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Mit dem Welt-Aids-Tag am 1. Dezember soll in der Bevölkerung ein Bewusstsein geschaffen werden. An der Heilung wird weiterhin geforscht.

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Ulm – Das Aids-Virus macht es der medizinischen Forschung nicht leicht. Zwar kann die Virusvermehrung mit antiviralen Medikamenten wirksam verhindert werden, für eine Heilung müssen aber auch die latenten HIV-Reservoire in den Zellen aufgespürt und eliminiert werden. Deutsche Forscher wollen ein neues Verfahren entwickeln, um "schlafende" HI-Viren gezielt zu aktivieren und sie dadurch empfänglich für die Immunantwort und antivirale Wirkstoffe zu machen.

"Eine HIV-Infektion kann mittlerweile mit einer antiviralen Therapie gut behandelt werden. Doch die Viren können in latenter Form lebenslang im Körper überdauern und die Krankheit immer wieder zum Ausbruch bringen", sagt Frank Kirchhoff, Leiter des Instituts für Molekulare Virologie an der Universität Ulm. Zusammen mit Holger Barth vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie will er einen neuen Ansatz entwickeln, um die "schlafenden" Viren in ihren zellulären Verstecken aus der Deckung zu holen und sie danach immunologisch und pharmakologisch attackieren zu können.

Die Idee: Das Virus wird durch einen speziellen Aktivator dazu gebracht, sich in allen befallenen Zellen zu vermehren, auch in den latenten HIV-Reservoiren. Ein biomolekulares Shuttlesystem sorgt dafür, dass der Aktivator in den Zellkern gelangt, wo sich die "stummen" HI-Viren im Chromosom der Wirtszelle verstecken. Die Wissenschafter setzen dabei auf einen der wirkungsvollsten HIV-Aktivatoren, der bisher bekannt ist: das virale Transaktivator-Protein "Tat", das den viralen Vermehrungszyklus in Gang setzt.

Molekulares Transportsystem

"Damit lassen sich möglicherweise HI-Viren in allen infizierten Zellen aktivieren", sagt Kirchhoff. Angegriffen werden von den Aids auslösenden Viren insbesondere bestimmte Zellen des Immunsystems wie Helfer-T-Zellen, deren Verlust letztendlich zur Immunschwäche-Erkrankung führt.

Um das Tat-Protein an seinen Zielort – den Zellkern – zu bringen, greifen die Forscher auf eines der effektivsten molekularen Transportsysteme zurück: bakterielle Protein-Toxine. "Wir haben diese bakteriellen Bestandteile, die normalerweise extrem toxisch wirken, gentechnologisch so verändert, dass sie dem Wirtsorganismus keinen Schaden mehr zufügen können", sagt Barth, der an der Uni die Wirkungsweise bakterieller Toxine erforscht und diese als hocheffiziente Nanomaschinen für den Wirkstofftransport in Zellen entwickelt.

Als Bioshuttle kommen bakterielle Bestandteile von Clostridium botulinum und von Diphtheria zum Einsatz, mit deren Hilfe das Tat-Protein die Membran des Zellkerns durchdringen soll. Auch die Blut-Hirn-Schranke soll mithilfe derartiger Molekulartransporter überwunden werden, um HI-Viren im Gehirn aktivieren zu können.

Anhänger für das Bioshuttle

Doch dabei wollen es die Forscher nicht belassen: "Es reicht natürlich nicht und ist sogar gefährlich, lediglich die HIV-Replikation auszulösen", sagt Kirchhoff. "Gleichzeitig müssen mittels antiviraler Wirkstoffe neue Infektionen verhindert und durch immunologische Ansätze die Viruspartikel und infizierte Zellen zerstört werden."

Und wieder behelfen sich die Wissenschafter dabei eines biomolekularen Tricks. Als Transporter setzen sie Streptavidin ein, ein äußerst Biotin-affines bakterielles Protein. "Dieses koppeln wir sozusagen als Anhänger an unser Bioshuttle, um die antiviralen Substanzen damit direkt an ihren Wirkort zu bringen", sagt Barth.

Das 18-monatige Projekt findet im Rahmen der Förderinitiative "Experiment!" statt. Diese richtet sich an Forscher aus den Natur-, Ingenieurs- und Lebenswissenschaften, die eine radikal neue Forschungsidee verfolgen möchten. Wichtig dabei: Ein Scheitern des Konzepts und unerwartete oder negative Befunde werden als Lern- und nicht als Misserfolg begriffen und als Projektausgang ausdrücklich akzeptiert. (red, 1.12.2016)