Markus Tüchler ist Möbelhändler und berät Kunden in Geschmacks-, Stil- und Trendfragen.

Foto: Mood Wien

STANDARD: Wie viel Geld kostet gutes Wohnen?

Markus Tüchler: So viel, wie es Ihnen wert ist.

STANDARD: Und ich mir leisten kann.

Tüchler: Sagen wir "leisten will". Klar arbeiten wir im gehobenen Segment, aber wir schaffen es auch, ein und dieselbe Wohnung um 40.000 oder drei Millionen Euro einzurichten. Es funktioniert auch mit 10.000 Euro. Geld für einen Berater lockerzumachen geschieht freilich im höheren Segment, weil das Verhältnis zwischen Honorar und Budget ein ganz anderes ist.

STANDARD: Warum benötigen Menschen überhaupt Einrichtungsberater? Sie wissen ja auch, was sie anziehen sollen. Und das jeden Tag.

Tüchler: Das sehe ich nicht so. Schauen Sie sich nur um. Das ist doch dramatisch.

STANDARD: Ja, aber wer leistet sich einen Modeberater?

Tüchler: Leider zu wenige, und das hat wie so vieles mit dem Internet zu tun. Die Leute schauen sogar im Internet nach, wenn ihnen der Rücken wehtut, anstatt einen Arzt zu konsultieren.

STANDARD: Dennoch sieht es aus, als wären Interieur-Berater nun auch hierzulande im Aufwind und immer stärker gefragt. Können Sie das bestätigen?

Tüchler: Zu 100 Prozent. Immer mehr Kunden bestellen zwar einzelne Möbel im Internet. Individuelle Planung und Beratung gibt's dort allerdings nicht.

STANDARD: Schön und gut. Aber woher stammt die zunehmende Bereitschaft, sich beraten zu lassen und dafür Geld auszugeben?

Tüchler: Früher wollten die Leute alles selber machen, nach dem Motto: "Das Haus planen wir mit dem Baumeister. Das reicht." Vor allem auf dem Land war das so. Das ändert sich. Hinzu kommt, dass viele Leute keine Zeit mehr haben, sich selbst einzurichten.

STANDARD: Also sind es reiche Menschen mit wenig Zeit, die zum Interieur-Berater gehen?

Tüchler: Es ist verschieden. Es geht um Zeit, um Geld, aber auch darum, sich einzugestehen, vielleicht nicht den richtigen Geschmack zu haben. Wobei die Frage nach dem richtigen Geschmack wieder eine ganz eigene ist ...

STANDARD: Apropos Geschmack: Wo kommt er her? Aus der Stube, in der man als Kind aufwächst? Oder ist Geschmack eine Frage des Talents oder ganz etwas anderes?

Tüchler: Es ist einerseits eine Frage des Talents. Es geht um ein Gefühl dafür, was zueinanderpasst. Hinzu kommt ein gesellschaftliches Thema. Wie lasse ich mich von meiner Umwelt beeinflussen? Gehe ich von einer Person aus, die immer von einem gewissen Stil geprägt wurde, wird sich dieser in Geschmacksfragen nicht grob verändern. Eine Weiterentwicklung von Geschmack hat immer auch mit Interessen und Reflexion zu tun.

STANDARD: Woran beißen sich Interieur-Planer am meisten die Zähne aus? In welchem Bereich sind die Widerstände seitens Kunden am stärksten?

Tüchler: Viele Kunden setzen sich mit dem Thema Design schon frühzeitig im Internet auseinander. Schwierig wird es, wenn ein Kunde auf etwas festgefahren ist und ich weiß, dass seine Vorstellungen nicht ideal sind. So eine Situation ist allerdings mit Argumenten meistens lösbar. Das Kniffligste ist, wenn sich ein Paar nicht einigen kann.

STANDARD: Welche Bereiche sind bei einem Paar die haarigsten? Das Sofa, das Schlafzimmer oder die Küche?

Tüchler: In der Regel sind es eher Farben und Materialien, bei denen Uneinigkeit herrscht. Es gibt in diesem Bereich allerdings kein richtig oder falsch. Hier geht es um Empfindung, und da wird es mit Argumenten schwierig.

STANDARD: Wer ist der pflegeleichtere Kunde, der Mann oder die Frau?

Tüchler: Sagen wir es so: Männer sind beim Einrichten oft designorientierter. Ein Mann will es schön haben, eine Frau denkt vermehrt auch an Materialien und Gemütlichkeit. Ab einer gewissen Bildungs- und Einkommensschicht wissen Männer oft genauer, was sie wollen.

