Frauen im Oktober vor einer Veranstaltungshalle in Riad: Es erwartet sie ein Auftritt der US-Tanzgruppe iLuminate vor einem gemischten Publikum. Die Sitten werden lockerer, klagen Konservative.

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Riad/Wien – In der saudi-arabischen Hauptstadt Riad begann am Mittwoch ein Prozess gegen ungewöhnliche Demonstrantinnen: Dreizehn Frauen – keine davon in Haft und vor Gericht erschienen – sind wegen "Aufwiegelung" und "Teilnahme an Unruhen" angeklagt. Sie hatten in den ersten Monaten des Jahres 2013 wiederholt Sit-ins und Proteste in der Stadt Buraida abgehalten und dabei ein Bild des Innenministers, des heutigen Kronprinzen Mohammed bin Nayef, verbrannt. Die Frauen, die teilweise ihre Kinder dabeihatten, demonstrierten für die Freilassung von Angehörigen, eingesperrt wegen Terrorismusverdachts, und wurden selbst kurzfristig festgenommen.

Bei Protesten und deren Repression in Saudi-Arabien fallen dem westlichen Medienkonsumenten reflexartig liberale Stimmen ein – vor allem der zu Peitschenhieben verurteilte systemkritische Blogger Raif Badawi, der noch immer im Gefängnis sitzt, oder jene Frauen, die sich verbotenerweise ans Steuer eines Autos setzen und Schwierigkeiten mit den Behörden bekommen.

Aber das ist eben nur die halbe saudische Realität. Öfter als von Vertretern einer modernen Schicht wurde das Haus Saud in seiner Geschichte von noch konservativeren Kräften herausgefordert. Sie werfen den Sauds vor, den wahren Weg des Islam, so wie ihn der salafistische Prediger Mohammed Ibn Abdulwahhab im 18. Jahrhundert predigte, verlassen zu haben.

Ein Teil davon radikalisierte sich in den 1990er-Jahren, nachdem König Fahd die Stationierung von US-Truppen in Saudi-Arabien erlaubt hatte. Aus der Provinz Qassim hatte Al-Kaida am meisten Zulauf, und später rekrutierte hier der "Islamische Staat" für Syrien und den Irak. 2014 wurden für saudische Bürger, die sich dem Jihad anschließen, schwere Strafen eingeführt.

Sorge um die Eierstöcke

Buraida, Hauptstadt der Provinz Qassim im Najd, dem Landesinneren, gilt als Zentrum der erzkonservativen Kritik. Alleine, dass Frauen auf die Straße gehen, zeigt, wie viel sich auch dort geändert hat. Aber in Qassim sind nach wie vor die Ultras unter den wahhabitischen Klerikern installiert, unter anderem jener Sheikh Saleh al-Luhaidan, der für sein Urteil berühmt wurde – und dem saudischen Komiker Hisham Fageeh Stoff für seinen Song No Woman, no Drive lieferte –, dass das Lenken eines Autos die weiblichen Eierstöcke schädige.

Aber da gibt es Schlimmeres, wie etwa eine Fatwa von Abdulrahman al-Barrak, der dazu auffordert, jene zu töten, die gegen Geschlechtersegregation sind. Der berühmteste dieser Sheikhs ist wohl Salman al-Ouda, dem Millionen Menschen auf Twitter folgen. Alleine Letzteres zeigt jedoch wieder, wie viel sich verändert hat: Als 1965 in Buraida das erste TV-Studio errichtet wurde, wurde es noch von Ultrakonservativen, die es verhindern wollten, gestürmt.

Die erste 1963 errichtete Mädchenschule in Buraida musste von der Nationalgarde geschützt werden und hatte zu Beginn eine einzige Schülerin: die Tochter des Lehrers. Heute ist der Schulbesuch auch für Mädchen sehr konservativer Familien völlig normal. Aber es musste von oben durchgesetzt werden.

Als die demonstrierenden Frauen von Buraida festgenommen wurden, setzten sich auch liberale Kritiker des Systems für sie ein, wie der Menschenrechtsaktivist Mohammed Fahad al-Qahtani, der 2013 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Er zieht jedoch genau am anderen Ende des Strangs als die meisten Gefangenen aus der Provinz Qassim, die in saudischen Gefängnissen einsitzen: Ihre Forderungen nach einer Veränderung des Systems sind nicht gleichbedeutend mit jener nach Öffnung. Ob die Frauen von Buraida außer der Freilassung ihrer Männer noch etwas wollten, ist jedoch unbekannt.

Reformdruck und -ablehnung

Ob das Königshaus gesellschaftliche Reformen verweigert – weil ihm das repressive System so passt – oder ob es sich aufgrund der ultrakonservativen Grassroots nicht traut, etwas zu ändern, ist selbst unter Saudis umstritten. König Abdullah, der im Jänner 2015 verstarb, machte in seinen letzten Lebensjahren einige Konzessionen, so holte er Frauen in den elitistischen Zirkel der beratenden Schura.

Für Ultrakonservative sind auch aktuelle Lockerungen schwer zu schlucken, die etwa vermehrt Unterhaltungsveranstaltungen und Konzerte erlauben. Und das vorislamische Erbe auf der Halbinsel steigt im Kurs: offenbar der späte Versuch, außer dem Islam etwas Verbindendes für die Nation zu finden. (Gudrun Harrer, 24.11.2016)