"Das Problem ist in Schulen meist, dass kaum Lehrpersonal zur Verfügung steht, das sich mit den technischen Einzelheiten auskennt."

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"Und als damals das Rad erfunden wurde, war es ja auch schon nicht falsch, darauf hinzuweisen, dass man nach Möglichkeit nicht darunter geraten sollte."

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Wie weit darf personalisierte Werbung gehen? Gibt es ein "Recht auf offline sein", und können Gesetzgeber und Konsumentenschutz überhaupt mit dem technologischen Fortschritt mithalten? Christiane Wendehorst, Professorin für Zivilrecht an der Universität Wien, gibt Auskunft über diese und ähnliche Fragestellungen. Im Rahmen der "Semesterfrage", die die Universität Wien gemeinsam mit derStandard.at stellt, posteten Leser im Eingangsartikel "Internet der Dinge: Spionieren uns Gegenstände aus?" ihre Fragen.

Christiane Wendehorst: Ob dies konkret ein Zufall war oder nicht, vermag ich natürlich nicht zu beurteilen. Aber tatsächlich gehört personalisierte Werbung, die uns exakt zu dem Zeitpunkt erreicht, zu dem wir für sie am aufnahmefähigsten sind, zurzeit zu den lukrativsten Verwertungen von personenbezogenen Daten. Beim Browsen im Internet ist dies allgegenwärtige Realität: wir werden "bombardiert" mit Werbebannern bestimmter Unternehmen, deren Webseiten wir kürzlich besucht haben, oder mit Reklame für Produkte, die wir uns kürzlich angesehen haben. Über Bluetooth und dergleichen verbinden sich unsere Handys mit Beacons – also kleinen Sendern – in unserer Umgebung, wodurch uns – wenn sich eine passende App auf unserem Handy befindet – standortbezogene Werbung eingeblendet wird.

Fieberhaft wird an deutlich ausgeklügelteren Methoden gearbeitet, die unsere möglichen Wünsche schon erraten, bevor wir sie selber gebildet haben: Wenn unsere smarte Personenwaage zwei Kilo mehr meldet, bekommen wir zum Beispiel gezielt Werbung für Fitnessprodukte und Leichtkost, sind es zehn Kilo mehr, überschüttet man uns mit Information über Gewand in Übergrößen und mit elastischer Bundweite. Es kann also sehr gut sein, dass das Mikrophon des Smart-TV-Geräts in Ihrem Fall Ihre Gespräche aufgezeichnet hat und sie über darauf spezialisierte Anbieter und Algorithmen auf Schlüsselwörter hin durchsucht wurden.

Wenn Sie der Sache nachgehen wollen, lesen Sie sich doch die Nutzungsbedingungen insbesondere für das Betriebssystem und die Voice-Control-Funktion durch, falls Sie überhaupt noch Zugang dazu haben. Finden Sie da etwa einen Satz, wie "XY nutzt Ihre Sprachdaten auch, um seine Dienste ständig zu verbessern und Sie über für Sie besonders relevante Dienste und Produkte zu informieren", dann spricht einiges gegen Zufall … aus datenschutzrechtlicher Sicht wäre dieses Vorgehen allerdings hochproblematisch.


Wendehorst: Es ist richtig, dass viele Menschen mit erstaunlicher Bereitwilligkeit die intimsten Daten über sich ins Netz stellen. Allerdings sind das nicht zwangsläufig dieselben Menschen, die sich Sorgen machen über ihre Daten im Internet der Dinge. Ich würde sogar wagen zu behaupten, dass es eher selten dieselben Menschen sind. Der große Unterschied zwischen Facebook und meinem Auto ist dabei: Niemand zwingt mich, bei Facebook zu sein, und selbst wenn ich aus irgendwelchen beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen faktisch zum Beitritt gezwungen bin, muss ich dort nichts preisgeben, was ich nicht preisgeben möchte. Ohne Auto zu leben wird aber deutlich schwieriger, und wenn es bald keine anderen als vernetzte Autos mehr auf dem Markt zu erwerben gibt, sitze ich in der Falle.

In der Politik ist teilweise ein "Recht auf analoge Welt" proklamiert worden, das heißt, dass ich die Möglichkeit haben muss, mich der Digitalisierung oder einigen ihrer Aspekte zu entziehen, und dass ich deswegen keine Diskriminierung erfahren darf. Auch wenn das so radikal sicher nicht umgesetzt werden kann und nicht umgesetzt werden sollte, ist es doch ein interessanter Ansatz.

Wendehorst: Ihrer Schlussfolgerung am Ende kann ich mich absolut anschließen, und glücklicherweise hätte bei der Auswahl auch ich spontan auf E getippt ;-). Ich lese Ihr Posting selbstverständlich auch nicht so, als wollten Sie suggerieren: Wer am Internet der Dinge überhaupt Probleme sieht, der gehört zur Spezies jener hinterwäldlerischen, paranoiden und/oder abergläubischen Zeitgenossen, die auf A bis D tippen würden.

