Foto: Christian Fischer

Wien – "Ich mag es nicht herauszustechen, möchte aber trotzdem ein bisschen anders aussehen", sagt Julian. Mit Mode könne der Architekturstudent seine Individualität zeigen. Und diese kommt in mehreren Lagen: Über dem T-Shirt trägt er ein kariertes Hemd mit Kapuze, dazu Jeans und Sneakers. Abgerundet wird sein Look mit einer Lederjacke. Für diese hat der 20-Jährige ein "richtiges Faible", wie viele er davon besitzt, weiß er gar nicht. "Ich mag Vielseitigkeit. Jacken kann man gut kombinieren."

Julian ist 20 und studiert Architektur an der Technischen Universität Wien. Sein Outfit passt der gebürtige Deutsche vor allem "dem Wetter" an. Trotzdem ist ihm Mode sehr wichtig. Am liebsten hat er Jacken, in allen Ausformungen: Lederjacke, Weste oder Mantel gehören zum Auftreten dazu. Im Lagenlook kann er diese kombinieren. Seinen Stil, so sagt er, hat er in seinen Teeniejahren entwickelt. "Etwa in der siebenten Schulstufe habe ich begonnen mich so anzuziehen." In Österreich wäre das die dritte Klasse in der Mittelschule oder im Gymnasium. Den größten Einfluss auf seinen Stil habe sein älterer Bruder gehabt.
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In Julians Alter bestehe die Anforderung, den eigenen Stil zu entwickeln – bei Frauen sei diese höher als bei Männern, am höchsten bei jungen Frauen, sagt Soziologin Kornelia Hahn. "Man soll und will sich unterscheiden, besonders in einer Phase, in der man vielleicht am Beziehungsmarkt verstärkt sichtbar ist, das ergibt auch eine gewisse Konkurrenzsituation." Heute ginge es auch besonders in Modemagazinen sehr stark darum, "einen eigenen Stil zu finden", sagt Hahn. Dieser würde als etwas völlig "Natürliches" dargestellt.

Für Bella (19) und ihre Freundin Sarah (18) muss das Outfit "hoffentlich bequem sein". Hohe Schuhe würden die beiden auf die Uni jedenfalls nicht anziehen. "Wir sind teilweise sieben Stunden auf der Uni", sagt Sarah. Bei vielen würde es aber eine Rolle spielen, "einen typischen Uni-Style zu kreieren". An ihrem Institut, der Politikwissenschaft, würde Bella diesen Style als "Hipster-Brille, Bart, Lederrucksack" beschreiben. "Die Burschen haben zum Teil sogar schönerer Rucksäcke als ich. Da bin ich manchmal echt neidisch", sagt sie. In den Rechtswissenschaften vermutet sie: "Gebügelter Stil, sehr kurze Kleider und Stöckelschuhe" als Trend.
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Allerdings gebe es viele Faktoren, die junge Erwachsene bei der Kleiderwahl beeinflussen: "Etwa gibt das Milieu, in das man hineinsozialisiert wird, vor, was schön, passend und ästhetisch ist", sagt Hahn, die an der Uni Salzburg zu diesem Thema forscht. Peergroups wie der Freundeskreis würden sich zudem in bestimmten Schönheitsvorstellungen und darin, dass bestimmte Stile abzulehnen sind, bestärken: "Stil ist da nicht individuell, sondern sozial." Individualität sei eine schwierige "Gratwanderung": "Die Bekleidungsformen sollen individuell sein, gleichzeitig von der Referenzgruppe auch als schön erkannt werden."

Abweichler vom modischen Mainstream werden für ihren "individuellen" Stil oft nicht bewundert. Dies gilt auch für extreme Abweichungen in beide Richtungen: etwa Menschen, die etwas sehr Avantgardistisches tragen, würden auf der Straße oftmals genauso angestarrt wie Menschen, die zum Beispiel seit mehreren Jahren auf der Straße leben und deren Kleidung stark abgenutzt ist, sagt Hahn.

"Durch Kombination soll eine Handschrift erkannt werden und eine Geschichte zum eigenen Look entstehen."

