Marcel Koller ist nachdenklich. Die WM-Quali hat nicht furios begonnen. 2:1 in Georgien, 2:2 daheim gegen Wales, 2:3 in Serbien. Am Samstag gastiert Irland in Wien.

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STANDARD: Platz 30 der Weltrangliste – ist das österreichische Nationalteam dort angelangt, wo es eigentlich hingehört? Sie übernahmen eine Mannschaft, die auf Rang 72 lag. Warum also die Missstimmung in der Öffentlichkeit?

Koller: Wir hatten einen guten Lauf. Ich glaube auch, dass wir wieder weiter nach vorne kommen können. Ich habe aber immer gesagt, es ist viel einfacher rauf zu kommen, als oben zu bleiben. Die Top 30 waren ein langfristiges Ziel. Mit der starken EM-Qualifikation sind wir nach vorne geschossen. Es gilt jetzt, dort anzuknüpfen und weiterzuarbeiten. Wir müssen die Dinge erledigen, die uns Siege und Punkte bringen.

STANDARD: Vor einem Jahr sind Sie kurz vor der Seligsprechung gestanden. Tolle Quali, Rang zehn, die Nation drehte durch. Die öffentliche und die veröffentlichte Meinung haben umgeschlagen, man muss nur Social Media verfolgen, sofern man es möchte. Sie werden infrage gestellt, Ihnen wird Sturheit vorgeworfen. Sind Sie stur?

Koller: Ich denke nicht. Um etwas durchzusetzen, musst du bis zu einem gewissen Grad stur sein. Du musst von deinen Ideen überzeugt sein, sie den Spielern vermitteln. Von der Öffentlichkeit wird das ab und zu als stur empfunden, jeder Mensch hat da eine andere Wahrnehmung. Grundsätzlich bin ich für das verantwortlich, was die Mannschaft abliefert. Ich halte meinen Kopf hin. Und ich halte ihn lieber für meine Ideen hin, und nicht für jene, die mir erzählt werden. Führe ich Gespräche, die den Horizont erweitern, bin ich der Letzte, der das nicht annimmt.

STANDARD: Gefällt Ihnen der Ausdruck 'konsequent' besser?

Koller: Auf jeden Fall.

STANDARD: Stecken Sie Kritik locker weg oder hinterfragen Sie sich?

Koller: Man hinterfragt sich auch, wenn man drei Spiele infolge gewinnt. Gerade in Phasen, in denen du glaubst, dir kann nichts passieren, musst du das tun.

STANDARD: Ist der Fußball manchmal ungerecht?

Koller: Ja. Es ist aber wichtig, zu betonen, dass es nur ein Spiel ist. Es interessiert und bewegt viele.

STANDARD: Ist es ein Zeichen der Zeit, dass es nur mehr Schwarz und Weiß gibt, auf die vielen Grautöne vergessen wird?

Koller: Das war immer so in Österreich, ich muss es akzeptieren. Ich wurde kritisiert, als ich angefangen habe. Mein Ziel ist, erfolgreich zu sein und alles dafür zu tun. Es geht nicht darum, irgendjemandem gerecht zu werden, sondern darum, Spiele zu gewinnen. Ich kann nicht versprechen, dass wir Irland schlagen. Die Mannschaft gibt alles, es läuft momentan nicht ganz so rund, wie wir es erhoffen. Es passieren Fehler. Dass man Höhen und Tiefen hat, ist doch klar, Österreich ist nicht die Fußballnation, die x-mal Welt- und Europameister wurde.

STANDARD: Sie sagten einmal, dass man nach vier Jahren als Trainer wechseln, sich einer neuen Herausforderung stellen sollte. Haben Sie den Absprung vom ÖFB verpasst?

Koller: Nein, die vier Jahre gelten meiner Meinung nach für den Klubfußball. Wenn man täglich beisammen ist, gibt es Abnützungen.

STANDARD: In diesem Jahr ist einiges schief gelaufen. Die Analyse nach der EM war vage. Behauptet jemand, Marcel Koller war in Frankreich nicht in Hochform, was antworten Sie?

Koller: Was soll ich sagen? Kann sein. Es muss immer alles zusammenspielen, es macht auch keinen Sinn, wenn der Trainerstab in Hochform ist und die Mannschaft ist es nicht. Wir sind eine Einheit, konnten ein bis zwei Ausfälle immer auffangen. Gibt es mehrere Probleme, dann wird es schwierig. Einige hatten keine Praxis, andere waren verletzt. Das Vertrauen in sie war aber größer als die Sorge. Die Alternative wäre gewesen, vier bis fünf Leute auszuwechseln und mit einer neuen, nicht funktionierenden Elf anzutreten.

STANDARD: Sie vertrauen den Spielern. Kann diese prinzipiell ehrenwerte Eigenschaft auch zu einer Schwäche werden?

Koller: Kann sein. Vertrauen birgt immer ein gewisses Risiko, aber ich gehe es ein.