Wendehorst: Sie legen Ihren Finger auf einen wichtigen Punkt. Ja, tatsächlich reagieren die meisten Schulen und bieten entweder im Informatikunterricht oder in anderen Unterrichtsstunden und freiwilligen Zusatzveranstaltungen Aufklärung an. Meine Kinder wissen auch offenbar aus dem Unterricht, was eine "Filterbubble" ist, und dass man keine potenziell kompromittierenden Partyfotos auf Facebook stellen sollte. Das Problem ist allerdings meist, dass kaum Lehrpersonal zur Verfügung steht, das sich mit den technischen Einzelheiten wirklich auskennt. Hinzu kommt, dass die Betreffenden mit öffentlichen Aussagen sehr vorsichtig sein müssen, weil sie sich – wenn sie vor bestimmten Produkten warnen – mit einem Bein in juristischen Auseinandersetzungen finden.

Ich selbst habe kürzlich an einer solchen Informationsveranstaltung für Schülerinnen, Schüler und Eltern teilgenommen. Recht viel Konkreteres als "Man muss mit den Einstellungen jedes Dienstes sehr vorsichtig sein" ist dabei nicht herausgekommen. Zusätzlich wurde massiv für einen "US-amerikanischen Hersteller mit Obst im Logo" geworben, weil der ein geschlossenes System anbiete, was viel sicherer sei. Gewünscht hätte ich mir, dass man mit den Kindern auf einem großen Bildschirm oder der Leinwand genau durchspielt, wie ich die Einstellungen bei den gängigsten Diensten und Betriebssystemen wählen sollte – am besten so, dass sie es während des Vortrags am Handy gleich mitvollziehen können.

Wendehorst: Eine einseitige Verdammung des "Internet of Things" (IoT) ist sicherlich fehl am Platze, und ich vertraue darauf, dass mein Artikel auch nicht so aufgefasst worden ist. Ich sehe momentan allerdings überhaupt nicht die Gefahr, dass die technologische Weiterentwicklung durch IoT nicht hinreichend gewürdigt würde, eher im Gegenteil. Und als damals das Rad erfunden wurde, war es ja auch schon nicht falsch, darauf hinzuweisen, dass man nach Möglichkeit nicht darunter geraten sollte.

Wendehorst: Die Festlegung der Kriterien für die Kennzeichnungspflicht ist sicher nicht einfach, und die Kennzeichnung darf auch nicht nur pauschal für ein bestimmtes Produkt gelten – vielmehr hätte ein bestimmtes Produkt, etwa ein Smartphone, vielleicht die Klassen "B bis F", und bezogen auf jede Konfiguration des Smartphones müsste die aktuell eingestellte Klasse auf dem Display angezeigt werden. Es käme also insoweit tatsächlich darauf an, ob die Sprachsteuerung deaktiviert ist oder nicht, ebenso wie übrigens beim Smart-TV. Und ob die intelligente Lampe besser abschnitte als der smarte Thermostat, hinge zum Beispiel davon ab, ob sich ein Gerät an den äußeren Lichtverhältnissen beziehungsweise Temperaturen orientiert (eher unproblematisch), ob es über Bewegungsmelder die Anwesenheit von Personen im Raum registriert und sich darauf einstellt (deutlich problematischer) oder ob es alle Innenraumgespräche über internetgestützte Dienste auf Schlüsselwörter hin analysiert (potenziell sehr problematisch).

Was die Festlegung der Klassen selbst anbelangt, müsste auf mehrere Gesichtspunkte abgestellt werden, insbesondere auf: Art und Sensitivität der erhobenen Daten, Umfang der erhobenen Daten, Wahrscheinlichkeit ihrer Verbindung mit einer individuellen Person, Art der Nutzung durch den Verantwortlichen, Sicherung vor dem Zugriff unbefugter Dritter, und so weiter. Das ist sicherlich viel komplexer als die Energieeffizienz eines Haushaltsgeschirrspülers. Aber selbst die Energieeffizienz eines Geschirrspülers ist nicht ganz so einfach zu bestimmen: Es müssen ja erst einmal die Referenzgrößen festgelegt und die Bedingungen für einen Standardreinigungszyklus definiert werden, zum Beispiel auf wie viele Maschinenladungen pro Jahr, mit welcher Füllung, welchem Verschmutzungsgrad, welcher Spüldauer und so weiter sich die Messung bezieht.

Ich bin relativ zuversichtlich, dass man hier ein transparentes System schaffen könnte. Die derzeitige Situation, dass man dem Nutzer letztlich sagt: "Fordere für jedes Produkt erst das Kleingedruckte an, lies dir die 150 Bildschirmseiten durch, versuche sie zu verstehen und richte dich bei deiner Kaufentscheidung danach!", kann nicht das letzte Wort sein. (Christiane Wendehorst, 17.11.2016)