Steht der Betrachter zwischen dem farbigen Objekt auf dem Boden und dem Gitter an der Wand, wird er zum Bestandteil von Monika Brandmeiers "erweiterter Malerei": Ohne Titel, 1984.

Foto: Mumok

Wien – Von der "gottlosen" geraden Linie hat Friedensreich Hundertwasser in Bezug auf die geometrisch-abstrakte Kunst der Nachkriegszeit angeblich gesprochen. Und der Kunsthistoriker Hans Sedlmayr sah in den modularen Farbflächen, konstruktiven Quadraten und modernistischen Rastern eine "unmenschliche Rationalität".

Das war zwar nicht wohlwollend gemeint, inhaltlich lagen die beiden aber gar nicht so falsch: Schließlich schien die klare Abgrenzung vom Mief der katholischen Kirche für die Künstler der Nachkriegszeit mindestens genauso wichtig gewesen zu sein wie die Überzeugung, dass man nach dem Wahnsinn der NS-Zeit wieder die Ratio stärken muss.

In der Sammlungsausstellung von Gertraud und Dieter Bogner im Mumok ist man auch gleich zu Beginn mit seiner eigenen Entscheidungsfähigkeit konfrontiert: Auf einem Sockel steht ein Glas, das zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist: Halbvoll/Halbleer (1975) heißt die Arbeit des tschechischen Künstlers Frantisek Lésak (geb. 1943), der damit Fragen nach individueller Wahrnehmung und Interpretation des Faktischen stellt. Da Ersteres schwer objektivierbar ist, gleichzeitig aber ein wissenschaftlicher Anspruch hinter den versammelten Werken steckt, soll das Glas quasi leitmotivisch durch die Ausstellung Konstruktion_Reflexion führen.

Mit dem Titel referiert man auf die Geschichte der Sammlung, die ab 1979 durch die geometrische Abstraktion und konstruktive Gestaltungsverfahren gekennzeichnet war; erst später kamen im Rahmen der Ausstellungen der Bogners auf Schloss Buchberg auch konzeptuelle und medienreflexive Positionen hinzu: Eine davon war jene des US-amerikanischen Konzeptkünstlers Dan Graham, der 1989 in Buchberg einen Glaspavillon realisierte. Im Mumok ist das Modell seines Davidstern-Pavillons zu sehen, bei dem es ihm um das ortspezifische Verdrängen bzw. Erinnern ging.

In ihrer Sammlungstätigkeit, schreiben Gertraud und Dieter Bogner, war das Wechselspiel zwischen Formen und Inhalten bzw. die Politik der Form als Inhalt immer ein wichtiger Anspruch. Zentrale Motive sind dementsprechend die "Theoriebezüge von Malerei und Farbe, die Reflexion von Geschichte und Gesellschaft sowie das Verhältnis von Architektur, Skulptur und Abstraktion in der Tradition einer kritischen Moderne".

Gemalte Zwölftonmusik

Zu dieser Herangehensweise passt, dass man in einem ersten Kapitel die Wahrnehmung der Betrachter zu schärfen versucht: Neben der Werkserie Hommage to the Square (ab 1950) von Josef Albers ist ein Bild des Schweizer Künstlers Richard Paul Lohse zu sehen, der die Tontechniken der Zwölftonmusik auf seine Farbfeldanordnungen übertrug.

Roland Goeschl steht mit seinen konstruktivistischen Stelen für die österreichische Kunst, die in der Sammlung der Bogners – neben zahlreichen osteuropäischen Positionen – sehr stark vertreten ist. Gesellschaft und Geschichte ist das Kapitel benannt, in dem man etwa Arbeiten von Marc Adrian aus den 50er-Jahren sieht. Der Wiener Künstler, vor allem für seine Op-Art bekannt, hat sich damals der Collage bedient, um NS-Propagandabilder zu demontieren. Ähnlich radikal hat sich später Peter Weibel der Nachkriegszeit angenommen: In sein Österreich-Zimmer (1982/1992) hat er "Österreichisches" vom Plüschsofa über einen Nierentisch bis hin zu den Porträts ehemaliger Bundespräsidenten platziert.

Die Medieninstallationen jüngeren Datums (u. a. von Dorit Margreiter oder David Maljkovic) deuten zwar darauf hin, dass man inhaltlich und medial weiterhin expandiert. Insgesamt ist jedoch unübersehbar, dass die Sammelleidenschaft der Bogners (zumindest bislang) auf dem Reduzierten, formal Zurückgenommenen liegt: Davon zeugen in der Ausstellung die monochromen Textilarbeiten von Robert Adrian X genauso wie die Quadrat-Variationen von Heinz Gappmayr oder Arbeiten von Hartmut Böhm oder Stanislav Kolíbal.

Ihren minimalen Eingriffen eignet – ähnlich wie den strukturellen Bildern von Dora Maurer oder der Op-Art von Hildegard Joos – eine immens hohe analytische Präzision. Sobald man davor steht, wird aber auch deutlich, dass es viel weniger um das Rationale als um das sinnliche Erleben dieser Arbeiten geht. (Christa Benzer, Spezial, 25.11.2016)