STANDARD: Warum?

Tüchler: Vielleicht weil sie es aufgrund ihres Jobs gewöhnt sind, schnell Entscheidungen zu treffen.

STANDARD: Menschen mit weniger Geld auf dem Konto tun sich also schwerer, eine Entscheidung zu treffen?

Tüchler: Ui, jetzt muss ich aufpassen. Nein, auch Menschen mit dünnerer Brieftasche können einen Job ausüben, in dem sie schnelle Entscheidungen treffen müssen.

STANDARD: Lassen Sie uns über Möbelklassiker sprechen. Diese sind gefragt wie nie zuvor. Was halten Sie vom Verdacht, dass man mit Klassikern Geschmacksunsicherheiten kaschiert und in erster Linie Repräsentationsobjekte kauft? Schließlich gibt es sehr viele sehr gute neue Entwürfe.

Tüchler: Bevor jemand aus Unsicherheit irgendetwas zusammenkauft, nur weil es neu ist, soll er sich lieber einen Klassiker leisten. Da kann man in der Tat nichts falsch machen. Nehmen wir den Oberklassiker, den Lounge-Chair von Eames: Der passt in eine Betonwüstenwohnung ebenso wie in ein Biedermeier-Haus. Die Menschen haben Klassiker als "gut" abgespeichert, deshalb funktionieren sie auch. Man kann damit auch jede Altersschicht ansprechen. Meine Mutter findet den Lounge-Chair schön, und mein 16-jähriger Neffe sagt, das ist ein cooles Möbel.

STANDARD: Verspüren Sie als Planer nicht das Bedürfnis, Kunden verstärkt an jüngere Entwürfe heranzuführen?

Tüchler: Wir arbeiten nicht dagegen und nicht dafür. Es gibt Kunden, die sagen: "Jetzt bin ich 45 geworden und kann mir endlich den Lounge-Chair leisten." Die haben so eine Freude, warum sollte ich dagegen etwas einwenden, ihnen ihren Jugendtraum ausreden und sie noch dazu vor den Kopf stoßen?

STANDARD: Neben den Klassikern werden gerade nach den großen Möbelmessen in Mailand und Köln derart viele Trends hinauf und herunter gebetet, dass man die Sache kaum ernst nehmen kann. Wie geht man als Händler bzw. Berater mit Trends um?

Tüchler: Es stimmt, man wird mit sogenannten Trends überschüttet. Da muss man genau hinschauen. Ein schönes Beispiel ist das Trendmaterial Samt. Ein wunderbares Material, das ich liebe. Mit Samt kann man das uncharmanteste Möbel, das schlechteste Design so kaschieren, dass das Ding trotzdem gut aussieht. Es reichen vier Kissen in schönen Farben auf einem Sofa. Man kann mit wenig viel erreichen.

STANDARD: Und was ist Ihrer Meinung nach jetzt der letzte Schrei?

Tüchler: Schwarz-Weiß ist im Kommen, dieser Kontrast, den es auch in den 1980er- und 1990er-Jahren bereits gab.

STANDARD: Gehen wir einen Schritt zurück. Sie sagen, man muss genau hinschauen. Wann akzeptieren Sie einen Trend als solchen?

Tüchler: Ich denke, viel kommt aus der Mode. Wenn auf der Straße etwas passiert, rückt es auch in Richtung Möbeldesign. Da gibt es viele Parallelen. Man muss das beobachten. Anderes kommt durch neue, bessere Verarbeitungstechniken wieder in Mode, zum Beispiel Marmor.

STANDARD: Sie erwähnen die Mode. Man könnte den Eindruck gewinnen, die Möbelindustrie hätte gern dieselben Produktzyklen wie die Mode. Ist das nicht absurd?

Tüchler: Den Konzernen geht es um immer mehr Wachstum. Trends und Strömungen sollen neue Bedürfnisse wecken und Reize geben. Wir schütteln selbst oft den Kopf auf Messen und wundern uns, wie schnell sich die Dinge im Möbelbereich ändern. Ich kann doch nicht dem Kunden in einem Jahr sagen: "Heuer muss alles in Pastellfarben sein." Und im Jahr drauf sag ich ihm: "So, jetzt ist alles schwarz-weiß." Wir versuchen hier zu filtern und anzugleichen und mit Kleinigkeiten Veränderungen zu bringen.