Das Modische sei heute, eine eigene "Kollektion" zusammenzustellen und Teile miteinander zu kombinieren. Die einzelnen Stücke seien nicht außergewöhnlich, sondern werden im Normalfall aus Konfektionsteilen, die in großer Stückzahl industriell produziert werden, bestehen. Durch die Kombination untereinander solle eine "Handschrift erkannt werden und eine Geschichte im Sinne der individuellen Bedeutungszuschreibung zum eigenen Look entstehen", sagt Hahn. Dies sei Teil der "modischen Anforderung". Dabei würden durchaus auch wieder Stücke, die aus dem Rahmen fallen, zum Beispiel aus Second-Hand-Läden, kombiniert. "Das ist jetzt wieder en vogue, gleichwohl sich der Kauf von Neuware dadurch insgesamt nicht verringert."

Kein Interesse an Mode

Modisch nicht interessiert scheint Fouat zu sein. Er ziehe sich "immer nur ganz basic" an. Dem Bauingenieur-Studenten sei das Aussehen schlicht "wurscht". Die Studenten im Bauingenieurstudium würden trotzdem alle "ähnlich" aussehen: "Jeans, Pulli, Convers, Vans, oder Nike-Schuhe", zählt der 19-Jährige auf. Obwohl er alle Marken kennt, seien sie für ihn angeblich uninteressant. Das Leiberl kann auch vom Diskonter sein. Nur bei Schuhen schaut er genau hin: "Es gibt schon viele hässliche." Er trägt rote Nike Air Force 1. Er zeigt auf den Schriftzug: "A.F. – wie meine Initialen." Mit Mode hätten die auffälligen Treter nichts zu tun.

Die roten Schuhe habe er nur gekauft, weil das A.F.-Emblem ihn an seine Initialen erinnerte. Mit Mode habe er wenig am Hut. Trotzdem sitzen Jeans, NYC-Pulli, der senfgelbe Parker und die graue Haube perfekt. Fragt man den Bauingenieurstudenten, ob er auch mal was Extravaganteres anzieht, deutet er auf die Treter. Die restlichen Klamotten nimmt er einfach, wie sie aus dem Kasten kommen. Eine dreiviertellange Hose, wie sie sein Kollege trägt, würde er trotzdem nie anziehen, auch nicht die zu dessen Outfit gehörenden Adidas Allstars in der Farbe Minzgrün.
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"Interesse an Mode wird oft als oberflächlich betrachtet", erklärt Claudia Reifberger, Senior Artist im Department für Modedesign an der Angewandten. Ob jene, die "von Kopf bis Fuß durchgestylt" sind, flunkern oder es nur nicht wissen, dass sie dieses Interesse haben, wenn sie es abstreiten, sei die Frage. "Wenn man individuell sein will, ist es schwierig, einem Trend anzugehören." Ein Beispiel seien Hipster: "Individualismus spielt bei Hipstern, das behaupten sie zumindest selbst, eine große Rolle, dennoch sind sie durch ihre modischen Codes klar zu erkennen, sie lassen sich selbst aber nur sehr ungern so bezeichnen."

Modischer Einheitsbrei

Trotzdem: Auch wenn ein großer Teil der Studierenden behaupte, er ziehe sich nicht modisch an, "kommuniziert man – bewusst oder unbewusst – mit Kleidung und Mode". Denn man müsse eine Entscheidung treffen – spätestens in der Früh, wenn man sich anzieht. Aber auch im Geschäft, wenn man seine Kaufentscheidung trifft. "Fast-Fashion-Unternehmen spielen heute eine große Rolle, sie werden von Jugendlichen als eine Möglichkeit für leicht verfügbare Kleidung wahrgenommen", sagt Reifberger. Es seien jedoch Unternehmen, die sich mit Mode auseinandersetzen, und dann "Trends sehr schnell kopieren".

Von den Fast-Fashion-Unternehmen würde heute ein "modischer Einheitsbrei" vorgegeben. Von der Peergroup würde dieser mit Accessoires verfeinert.

In Österreich erkenne man bestimmte Trends an den Leuten wieder, sagt Silja. Die Erasmusstudentin aus Finnland mag Mode. Muss sie sich selbst beschreiben, dann sagt sie, sie sei "von den 50ern und 60ern inspiriert". Die Kleider seien damals qualitativ hochwertiger produziert worden. Auch die Schnitte seien eher an den Körper einer "richtigen Frau" angepasst und würden darum besser sitzen als das, was jetzt produziert wird.
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Silja (22) sagt offen, dass sie sich Anleihen sucht. Die Finnin ist von den 1950ern und 1960ern inspiriert. Ihr geht es um Qualität und nicht darum, "einfach viel zu kaufen". Für eine gute Jacke gibt sie gern mehr Geld aus. "Ich kaufe viel secondhand und nehme Gewand von den Eltern oder Freunden", sagt die Jusstudentin.

