Lubomír Zaorálek warnt vor neuen Ost-West-Grenzen in den Köpfen. Die Debatte über Flüchtlingsquoten habe sich negativ auf die Haltung vieler Tschechen zur Europäischen Union ausgewirkt.

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STANDARD: Das Europäische Parlament hat sich für das Einfrieren der Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei ausgesprochen. Für welche Haltung gegenüber Ankara plädieren Sie?

Zaorálek: Die Türkei ist unser wichtiger Partner in der Nato. Das Land macht eine sehr schwierige Entwicklung durch, die Situation dort ist ernst. Aber wir sollten den Dialog mit der Türkei führen und uns darum bemühen, dass die Situation nicht noch weiter eskaliert. Die Beitrittsgespräche könnten dazu verwendet werden, gerade jene Themen zu diskutieren, die für den Erhalt der Demokratie in der Türkei wichtig sind.

STANDARD: Tschechien ist eines der wenigen westlichen Länder, die eine permanent besetzte Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus haben. Welche Erfahrungen machen Sie dort?

Zaorálek: In Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz und dem Roten Halbmond gelingt es uns, Hilfsgüter in Gegenden zu bringen, in die man sonst nicht kommt. Zuletzt haben wir Verbandsmaterial, Medikamente und sogar Dialysegeräte in solche Gebiete gebracht. Darüber verhandeln wir auch mit der syrischen Verwaltung. Wir wenden uns auch im Namen der EU an die syrische Seite und übermitteln ihr europäische Positionen. Und wir helfen anderen Ländern zum Beispiel bei der Suche nach Vermissten und nutzen dabei unsere Kontakte.

STANDARD: Was sagen Sie jenen Österreichern, die meinen, dass Tschechien und andere mittel- und osteuropäische Staaten in der Flüchtlingskrise unsolidarisch sind?

Zaorálek: In den Visegrád-Staaten (Tschechien, Slowakei, Polen und Ungarn, Anm.) gibt es einen ziemlich breiten Konsens darüber, dass wir nicht die Pflicht haben sollten, die Fehler einiger westlicher Staaten zu wiederholen. Fehler, die zum Beispiel in Frankreich gemacht wurden, wo es Leute gibt, die keine Loyalität zu dem Land verspüren, in dem sie bereits in zweiter oder dritter Generation leben. Ich würde dennoch nicht sagen, dass die tschechische Gesellschaft unsolidarisch ist. In Tschechien leben heute viele Migranten aus der Ukraine. In den 1990er-Jahren haben auch zehntausende Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien bei uns Zuflucht gefunden.

STANDARD: In der derzeitigen Debatte geht es aber eher um die Haltung der Regierung heute.

Zaorálek: Ich glaube, dass wir uns durchaus solidarisch verhalten haben. Wir haben technische Hilfe durch Experten angeboten, Ausrüstung, und wir haben uns darauf geeinigt, eine gewisse Zahl von Flüchtlingen in Tschechien aufzunehmen. Wir haben nur darauf bestanden, dass wir selbst darüber entscheiden und selbst kontrollieren können, wer und woher die Menschen sind, die zu uns kommen. Wir haben von Anfang an respektiert, dass es für die Krise eine gemeinsame Lösung geben muss. Aber nicht durch verpflichtende Quoten.

STANDARD: Was bedeutet diese Debatte für die EU, die ja auch mit anderen Krisen kämpft?

Zaorálek: Sie führt zu einer gewissen Trennung zwischen Ost und West. Man beginnt zum Beispiel, über unterschiedliche Mentalitäten zu sprechen. Ich glaube, diese Debatte ist gefährlich. In Krisenzeiten entstehen immer neue Gräben in der EU – in der Wirtschaftskrise war das ein Graben zwischen Nord und Süd, nun ist es wieder ein Graben zwischen West und Ost. Die Rolle der europäischen Politik sollte es daher sein, Kompromisse zu finden, die diese Gräben überbrücken können.

STANDARD: Der designierte US-Präsident Donald Trump gilt als eher isolationistisch. Sehen Sie dadurch eine Gefahr für den Zusammenhalt innerhalb der Nato?

Zaorálek: Wir wissen noch nicht, wie die US-Außenpolitik künftig aussehen wird. Aber als zum ersten Mal der Artikel 5 des Nato-Vertrags (Beistandspflicht unter den Mitgliedern, Anm.) angewendet wurde, geschah das zur Unterstützung der USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Das ist also keine einseitige Angelegenheit, und ich gehe davon aus, dass das auch die amerikanische Seite weiterhin so sieht.

STANDARD: Die tschechische Regierung bemüht sich um eine "Renaissance" der Beziehungen zu Österreich. Erfolgreich?

Zaorálek: Wir haben jetzt zum Beispiel regelmäßige Treffen der Landeshauptleute. Über konkrete Dinge wollen wir auch konkret reden, und ich glaube, dass wir dabei Fortschritte gemacht haben. (Gerald Schubert, 25.11.2016)