STANDARD: David Alaba, der wohl beste österreichische Fußballer, wurde zuletzt ebenfalls infrage gestellt. Ärgert Sie das? Möglicherweise spielt da auch die Neidkomponente eine Rolle, nach dem Motto, der Multimillionär müsse viel mehr bringen.

Koller: Das kommt dazu. Konstruktive Kritik ist okay. Wenn einer nicht gut war, kann man das äußern. Aber man muss wieder loslassen, darf nicht darauf beharren. Fünf Jahre war Alaba der Heilsbringer und plötzlich soll alles schlecht sein? Er wird auf den Boden gedrückt, und man drückt noch einmal drauf. Das geht nicht. Heutzutage kann jeder seine Meinung sagen, Grenzen überschreiten. Das ist mittlerweile ein Sport geworden. Je lauter, derber und zermürbender einer schreit, desto mehr Gehör findet er.

STANDARD: Fragt man Sie, warum Alaba im Team nicht wie bei den Bayern linker Verteidiger spielt, besteht da die Gefahr, dass Sie an die Decke springen?

Koller: Nein. Aber mit seiner Spielintelligenz, seinem Tordrang, seiner Wahrnehmung ist er für uns im Mittelfeld wichtiger. Warum alle sagen, er muss links spielen, verstehe ich nicht.

STANDARD: Weil Kapitän Christian Fuchs aufgehört hat und diese Position vakant ist, vielleicht?

Koller: Und wer soll dann Alabas Position einnehmen? Ich weiß, dass er links spielen kann. Aber für mich ist er die Zentrale. Wir haben nicht fünf andere in dieser Position mit seinen Qualitäten.

STANDARD: Marc Jankos Verdienste sind absolut unbestritten. Aber seine Karriere neigt sich dem Ende zu. Wo sind die Alternativen zum Mittelstürmer?

Koller: Sagen Sie mir eine? Es ist unser Problem, dass wir international keine Mittelstürmer haben, die über einen längeren Zeitraum regelmäßig Tore schießen.

STANDARD: Hat Österreich ein Qualitäts- oder ein Quantitätsproblem?

Koller: Wir haben Positionen, da sind zwei, drei andere in der Hinterhand, die einspringen können. Aber halt nicht für jede Position.

STANDARD: Packen wir das Phrasenschwein aus. Es heißt, aus Niederlagen lernt man mehr als aus Siegen. Was weiß die Mannschaft?

Koller: Dass einem nichts geschenkt wird, dass du dich nicht auf Lorbeeren ausruhen kannst. Du musst immer wieder Gas geben, darfst nie lockerlassen.

STANDARD: Haben Sie das Gefühl, dass einige nicht mehr zuhören?

Koller: Das ist absolut nicht der Fall. Sie sind höchst konzentriert.

STANDARD: Aber das Getriebe stottert. Es ist kein Selbstläufer mehr. Eine spannende Phase, oder?

Koller: Es ist immer spannend. Die Selbstläufergeschichte hat es nie gegeben. Wenn es gut läuft, hast du das Selbstvertrauen. Du machst Dinge, die du in Phasen des Zweifels nicht machst. Da überlegt man zu lange. Bist du selbstbewusst, siehst du das Loch und wusch, ist der Ball dort. Das ist schon seit 150 Jahren so.

STANDARD: Die meisten Spieler lehnen das psychologische Angebot ab. Dabei ist Fußball, sagt nicht nur das Phrasenschwein, Kopfsache. Ein Fehler?

Koller: Absolut. Das wird auch ein Faktor sein, um das Spiel weiterzuentwickeln. Was Einzelsportler machen, ist auch für Fußballer wichtig. Der eine oder andere wird merken, dass es gut tut. Fußballer müssen Suchende sein. Individuelle Programme werden immer bedeutender. Es dauert eben, bis es zum Aha-Erlebnis kommt.

STANDARD: Kommen wir zu Irland. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass Österreich gewinnt?

Koller: Wir haben eine gute Mannschaft, die das Spielerische auf den Platz bringen kann. Wir spielen daheim, das Stadion ist ausverkauft, die Fans werden uns pushen. Und wir haben Irland schon einmal geschlagen.

STANDARD: Was kann Irland besser?

Koller: Ich will meiner Mannschaft Selbstvertauen geben, sie nicht verunsichern. Die Stärke der Iren ist, dass sie robust sind, sich nichts gefallen lassen und in die Zweikämpfe gehen, typisch britisch eben.

STANDARD: Muss man den acht Millionen Teamchefs klar machen, dass die WM-Endrunde 2018 in Russland sehr weit weg ist?

Koller: Ja. Aber nur, weil wir drei Punkte weniger haben, ist sie nicht weiter weg als vorher. Ich habe bereits nach der Auslosung gesagt, es wird eine enge Gruppe. Wales, Serbien, Irland und wir sind auf gleicher Höhe. Und Georgien ist ebenfalls stark.

STANDARD: Ist Ihre Lust am Job ungebrochen?

Koller: Ja. Nach der Euro ging es mir auch nicht gut. Aber man muss aufstehen, sich in den Hintern kneifen. (Christian Hackl, 7.11.2016)