"Vintage ist ein Trend, der anhält", sagt Reifberger. Auch dadurch könne versucht werden, Individualität auszudrücken. "Der Trend kommuniziert auch, dass man auf Qualität setzt. Kleidung, die 30 Jahre hält, sagt schon was anderes aus als ein T-Shirt von einem großen Fast-Fashion-Shop." Diese Geschäfte würden mittlerweile auch versuchen, auf Qualität zu setzen. Allerdings eher in den Schnitten und Trends, weniger in der Verarbeitung oder den Stoffen.

Mode und Musik

In Wien spiele Mode laut Silja eine ganz andere Rolle als in ihrer Heimat Helsinki, sagt die Blondine. "Hier sieht man Trends." In Finnland ginge es eher um das Zeigen von Interessen. "60er-Hippies, 80er-Goth oder Punks aus den 70ern werden oft aufgegriffen." Ihr würden Kleider aus den 50ern besser sitzen.

Lisa-Marie kauft gerne auf dem Flohmarkt ein. "Ich mag es, wenn Gewand eine Geschichte hat", sagt die 22-Jährige. Das gepunktete Hemd hat sie mit einem Freund in Frankreich gekauft. Zu Hause hat sie keinen Kleiderschank, die Wohngemeinschaft teilt ihr gesamtes Gewand. Ihr Stil sei auch dadurch in den vergangenen Jahren mutiger geworden. "Ich mag Farben und Muster. Es muss mich halt widerspiegeln", sagt Lisa-Marie. "Mit dem Alter wird man sicherer, wer man ist. Von klein auf wurde man von den Eltern angezogen, dann muss man in der Schule anziehen, was die anderen anziehen", sagt Ina. "Ketten und so ein Zeug mag ich nicht, aber Socken sind mir wichtig", lacht die 27-Jährige. Lisa-Marie hat auch einen Koffer voller Socken: "Da schau ich immer, was rauskommt. Ich mag es nicht, die zusammenzusuchen", sag Lisa-Marie. Am Bild trägt sie zwei verschiedene blaue Socken. Die beiden studieren Kunst an der Akademie für bildende Künste in Wien.

"Früher hatte Mode mehr mit politischen Bewegungen zu tun", sagt Reifberger, junge Menschen hätten sich über ihr Aussehen vermehrt politisch verortet. Kulturen und Peergroups spielten auch heute eine wichtige Rolle. "Etwa je nachdem, welche Musik man hört, zieht man nicht nur Tour-Shirts an, sondern kleidet sich auch entsprechend." Musikrichtungen geben Stile und Codes vor: "Jemand, der auf ein Placebo-Konzert geht, kleidet sich anders als jemand, der Robbie Williams hört", sagt Reifberger. Musiker seien häufig Vorbilder und abseits der Eltern die "erste Auseinandersetzung" mit Stilen: "Bewusst oder unbewusst wird das nach außen getragen."

"Steht man im Geschäft vorm Kleiderständer, sind die Arbeits- und Lebensbedingungen all jener, die diese Kleidung fertigen, vergessen oder verdrängt."

Auch wenn man über Kleidung heute seine politischen Ansichten weniger nach außen kehre, sei sie aber insofern ein "politischer Akt", als man darüber seine Zugehörigkeit und seine Interessen demonstriert. Allerdings würde das morgendliche Anziehen nicht mehr als ein solcher Akt wahrgenommen. "Steht man im Geschäft vorm Kleiderständer, sind die Arbeits- und Lebensbedingungen all jener, die diese Kleidung fertigen, vergessen oder verdrängt", sagt Reifberger: "Auch wenn in den sozialen Medien häufig Artikel zu genau dem Thema gepostet werden."

Wenn man älter wird, gehöre es auch dazu, sich nicht mehr "zu jugendlich zu kleiden". Man sei aber genauso beeinflusst, allein dadurch, dass man das, was für jüngere als Mode gilt, selbst nicht trägt." Später haben sich auch ganz unterschiedliche Lebensstile herausgebildet, die den Bekleidungsgeschmack beeinflussen, und die Personen sind wahrscheinlich auch in mehrere, unterschiedliche modische Bezugsgruppen eingebunden. Dadurch gibt es nicht mehr "die" Mode etwa für die Generation 40 plus wie für eine jüngere Generation.

