelegt wurde, entschied der Beirat, dass die Staatsanwaltschaft Wels zurückgepfiffen und die Anklage eingestellt gehört. "In einem anderen Zusammenhang können diese Aussagen sehr wohl eine gröbliche Verharmlosung der Gräuel des Nationalsozialismus darstellen", sagt Werner Pleischl, Vorsitzender des Weisungsrats im Gespräch mit dem STANDARD, "doch dieser Anwalt ist noch nie durch rechtes Gedankengut aufgefallen, und er hatte die Aufgabe, jemanden wegen einer wesentlich gröberen Aussage zu verteidigen."

Darüber hinaus sei das Plädoyer verschriftlicht im Protokoll eineinhalb Seiten lang, nun betroffen seien wenige Sätze. Der Impetus des Pflichtverteidigers sei bestimmt nicht die Leugnung des Holocausts gewesen, sagt Pleischl. "Ich bin überzeugt, er wäre in einem Strafverfahren dafür nicht verurteilt worden."

Verfahren "abgewürgt"

Viele sind da anderer Meinung: Die Grünen bezeichnen die Aufhebung der Anklage als "inakzeptabel und unverständlich" und haben bereits eine parlamentarische Anfrage zum Thema angekündigt. Das Mauthausen Komitee Österreich und antifaschistische Netzwerke sprechen vom "Abwürgen" eines berechtigten Verfahrens und von "Verharmlosung".

Am Dienstag hat sich dann das Justizministerium selbst eingeschaltet: Christian Pilnacek, Leiter der Strafrechtssektion, erklärte im Ö1-Morgenjournal er halte die Entscheidung des Weisungsrates für falsch. Der Fall hätte vor einem Geschworenengericht entschieden werden müssen. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) meldete sich via Facebook: "Es ist für mich inakzeptabel, dass Massenmord und Gaskammern im größten Konzentrationslager Österreichs geleugnet werden."

Minister Brandstetter verteidigt hingegen die umstrittene Entscheidung des Weisungsrats: Sie sei "vertretbar und plausibel", wenngleich klar sei, "dass ich mit solchen Entscheidungen keine Freude habe", äußerte er sich am Mittwoch vor dem Ministerrat zur Causa.

"Nie und nimmer strafbar"

"Selbst wenn sich ein Verteidiger in Halbsätzen in der Wortwahl vergreift, kann das nie und nimmer strafbar sein", sagt Anwalt Richard Soyer, Strafrechtler an der Universität Linz und Sprecher der Vereinigung Österreichischer Strafverteidiger zum STANDARD. "Es ist der Job des Verteidigers, sich den Standpunkt seines Mandanten im Rahmen der Gesetze zu eigen zu machen und zu vertreten. Da kann nicht jedes Wort auf die Waagschale gelegt werden", führt er aus. Es irritiere Soyer, dass "zulässiges Verteidigerverhalten zu einer Anklage führen kann" und der Weisungsrat "einspringen musste, um das zu verhindern", erklärt er.

Ein Disziplinarverfahren vor der Rechtsanwaltskammer droht dem Anwalt übrigens trotzdem. (Katharina Mittelstaedt, 1.11.2016)