Für "Amazing Girls ..." (2015) interviewte Darja Bajagic Besucherinnen des Neo Nightclub in Chicago.

Foto: Darja Bajagic

Wien – Wie erkennt man heute eine Heilige? Sicher nicht – wie in vielen Bildtraditionen – am Heiligenschein. Eher schon an einem Lippenpiercing oder anderen kosmetischen Eingriffen, mit denen etwa die 1990 im ehemaligen Jugoslawien geborene New Yorker Künstlerin Darja Bajagic ihr eigenes Erscheinungsbild von der geläufigen Vorstellung von "Schönheit" abhebt.

Ihr Twitter-Profilbild zeigt kein strahlendes Lächeln, sondern eine finstere Figur mit gesenktem Blick. Und auch die Einträge sind nicht dazu angetan, eine Prüfung vor dem heiligen Petrus bei der Ankunft in einem christlichen Himmel zu bestehen. Für Bajagic sind Heilige heute solche Frauen, die sie vor dem Neo Nightclub in Chicago vor die Kamera bat, um sie ein paar Fragen beantworten zu lassen. Geschichten von Glück und Trauer werden da erzählt, aber auch davon, was am selben Tag gegessen wurde.

Gute zehn Minuten dauert das Video, das alles Wesentliche im Titel mitteilt: Amazing Girls. With wonderful personalities. There saints. Talk to them about life. Love. Politics. Die achtlose Schreibweise ist Programm, wie auch eine formlose Präsentation: Die Frauen stellen sich vor einer Mauer auf, sprechen ihre Antworten in die Kamera.

Nicht jugendfrei

Wenn das Mumok auf Einladung durch die Künstlerin Anna-Sophie Berger einen Filmabend zu Bajagic präsentiert, dann ist zuerst einmal eine Einschränkung zu beachten: Das Programm ist nicht jugendfrei. Zwar sind die Filme vergleichsweise harmlos gemessen an jener Persona, die Bajagic auf Twitter präsentiert. Aber sie sind von einem expliziten Umgang mit häufig pornografischen Bildern geprägt. Und wo das nicht ausdrücklich der Fall ist, kommt es zu deutlichen Symbolhandlungen, wie in Obliterating a Fish: eine Frau, von der nur die Beine zu sehen sind, trampelt so lange auf einem Fisch herum, bis er Gatsch ist. Der Fisch als Symbol des Phallus, das "Trampling" als eine BDSM-Praktik – so explizit kann das Implizite manchmal sein.

In Graz zeigte Bajagic 2016 eine Ausstellung, die den Titel Unlimited Hate trug. Zu sehen waren großformatige, dunkle Gemälde, aus denen ausgeschnittene Frauenbilder herausstachen: Nackte, deren Misshandlung die Künstlerin mit ihren eigenen Techniken hervorhob. Auch in den Videos ist das künstlerische Mittel der Collage und der Überschneidung allgegenwärtig.

Zum Beispiel in einer Arbeit mit dem programmatischen Titel Sample XXX Puzzle – Pin-Up Land TM Cum-centration. Auf zehn Minuten sind hier die Themen und Praktiken von Bajagic konzentriert, von der zentralen Suggestion "unschuldiger" Mädchenkörper auf einem männlich dominierten Markt bis zur Zerschnipselungsarbeit, die man durchaus als aggressiven Angriff auf ein patriarchalisches Blickregime sehen kann, das Bajagic mit Ingrimm und Lust attackiert und zur Hölle wünscht. (Bert Rebhandl, 5.11.2016)