Schick im Studium

Wechselnde Trends sagen Silja, die sich vor dem Foto die Overknees richtet, weniger zu. Diese mag hingegen Marina. Auf Instagram findet die Jusstudentin ihre Inspiration. Hat sie ein Outfit gefunden, das ihr gefällt, kauft sie es schon mal nach – "wenn es nicht zu teuer ist." Mode sei ihr sehr wichtig, auch an der Uni. Denn der erste Eindruck würde für die meisten zählen. "Wenn jemand heruntergekommene Sachen trägt, schaut man ihn anders an, als wenn er schicker angezogen ist."

Marina studiert Jus und will sich auch dementsprechend anziehen. "Schicker". An der Uni sei es wichtiger, sich "eleganter" anzuziehen. Mode ist ihr sehr wichtig, weil das Äußere das Erste ist, was sie an einer Person sieht. "Wenn jemand heruntergekommene Sachen trägt, schaut man ihn anders an, als wenn er schicker angezogen ist", sagt die Jusstudentin. Tipps, was sie anziehen könnte, sucht sie sich auf Instagram. "Da gibt es viele Bloggerinnen, die mir gefallen", sagt die 20-Jährige. Dass auf der Wirtschaftsuni die "Schnösel" und auf der Universität für Bodenkultur die "Kiffer" seien, hält sie für ein weitverbreitetes Vorurteil.
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Auf der Uni gebe es einige, die sich "darauf vorbereiten, gesehen zu werden", sagt Daniel. Als "leger und kommod" beschreibt der Architektur- und Politikwissenschaftstudent indes sein Aussehen. Trends wolle er nicht mitmachen, trotzdem fielen sie ihm auf. "Meine Brille habe ich seit einem Jahr", grinst er mit Retrogläsern auf der Nase. "Ich habe sie bei der Caritas gekauft, bevor es zum Trend wurde." Auf der Architektur zögen sich seine Mitstudierenden "formaler" an als auf der Hauptuni. "Das geht wohl damit einher, dass das Studium immer noch auf einen Prestigeberuf abzielt."

Daniel hegt beim Einkaufen einen nachhaltigen Gedanken. "Man muss nicht immer neue Sachen kaufen, wenn man etwas braucht, sondern Altes wiederverwenden. Außerdem geht mir am Senkel, in großen Geschäften einzukaufen." Um Trends macht der Politikwissenschaft- und Architekturstudent einen Bogen: "Das klingt blöd, aber ich hab die Brille bei der Caritas gekauft, bevor es in wurde." Den Trend zur Retrobrille hat er aber mitbekommen. "Man wird auch immer wieder darauf angesprochen."
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Unterschiedliche Zugänge zu Mode je nach Studienrichtungen erkennt auch Hahn: "In Gesellschaftswissenschaften mag es für viele eher peinlich sein, sich als Fashionista auszugeben, aber das verweist nur wieder auf einen anderen Stil."

In Rechts- und Wirtschaftswissenschaften müsse man oft noch zeigen, dass man dazugehöre. "Das sind Aspirationen aufs spätere Berufsleben, Jobs, die einen fixen Dresscode haben. Das ist in den Gesellschaftswissenschaften nicht so." Allerdings gehöre es dort wiederum etwa zum Dresscode, dass man Labels nicht hervorkehrt. "Dass große Logos zu sehen sind, ist eher die Seltenheit", sagt Hahn.

"Es kommt drauf an, wie warm es ist", sagt Thomas über die Entscheidung, die er jeden Morgen vor dem Kasten fällt. "Als Student kommt es auch darauf an, was gerade sauber ist und nicht an der Wäscheleine hängt", fügt er hinzu. Wenn er einkauft, ist ihm wichtig, dass Hosen "ewig leben", betont der 21-jährige Medizinstudent. Es müsse aber nichts Teures sein, auch bei Ketten habe er schon die Erfahrung gemacht, dass Sachen nicht zu schnell kaputtgehen.
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Eine Gruppe gebe es überall: "Sowohl auf der Angewandten als auch auf der Wirtschaftsuni findet man Hipster", sagt Reifberger. (Oona Kroisleitner, Eva Schrittwieser, 18.11.2016)