STANDARD: Wie lang müssen denn heute Stühle, Bett und Tisch halten, bevor sie ausgetauscht werden? Früher dauerte dies mitunter eine ganze Generation oder noch länger.

Tüchler: Wir sprechen heute von einem Zyklus von zehn Jahren. Wie bei einer Matratze.

STANDARD: Wie, ich soll alle zehn Jahre meine Einrichtung austauschen?

Tüchler: Aber nein. Es geht um Veränderungen. Veränderungen sind wichtig. Nehmen wir ein Sofa. Man muss es nicht unbedingt austauschen, man bezieht es einfach mit einem neuen Stoff und Design. So was kommt uns sehr oft unter. Ist natürlich auch eine Qualitätsfrage.

STANDARD: Wann wird Veränderung notwendig?

Tüchler: Wenn ich mich nicht mehr wohlfühle.

STANDARD: Der wachsende Wunsch nach Veränderung dürfte auch einer der Gründe für den Erfolg von Ikea sein. Viele Menschen könnten sich eine Veränderung sonst gar nicht leisten.

Tüchler: Das stimmt, es geht bei Veränderung aber auch um folgende Frage: Will ich sie aus Langeweile oder weil ich sie als notwendig empfinde?

STANDARD: Geht es ein bisschen konkreter?

Tüchler: Sagen wir, es ist gerade Rosa angesagt. Ich fahr also zu Ikea, kauf mir ein paar Beistelltischchen um wenig Geld, und ein Jahr später werf ich sie einfach wieder weg. Das sehe ich problematisch. Unterm Strich ist das ein Problem für die Gesellschaft und die Umwelt. Das ist wie bei H & M und anderen ähnlichen Textilketten.

STANDARD: Die Möbelhausdichte in Österreich ist weltweit einzigartig. Ebenso hat man das Gefühl, dass in Wien alle drei Monate ein Flagship-Store aufsperrt. Abgesehen von der angebotenen Qualität, was sagt das über das Land aus?

Tüchler: Dass die Menschen gern zu Hause sind und Wert auf ihre Umgebung legen. Dass sie gerne wohnen und gerne heimkommen.

STANDARD: Was keine Rückschlüsse auf guten Geschmack ziehen lässt.

Tüchler: Das ist so eine Sache. Es ist wie mit der Henne und dem Ei. Man muss sich fragen: Was war zuerst da, "der schlechte Designer" oder der "geschmacklose Kunde"? Man kann sich über manche Designs in klassischen Möbelhäusern schon sehr wundern. Wie auch immer, es wird gekauft.

STANDARD: Findet man Sie gelegentlich bei Ikea?

Tüchler: Nicht als Kunden, aber ich finde es ganz nett. Hin und wieder geht es auch darum, in irgendeiner Ferienwohnung eine Nische für einen Kunden zu ergänzen. Da bin ich mir auch nicht zu schade, bei Ikea vorbeizuschauen. Wenn's passt.

STANDARD: Was ist Ihrer Meinung nach die unterschätzteste Möbelgattung? Der stumme Diener, der Pouf?

Tüchler: Das ist eine wirklich schwierige Frage. Ich liebe Hocker im Sinne von Schemeln. Davon kann man nicht genug haben.

STANDARD: Ihr Geschäft ist voll von wohlgeformten Einrichtungsgegenständen. Haben Sie nicht manchmal genug davon und würden gern in eine Klosterzelle übersiedeln?

Tüchler: Sie meinen ein Design-Burnout?

STANDARD: Genau.

Tüchler: Nein, ich beschäftige mich immer mit Design und Möbeln, auch zu Hause und bei anderen. Ich versuche, alles zu analysieren. Außerdem können wir unsere Einrichtung im Schauraum jederzeit wechseln. Das ist ein großer Luxus.

STANDARD: Nehmen wir an, Sie dürften nur eines Ihrer Möbel behalten. Welches wäre es?

Tüchler: Eine gute Matratze. Nein, im Ernst: Ich besitze natürlich ein paar schöne Möbel, die ich gern habe, aber auch ich hänge nicht so sehr an Dingen. Ich täte mir eher schwer, wenn ich mich von Kunst trennen müsste, zum Beispiel von einer ganz bestimmten Fotografie von Rita Nowak. Darauf ist ein schottischer Wald samt Nebel zu sehen. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich daran denke. (Michael Hausenblas, RONDO Open Haus, 30.01.2016)